Rost und Resetarits

Der Kabaret­tist Lukas Rese­tar­its hat in einem ORF-Inter­view davon gesprochen, dass Kün­st­lerIn­nen zu denen gehören, „die halt wirk­lich durch den Rost gefall­en sind“. Diese For­mulierung hat Ger­hard Bur­da zu einem kurzen Kom­men­tar auf Face­book ver­an­lasst. Ger­hard Bur­da ist Antifaschist, Lukas Rese­tar­its ist auch Antifaschist. In hun­derten Post­ings zu Bur­das Kurzkom­men­tar wurde heftig gestrit­ten. Teil­weise sehr beschä­mend und auch entlarvend.

Lukas Rese­tar­its hat die Redewen­dung vom Rost in einem ZIB 2‑Interview am 11. Mai ver­wen­det, in dem er heftige Kri­tik an der damals noch amtieren­den Kul­turstaat­sekretärin Ulrike Lunacek übte. Wenige Tage später trat Ulrike Lunacek als Staatssekretärin zurück. Ob die Kri­tik von Lukas Rese­tar­its an Lunacek berechtigt war oder nicht, soll hier keine Rolle spie­len. Was uns inter­essiert, ist die Redewen­dung vom Rost, die Kri­tik daran und vor allem die Kri­tik an dieser Kritik.

Ger­hard Bur­da hat seine Kri­tik an Lukas Rese­tar­its in fol­gen­den Hin­weis gepackt: Lukas Rese­tar­its: Men­schen fie­len in den Nazi-Bren­nöfen „durch den Rost“. Der Satz ist wohl als die klare Erin­nerung an den Antifaschis­ten Rese­tar­its zu ver­ste­hen, eine Redewen­dung wie die von den durch den Rost Gefal­l­enen nicht zu gebrauchen. Der Kurzkom­men­tar enthält keinen über diese Erin­nerung hin­aus­ge­hen­den Vor­wurf an Rese­tar­its. Keine Unter­stel­lung, nichts sonst!

Im ZiB2 Coro­na-Inter­view mit Armin Wolf sprach Lukas Rese­tar­its beiläu­fig davon, dass die Kün­stler „durch den Rost gefall­en“ wären. Die gedanken­lose Ver­wen­dung dieser Phrase fand ich beson­ders erstaunlich und irri­tierend, weil Resetarits´s Brot­beruf die Sprache und er ein aus­gewiesen­er Antifaschist und Anti­ras­sist ist.

Erschreck­end waren dann viele Reak­tio­nen als ich einen Hin­weis auf diesen Sprachge­brauch und den Zusam­men­hang mit NS-Bren­nöfen auf meine face­book-Seite set­zte. Es kamen mehr als 360 (!) Kom­mentare. Über­wiegend empört, dass ich ger­ade diesen Kün­stler kri­tisierte und dass das ein alltäglich­es, ja harm­los­es Sprach­bild wäre, das doch gar nichts mit dem Nazi-Faschis­mus zu tun hätte, son­dern es schon viel länger (möglicher­weise seit dem Mit­te­lal­ter) im Gebrauch war. Dass dieser Sager auf Men­schen angewen­det wurde, schien die Aller­meis­ten nicht zu beküm­mern … (Ger­hard Bur­da in einem Mail an „Stoppt die Rechten“)

Der Ursprung der Redewen­dung ist unklar. Die sim­pel­ste Rück­führung ist wohl die, wonach in einem Ofen grobe Rück- oder Gegen­stände durch einen Rost von der Asche getren­nt wer­den. Im über­tra­ge­nen Sinn stünde die Phrase für Men­schen, die Pech haben, nicht berück­sichtigt wer­den, leer aus­ge­hen – wären dann nicht die Nazis gekom­men, die Mil­lio­nen jüdis­che Men­schen ermorde­ten und in ihren Kre­ma­to­rien ver­bren­nen bzw. tat­säch­lich „durch den Rost fall­en“ ließen.

Der Nation­al­sozial­is­mus hat die alte Redewen­dung mit ein­er neuen fürchter­lichen Bedeu­tung aufge­laden. Es waren nicht die Nazis selb­st, die die Phrase mit diesem neuen zynis­chen Inhalt in Umlauf gebracht bzw. ver­wen­det haben. Ganz im Gegen­teil ver­sucht­en sie ja durch den Abbau von Kre­ma­to­rien und Gaskam­mern gegen Ende ihres Mor­dregimes Spuren, die auf den Holo­caust hin­wiesen, zu ver­tuschen. Aus diesem Grund han­delt es sich auch bei der Redewen­dung „bis zur Ver­ga­sung (arbeit­en)“ nicht um eine Nazi-Redewen­dung, son­dern um eine, die – so wie die vom Rost – durch den Nation­al­sozial­is­mus eine neue schreck­liche Bedeu­tung erhal­ten hat.

Natür­lich muss man nicht alle Wörter und Redewen­dun­gen, die von den Nazis ver­wen­det wur­den oder durch das NS-Regime eine Bedeu­tungsverän­derung erhal­ten haben, ken­nen. Man darf auch dazuler­nen, aufmerk­sam gemacht wer­den. Das gilt nicht nur für Lukas Rese­tar­its, son­dern für alle.

Auch gibt es Phrasen, die von den Nazis regel­recht gehypt wur­den, aber in der Folge wieder ihrer NS-Bedeu­tung entk­lei­det wur­den. „Am Boden zer­stört“ ist so eine For­mulierung, die durch den Luftkrieg der Nazis in den ersten Kriegs­jahren fak­tisch täglich über die NS-Pro­pa­gan­da ver­bre­it­et wurde und ver­mut­lich über diesen Weg dann auch bildlich (im Sinn von tief­trau­rig) bre­ite Ver­wen­dung fand.

Wer weiß heute noch, dass die Nazis die Beze­ich­nung „Bauer“ – ent­ge­gen aller sprach­lichen Tra­di­tion exk­lu­siv einem Eigen­tümer eines – ras­sisch definierten – Erb­hofes als „Ehren­ti­tel“ vor­be­hiel­ten, während alle anderen Agrari­er, die nicht über die entsprechende „Ack­er­nahrung“ und Geschlechter­folge ver­fügten als Land­wirte beze­ich­net wer­den mussten? An Stelle des „Redak­teurs“ legten die Nazis verpflich­t­end (!) durch das Schriftleit­erge­setz aus 1933 den Ter­mi­nus „Schriftleit­er“ und dessen ger­man­isch-deutsche Herkun­ft fest. Streng deutschna­tionale und braune Blät­ter hal­ten an der Beze­ich­nung „Schriftleit­er“ auch heute noch fest und kön­nen dadurch auch ein­fach unter­schieden werden.

Ger­hard Bur­da wollte mit seinem kurzen State­ment auf die durch den Holo­caust aufge­ladene Bedeu­tung der Phrase vom „durch den Rost fall­en“ hin­weisen. Ver­mut­lich, weil er sich über deren gedanken­losen Gebrauch durch einen Antifaschis­ten ärg­erte. Aber darf und muss diese Sen­si­bil­ität eine pri­vate, intime Angele­gen­heit sein und bleiben? Dür­fen die anderen bes­tim­men und definieren, wo Sen­si­bil­ität und Erin­nerung ange­bracht ist, wo man dadurch nicht belästigt wer­den will?

In dem Shit­storm, der dem Kom­men­tar fol­gte, wur­den alle gängi­gen Ausre­den, auch sehr bösar­tige Beschimp­fun­gen bemüht – und nur von eini­gen erfol­gte so etwas wie Ein­sicht („habe ich nicht gewusst“), Vertei­di­gung sein­er Kri­tik oder gar Dank für die Erinnerung.

„Redewen­dun­gen sind nun mal Redewen­dun­gen“, „lange vor den Nazis gebräuch­lich“, „keine anderen Sor­gen“, „Schwachsinn“, „böse Unter­stel­lung“, „unsin­nige Diskus­sion“, „Ablenkung“ von der Kri­tik des Lukas Rese­tar­its, dem man als qua­si zer­ti­fiziertem Antifaschis­ten doch so etwas nicht unter­stellen dürfe – das war der Tenor der Debat­te, der nur durch die ziem­lich verzweifel­ten Ein­würfe einiger weniger Mit­stre­it­er gestört wurde.

Dann gab es noch die ganz speziellen Post­ings: „An den Haaren her­beige­zo­gen“ sei die Debat­te, „wer denkt denn dabei an den Holo­caust“ wird in dem einen behauptet, während der Vor­wurf in einem anderen Post­ing völ­lig schräg daherkommt: “Ihnen geht es gar nicht um das uner­messliche Leid von Mit­bürg­ern, KZs und Kre­ma­to­rien, son­dern lediglich um die Desavouierung von Rese­tar­its“. Sog­ar eine Prise Anti­semitismus find­et sich: „Eure Sor­gen und den (sic!) Roth­schild sein Geld …“

Wohl gemerkt: Das alles und noch viel mehr waren Reak­tio­nen auf einen Kom­men­tar von Ger­hard Bur­da, in dem dieser darauf hin­wies, dass bei den Nazis Men­schen tat­säch­lich „durch den Rost“ gefall­en sind, weil sie mil­lio­nen­fach ver­bran­nt wur­den. Dafür musste er sich von einem früheren Lan­desrat mit „Du bist ein dum­mer Men­sch“ beschimpfen und von einem aktiv­en Gemein­der­at der SPÖ „Block­wart­men­tal­ität“ unter­stellen lassen.

„Block­wart­men­tal­ität“ an die Adresse eines Men­schen, der seit Jahren Erin­nerungsar­beit betreibt, der diese auch – ohne zu verurteilen! – am Beispiel ein­er unbe­dacht­en Redewen­dung aus­führt, das ist wohl so ziem­lich das Hin­ter­fotzig­ste, was man aus diesem Anlass unter­stellen kann.

P.S.: Einige Links zu Beiträ­gen, die sich mit diskri­m­inieren­der Sprache bzw. belasteter Sprache beschäftigen

➡️ https://www.wien.gv.at/verwaltung/antidiskriminierung/sprache.html
➡️ https://kurier.at/politik/inland/verbrannte-woerter-was-man-heute-nicht-sagen-sollte/400473934
➡️ https://static.uni-graz.at/fileadmin/Akgl/4_Fuer_MitarbeiterInnen/leitfaden-nichtdiskriminierende-sprache_BMWA.pdf
➡️ https://de.wikipedia.org/wiki/Bis_zur_Vergasung
➡️ https://www.news.at/a/sprache-dunkles-wortgut-7660619
➡️ https://www.bpb.de/politik/grundfragen/sprache-und-politik/