Antisemitismusbericht 2019: wieder mehr Vorfälle

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Es gibt unzäh­li­ge Anläs­se, bei denen unzäh­li­ge Per­so­nen beto­nen, wie wich­tig der Kampf gegen Anti­se­mi­tis­mus sei – und das seit Jah­ren. Der­wei­len steigt die Zahl anti­se­mi­tisch moti­vier­ter Vor­fäl­le beträcht­lich, wie der heu­te sei­tens der IKG vor­ge­leg­te Anti­se­mi­tis­mus­be­richt 2019 wie­der ein­mal belegt.

550 anti­se­mi­ti­sche Vor­fäl­le hat die Israel­ti­sche Kul­tus­ge­mein­de (IKG) zusam­men mit dem „Forum gegen Anti­se­mi­tis­mus“ (FgA) für das Jahr 2019 auf­ge­zeich­net; das ist seit dem Bericht 2014 eine Stei­ge­rung um sat­te 115%, seit der erst­ma­li­gen Erfas­sung im Jahr 2008 eine Ver­zwölf­fa­chung. Im Ver­gleich zum zuletzt 2017 vor­ge­leg­ten Bericht wur­de eine Stei­ge­rung von fast 10% regis­triert. Dass die Dun­kel­zif­fer noch viel höher liegt, ist auch klar.

Zeitreihe antisemitische Vorfälle: 46 im Jahr 2008, 550 im Jahr 2019

Zeit­rei­he anti­se­mi­ti­sche Vor­fäl­le: 46 im Jahr 2008, 550 im Jahr 2019

Von den 550 Vor­fäl­len waren: 6 phy­si­sche Angrif­fe, 18 Bedro­hun­gen, 78 Fäl­le von Sach­be­schä­di­gung, 209 Fäl­le von Mas­sen­zu­schrif­ten, 239 Fäl­le von ver­let­zen­dem Ver­hal­ten. Wäh­rend die Zahl an phy­si­schen Angrif­fen sta­gnier­te und die Zahl der gemel­de­ten Bedro­hun­gen um fast die Hälf­te sank, stieg die Anzahl an Sach­be­schä­di­gun­gen um mehr als die Hälf­te an. (Anti­se­mi­ti­sche Vor­fäl­le 2019)

antisemitische Vorfälle 2019: Kategorien

anti­se­mi­ti­sche Vor­fäl­le 2019: Kategorien

Bemer­kens­wert dabei ist, dass anti­se­mi­ti­sche Kom­men­tie­run­gen in Threads unter diver­sen Pos­tings nur ein­mal gezählt wer­den. „Im Novem­ber 2019 fan­den sich allein im Anschluss an einen krone.at-Artikel über IKG- Prä­si­dent Oskar Deutsch 68 anti­se­mi­ti­sche Kom­men­ta­re von 55 ver­schie­de­nen Use­rIn­nen. Die­se wer­den in der Sta­tis­tik als ein Vor­fall zusammengefasst.“

Bei den regis­trier­ten Vor­fäl­len ord­net die IKG 43% „ver­let­zen­dem Ver­hal­ten“ (Beschimp­fun­gen, Äuße­run­gen, Kom­men­ta­re und Botschaften)zu, 38% „Mas­sen­zu­schrif­ten“ (schrift­li­che anti­se­mi­ti­sche Inhal­te, die an min­des­tens zwei Adres­sa­tIn­nen gerich­tet sind), 14% Sach­be­schä­di­gung, 4% Angriff und Bedrohung.

Die ideo­lo­gi­sche Zuord­nung ergibt 268 Vor­fäl­le, die aus dem rech­ten Spek­trum kom­men, 226, die nicht zuor­den­bar sind, 31 aus dem mus­li­mi­schen und 25 aus dem lin­ken Spek­trum. Von den zuor­den­ba­ren Vor­fäl­len (324) kom­men dem­nach fast 83% aus dem rechtsextremen/neonazistischen Feld.

Hier zeigt sich auch eine Schwä­che des vor­ge­leg­ten Berichts.

Unter Rechtsfal­len all jene Vor­fäl­le, wel­che der poli­ti­schen sowie der gesell­schafts­po­li­ti­schen Rech­ten, dem Rechts­extre­mis­mus sowie dem (Neo-)Nazismus zuge­ord­net wer­den konnten.
Unter Linksfal­len all jene Vor­fäl­le, wel­che der poli­ti­schen sowie der gesell­schafts­po­li­ti­schen Lin­ken und dem Links­extre­mis­mus mit all sei­nen Spiel­for­men (zB der anti­se­mi­ti­schen BDS- Bewe­gung und dem Anti­im­pe­ria­lis­mus) zuge­rech­net wer­den können.
Mus­li­mischbezieht sich auf anti­se­mi­ti­sche Vor­fäl­le, die von Per­so­nen oder Orga­ni­sa­tio­nen ver­ur­sacht wur­den, die welt­an­schau­lich bezie­hungs­wei­se reli­gi­ös dem poli­ti­schen Islam zuzu­ord­nen sind.
Eine in ande­ren Berich­ten eben­falls oft anzu­tref­fen­de Kate­go­rie israel­be­zo­ge­ner Anti­se­mi­tis­musist unse­rer Ansicht nach nicht ziel­füh­rend, da sich die­ser in allen drei genann­ten Kate­go­rien glei­cher­ma­ßen antref­fen lässt. (Anti­se­mi­ti­sche Vor­fäl­le 2019)

antisemitische Vorfälle 2019: ideologischer Hintergrund

anti­se­mi­ti­sche Vor­fäl­le 2019: ideo­lo­gi­scher Hintergrund

„Mus­li­misch“ ist eine Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit und so wenig oder so sehr als ideo­lo­gi­sche Kate­go­rie defi­nier­bar, wie es bei jeder ande­ren Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit der Fall ist. Was die IKG unter „poli­ti­schem Islam“ ver­steht, wird nicht aus­ge­führt. Glei­cher­ma­ßen ver­mi­schen sich argu­men­ta­ti­ve Lini­en im Anti­se­mi­tis­mus, wie aktu­ell bei den Pro­tes­ten gegen die Anti-Coro­na-Maß­nah­men gut wahr­nehm­bar ist, wo Anlei­hen aus allen Rich­tun­gen genom­men wer­den: Wir fin­den hier klar erkenn­ba­re Ver­satz­stü­cke aus tra­di­tio­nel­len anti­se­mi­ti­schen Ver­schwö­rungs­my­then wie auch aus anti­glo­ba­lis­tisch ori­en­tier­ten Strömungen.

Eines legt der vor­lie­gen­de Bericht wie­der ein­mal offen: Es fehlt in Öster­reich an einer sys­te­ma­ti­schen wis­sen­schaft­li­chen Erfas­sung, Ein­ord­nung und For­schung, aus der Gegen­stra­te­gien zu ent­wi­ckeln wären. Dass dabei auf den wach­sen­den Rechts­extre­mis­mus ein zen­tra­les Augen­merk zu rich­ten ist, zeigt nicht nur die­ser Bericht.