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Rost und Resetarits

Der Kaba­ret­tist Lukas Reseta­rits hat in einem ORF-Inter­­view davon gespro­chen, dass Künst­le­rIn­nen zu denen gehö­ren, „die halt wirk­lich durch den Rost gefal­len sind“. Die­se For­mu­lie­rung hat Ger­hard Bur­da zu einem kur­zen Kom­men­tar auf Face­book ver­an­lasst. Ger­hard Bur­da ist Anti­fa­schist, Lukas Reseta­rits ist auch Anti­fa­schist. In hun­der­ten Pos­tings zu Bur­das Kurz­kom­men­tar wur­de hef­tig gestrit­ten. Teil­wei­se sehr […]

26. Mai 2020

Lukas Reseta­rits hat die Rede­wen­dung vom Rost in einem ZIB 2‑Interview am 11. Mai ver­wen­det, in dem er hef­ti­ge Kri­tik an der damals noch amtie­ren­den Kul­tur­staat­s­e­kre­tä­rin Ulri­ke Lunacek übte. Weni­ge Tage spä­ter trat Ulri­ke Lunacek als Staats­se­kre­tä­rin zurück. Ob die Kri­tik von Lukas Reseta­rits an Lunacek berech­tigt war oder nicht, soll hier kei­ne Rol­le spie­len. Was uns inter­es­siert, ist die Rede­wen­dung vom Rost, die Kri­tik dar­an und vor allem die Kri­tik an die­ser Kritik.

Ger­hard Bur­da hat sei­ne Kri­tik an Lukas Reseta­rits in fol­gen­den Hin­weis gepackt: Lukas Reseta­rits: Men­schen fie­len in den Nazi-Brenn­öfen „durch den Rost“. Der Satz ist wohl als die kla­re Erin­ne­rung an den Anti­fa­schis­ten Reseta­rits zu ver­ste­hen, eine Rede­wen­dung wie die von den durch den Rost Gefal­le­nen nicht zu gebrau­chen. Der Kurz­kom­men­tar ent­hält kei­nen über die­se Erin­ne­rung hin­aus­ge­hen­den Vor­wurf an Reseta­rits. Kei­ne Unter­stel­lung, nichts sonst!

Im ZiB2 Coro­na-Inter­view mit Armin Wolf sprach Lukas Reseta­rits bei­läu­fig davon, dass die Künst­ler „durch den Rost gefal­len“ wären. Die gedan­ken­lo­se Ver­wen­dung die­ser Phra­se fand ich beson­ders erstaun­lich und irri­tie­rend, weil Resetarits´s Brot­be­ruf die Spra­che und er ein aus­ge­wie­se­ner Anti­fa­schist und Anti­ras­sist ist.

Erschre­ckend waren dann vie­le Reak­tio­nen als ich einen Hin­weis auf die­sen Sprach­ge­brauch und den Zusam­men­hang mit NS-Brenn­öfen auf mei­ne face­book-Sei­te setz­te. Es kamen mehr als 360 (!) Kom­men­ta­re. Über­wie­gend empört, dass ich gera­de die­sen Künst­ler kri­ti­sier­te und dass das ein all­täg­li­ches, ja harm­lo­ses Sprach­bild wäre, das doch gar nichts mit dem Nazi-Faschis­mus zu tun hät­te, son­dern es schon viel län­ger (mög­li­cher­wei­se seit dem Mit­tel­al­ter) im Gebrauch war. Dass die­ser Sager auf Men­schen ange­wen­det wur­de, schien die Aller­meis­ten nicht zu beküm­mern … (Ger­hard Bur­da in einem Mail an „Stoppt die Rechten“)

Der Ursprung der Rede­wen­dung ist unklar. Die sim­pels­te Rück­füh­rung ist wohl die, wonach in einem Ofen gro­be Rück- oder Gegen­stän­de durch einen Rost von der Asche getrennt wer­den. Im über­tra­ge­nen Sinn stün­de die Phra­se für Men­schen, die Pech haben, nicht berück­sich­tigt wer­den, leer aus­ge­hen – wären dann nicht die Nazis gekom­men, die Mil­lio­nen jüdi­sche Men­schen ermor­de­ten und in ihren Kre­ma­to­ri­en ver­bren­nen bzw. tat­säch­lich „durch den Rost fal­len“ ließen.

Der Natio­nal­so­zia­lis­mus hat die alte Rede­wen­dung mit einer neu­en fürch­ter­li­chen Bedeu­tung auf­ge­la­den. Es waren nicht die Nazis selbst, die die Phra­se mit die­sem neu­en zyni­schen Inhalt in Umlauf gebracht bzw. ver­wen­det haben. Ganz im Gegen­teil ver­such­ten sie ja durch den Abbau von Kre­ma­to­ri­en und Gas­kam­mern gegen Ende ihres Mord­re­gimes Spu­ren, die auf den Holo­caust hin­wie­sen, zu ver­tu­schen. Aus die­sem Grund han­delt es sich auch bei der Rede­wen­dung „bis zur Ver­ga­sung (arbei­ten)“ nicht um eine Nazi-Rede­wen­dung, son­dern um eine, die – so wie die vom Rost – durch den Natio­nal­so­zia­lis­mus eine neue schreck­li­che Bedeu­tung erhal­ten hat.

Natür­lich muss man nicht alle Wör­ter und Rede­wen­dun­gen, die von den Nazis ver­wen­det wur­den oder durch das NS-Regime eine Bedeu­tungs­ver­än­de­rung erhal­ten haben, ken­nen. Man darf auch dazu­ler­nen, auf­merk­sam gemacht wer­den. Das gilt nicht nur für Lukas Reseta­rits, son­dern für alle.

Auch gibt es Phra­sen, die von den Nazis regel­recht gehypt wur­den, aber in der Fol­ge wie­der ihrer NS-Bedeu­tung ent­klei­det wur­den. „Am Boden zer­stört“ ist so eine For­mu­lie­rung, die durch den Luft­krieg der Nazis in den ers­ten Kriegs­jah­ren fak­tisch täg­lich über die NS-Pro­pa­gan­da ver­brei­tet wur­de und ver­mut­lich über die­sen Weg dann auch bild­lich (im Sinn von tief­trau­rig) brei­te Ver­wen­dung fand.

Wer weiß heu­te noch, dass die Nazis die Bezeich­nung „Bau­er“ – ent­ge­gen aller sprach­li­chen Tra­di­ti­on exklu­siv einem Eigen­tü­mer eines – ras­sisch defi­nier­ten – Erb­ho­fes als „Ehren­ti­tel“ vor­be­hiel­ten, wäh­rend alle ande­ren Agra­ri­er, die nicht über die ent­spre­chen­de „Acker­nah­rung“ und Geschlecht­er­fol­ge ver­füg­ten als Land­wir­te bezeich­net wer­den muss­ten? An Stel­le des „Redak­teurs“ leg­ten die Nazis ver­pflich­tend (!) durch das Schrift­lei­ter­ge­setz aus 1933 den Ter­mi­nus „Schrift­lei­ter“ und des­sen ger­ma­nisch-deut­sche Her­kunft fest. Streng deutsch­na­tio­na­le und brau­ne Blät­ter hal­ten an der Bezeich­nung „Schrift­lei­ter“ auch heu­te noch fest und kön­nen dadurch auch ein­fach unter­schie­den werden.

Ger­hard Bur­da woll­te mit sei­nem kur­zen State­ment auf die durch den Holo­caust auf­ge­la­de­ne Bedeu­tung der Phra­se vom „durch den Rost fal­len“ hin­wei­sen. Ver­mut­lich, weil er sich über deren gedan­ken­lo­sen Gebrauch durch einen Anti­fa­schis­ten ärger­te. Aber darf und muss die­se Sen­si­bi­li­tät eine pri­va­te, inti­me Ange­le­gen­heit sein und blei­ben? Dür­fen die ande­ren bestim­men und defi­nie­ren, wo Sen­si­bi­li­tät und Erin­ne­rung ange­bracht ist, wo man dadurch nicht beläs­tigt wer­den will?

In dem Shit­s­torm, der dem Kom­men­tar folg­te, wur­den alle gän­gi­gen Aus­re­den, auch sehr bös­ar­ti­ge Beschimp­fun­gen bemüht – und nur von eini­gen erfolg­te so etwas wie Ein­sicht („habe ich nicht gewusst“), Ver­tei­di­gung sei­ner Kri­tik oder gar Dank für die Erinnerung.

„Rede­wen­dun­gen sind nun mal Rede­wen­dun­gen“, „lan­ge vor den Nazis gebräuch­lich“, „kei­ne ande­ren Sor­gen“, „Schwach­sinn“, „böse Unter­stel­lung“, „unsin­ni­ge Dis­kus­si­on“, „Ablen­kung“ von der Kri­tik des Lukas Reseta­rits, dem man als qua­si zer­ti­fi­zier­tem Anti­fa­schis­ten doch so etwas nicht unter­stel­len dür­fe – das war der Tenor der Debat­te, der nur durch die ziem­lich ver­zwei­fel­ten Ein­wür­fe eini­ger weni­ger Mit­strei­ter gestört wurde.

Dann gab es noch die ganz spe­zi­el­len Pos­tings: „An den Haa­ren her­bei­ge­zo­gen“ sei die Debat­te, „wer denkt denn dabei an den Holo­caust“ wird in dem einen behaup­tet, wäh­rend der Vor­wurf in einem ande­ren Pos­ting völ­lig schräg daher­kommt: “Ihnen geht es gar nicht um das uner­mess­li­che Leid von Mit­bür­gern, KZs und Kre­ma­to­ri­en, son­dern ledig­lich um die Des­avou­ie­rung von Reseta­rits“. Sogar eine Pri­se Anti­se­mi­tis­mus fin­det sich: „Eure Sor­gen und den (sic!) Roth­schild sein Geld …“

Wohl gemerkt: Das alles und noch viel mehr waren Reak­tio­nen auf einen Kom­men­tar von Ger­hard Bur­da, in dem die­ser dar­auf hin­wies, dass bei den Nazis Men­schen tat­säch­lich „durch den Rost“ gefal­len sind, weil sie mil­lio­nen­fach ver­brannt wur­den. Dafür muss­te er sich von einem frü­he­ren Lan­des­rat mit „Du bist ein dum­mer Mensch“ beschimp­fen und von einem akti­ven Gemein­de­rat der SPÖ „Block­wart­ment­a­li­tät“ unter­stel­len lassen.

„Block­wart­ment­a­li­tät“ an die Adres­se eines Men­schen, der seit Jah­ren Erin­ne­rungs­ar­beit betreibt, der die­se auch – ohne zu ver­ur­tei­len! – am Bei­spiel einer unbe­dach­ten Rede­wen­dung aus­führt, das ist wohl so ziem­lich das Hin­ter­fot­zigs­te, was man aus die­sem Anlass unter­stel­len kann.

P.S.: Eini­ge Links zu Bei­trä­gen, die sich mit dis­kri­mi­nie­ren­der Spra­che bzw. belas­te­ter Spra­che beschäftigen

➡️ https://www.wien.gv.at/verwaltung/antidiskriminierung/sprache.html
➡️ https://kurier.at/politik/inland/verbrannte-woerter-was-man-heute-nicht-sagen-sollte/400473934
➡️ https://static.uni-graz.at/fileadmin/Akgl/4_Fuer_MitarbeiterInnen/leitfaden-nichtdiskriminierende-sprache_BMWA.pdf
➡️ https://de.wikipedia.org/wiki/Bis_zur_Vergasung
➡️ https://www.news.at/a/sprache-dunkles-wortgut-7660619
➡️ https://www.bpb.de/politik/grundfragen/sprache-und-politik/

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