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Thüringen: „In ein brauneres Loch kann man nicht schauen“

Man muss es – lei­der – so fest­stel­len: Wenn es dar­um geht, gegen Lin­ke zu vor­zu­ge­hen, schla­gen sich das „bür­ger­li­che“ und „libe­ra­le“ Lager his­to­risch ver­läss­lich auf die rechts­extre­me Sei­te – das offen­bar selbst dann, wenn das Gegen­über ein sehr gemä­ßig­ter Lin­ker wie Bodo Rame­low ist. Und damit es sehr klar gesagt ist: Vie­le, die jetzt […]

6. Feb 2020

44 Stim­men für Bodo Rame­low, 45 für Tho­mas Kem­me­rich. Nur zwei Stim­men kamen (ver­mut­lich) von der CDU für Rame­low, eine mehr hät­te gereicht, um das Desas­ter, vor dem Thü­rin­gen mit Aus­wir­kun­gen auf ganz Deutsch­land steht, zu ver­hin­dern. Nur eine Stim­me. Drei aus der CDU konn­ten es erst gar nicht erwar­ten und haben bereits im ers­ten Wahl­gang dem AfD-Kan­di­da­ten ihre Stim­me gegeben.

Schock, Tabu- und Damm­bruch, poli­ti­sches Erd­be­ben, Schan­de – die gest­ri­ge Wahl des FDP-Man­nes Kem­me­rich mit Stim­men aus CDU und AfD hat in Deutsch­land wie eine Bom­be ein­ge­schla­gen. Das eben­falls, weil sich jemand zum Minis­ter­prä­si­den­ten wäh­len hat las­sen und gewählt wur­de, des­sen Par­tei mit 5% gera­de noch den Ein­zug in den Land­tag geschafft hat­te. Wäh­le­rIn­nen­wil­le? Egal! Die CDU spiel­te den Steig­bü­gel­hal­ter für die­se Kon­stel­la­ti­on. Auch wenn nun schar­fe Reak­tio­nen aus der Bun­des­par­tei kom­men, aber wer ein Koali­ti­ons­ver­bot mit der „Lin­ken“ glei­cher­ma­ßen wie mit der AfD ver­hängt, hat am Ende eben eine brau­ne Sup­pe aus­zu­löf­feln. Das soll­te man beson­ders in Thü­rin­gen wis­sen, wo die NSDAP frü­her als anders­wo an einer Regie­rung betei­ligt wor­den war – der „Mus­ter­gau Thü­rin­gen“ zeig­te schon ab 1930, wohin die NS-Rei­se füh­ren würde.

Wenn jetzt sogar die Bild-Zei­tung oder die CSU in Per­son von Mar­kus Söder („inak­zep­ta­bler Damm­bruch“) so klar Kan­te gegen Rechts­extre­me Mar­ke Höcke zei­gen wie noch nie zuvor, ist es die pure Nega­ti­on des­sen, wes­sen Spiel Medi­en und Par­tei­en vor­her betrie­ben haben, indem rechts­extre­me und rechts­po­pu­lis­ti­sche Posi­tio­nen sys­te­ma­tisch zur Nor­ma­li­tät erho­ben wurden.

Aufmacher Bild-Zeitung am 6.2.20: "Tabubruch in Thüringen +++ FDP-Ministerpräsident lässt sich von Neonazi Höcke wählen. Handschlag der Schande"
Auf­ma­cher Bild-Zei­tung am 6.2.20: „Tabu­bruch in Thü­rin­gen +++ FDP-Minis­ter­prä­si­dent lässt sich von Neo­na­zi Höcke wäh­len. Hand­schlag der Schan­de” (via Twit­ter Paul Ron­z­hei­mer)

Aus Öster­reich blie­ben Reak­tio­nen der Par­tei­en (natür­lich mit Aus­nah­me der FPÖ) aus, wir ken­nen sie ja schon, die­se Tabu­brü­che – seit Jahr­zehn­ten. Da wäre es wenig oppor­tun, mit dem Fin­ger nach Deutsch­land zu zei­gen. Völ­lig naiv ist, wenn etwa Bir­git Bau­mann im Stan­dard kom­men­tiert, dass nicht nur Kem­me­rich am Nasen­ring durch die par­la­men­ta­ri­sche Mane­ge [gezo­gen] wur­de (…), son­dern auch sei­ne FDP und die CDU. Offen­bar hat nie­mand den Bra­ten gero­chen, die AfD hat sie aus­ge­trickst. Sie schick­te eine Mario­net­te in die Wahl und FDP wie CDU tapp­ten in die Fal­le“.

Nein, das war kei­ne unvor­her­seh­ba­re Fal­le, die war näm­lich ange­kün­digt, und alle Betei­lig­ten konn­ten es wis­sen, was im drit­ten Wahl­gang pas­sie­ren wür­de. Frisch zum Minis­ter­prä­si­den­ten gekürt, las Kem­me­rich eine vor­be­rei­te­te Rede vom Blatt, Anne­gret Kramp-Kar­ren­bau­er berich­te­te in Inter­views von vor­her­ge­hen­den Gesprä­chen mit der FDP und ihrem Appell an Par­tei­chef Lind­ner, die FDP möge auf eine eige­ne Kan­di­da­tur ver­zich­ten. Hat nichts genützt, ihrer CDU und Lind­ners FDP blieb es 75 Jah­re nach Ende des Nazi-Ter­rors vor­be­hal­ten, mit dem Faschis­ten Höcke die Demo­kra­tie aus­ge­he­belt zu haben. Bei den zu erwar­ten­den Neu­wah­len wird davon ver­mut­lich Höckes AfD profitieren.

Katharina König-Preuss (Die Linke Thüringen): "Zur Einordnung: #AfD hatte angekündigt, auf eigenen Kandidaten zu verzichten, sofern Kandidat von #CDU oder #FDP aufgestellt wird & diesen zu wählen. FDP hatte erklärt, anzutreten, wenn im III. Wahlgang nur Kandidaten #r2g und #AfD zur Wahl stünden. Wahrscheinliches Szenario: AfD wählt im III. Wahlgang nicht den eigenen Kandidaten, sondern den Kandidaten der FDP. Würde der Logik & den Ankündigungen der AfD folgen. #mpwahl #Thüringen"
Katha­ri­na König-Preuss (Die Lin­ke Thü­rin­gen): „Zur Ein­ord­nung: #AfD hat­te ange­kün­digt, auf eige­nen Kan­di­da­ten zu ver­zich­ten, sofern Kan­di­dat von #CDU oder #FDP auf­ge­stellt wird & die­sen zu wäh­len. FDP hat­te erklärt, anzu­tre­ten, wenn im III. Wahl­gang nur Kan­di­da­ten #r2g und #AfD zur Wahl stün­den. Wahr­schein­li­ches Sze­na­rio: AfD wählt im III. Wahl­gang nicht den eige­nen Kan­di­da­ten, son­dern den Kan­di­da­ten der FDP. Wür­de der Logik & den Ankün­di­gun­gen der AfD fol­gen. #mpwahl #Thü­rin­gen”

Aus­ge­wähl­te Reaktionen

Paul Schus­ter, Prä­si­dent des Zen­tral­rats der Juden

»Ich bin ent­setzt, dass sich der Lan­des- und Frak­ti­ons­chef der FDP in Thü­rin­gen mit den Stim­men der AfD zum Minis­ter­prä­si­den­ten hat wäh­len las­sen.« Mit die­sen Wor­ten reagier­te der Prä­si­dent des Zen­tral­rats der Juden, Josef Schus­ter, auf das über­ra­schen­de Ergeb­nis der Abstim­mung am Mitt­woch im Land­tag in Erfurt, bei der FDP-Poli­ti­ker Tho­mas Kem­me­rich auch mit Stim­men von CDU und der AfD zum Minis­ter­prä­si­den­ten gewählt wur­de. »Damit ver­lässt die FDP den Kon­sens der demo­kra­ti­schen Par­tei­en, nicht mit der AfD zusam­men­zu­ar­bei­ten oder auf die Unter­stüt­zung der Rechts­po­pu­lis­ten zu zäh­len«, beton­te Schus­ter. (juedische-allgemeine.de, 5.2.20)

Marie-Agnes Strack-Zim­mer­mann, Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te und Mit­glied des FDP-Vorstands

Dass sei­en nicht ihre Frei­en Demo­kra­ten, die von einer Höcke-AfD gewählt wür­den, sag­te Strack-Zim­mer­mann im Deutsch­land­funk. Sie hof­fe, dass Kem­me­rich noch heu­te von sei­nem Amt zurück­tre­te. Er hät­te wis­sen müs­sen, wel­che Dimen­si­on dies anneh­me. Es habe sich nicht nur die Wahl eines Minis­ter­prä­si­den­ten in einem der 16 Bun­des­län­dern gehan­delt. Die Wahl habe viel­mehr ganz gro­ße Aus­wir­kun­gen auf den Rest der Repu­blik. Strack-Zim­mer­mann nann­te den AfD-Poli­ti­ker Höcke einen Faschis­ten. Wört­lich sag­te sie: In ein brau­ne­res Loch kön­ne man nicht schau­en. (deutschlandfunk.de, 5.2.20)

Ger­hart Baum, Ex-Innen­mi­nis­ter, FDP

Gerhard Baum: "Jetzt brennt die ganze FDP!" (Die Zeit)
Ger­hard Baum: „Jetzt brennt die gan­ze FDP!” (Die Zeit)

Der heu­ti­ge Tag ist ein Damm­bruch und ein schwar­zer Tag für die deut­sche Poli­tik. Die AfD jubelt und kann sagen: An uns geht kein Weg vor­bei! Und in der Tat ist heu­te zum ers­ten Mal ein deut­scher Minis­ter­prä­si­dent von einer nicht demo­kra­ti­schen Par­tei gewählt wor­den, von einer Par­tei, die die Demo­kra­tie aktiv bekämpft. (…) Die Reak­ti­on von Lind­ner ist nicht aus­rei­chend und nicht über­zeu­gend. Er hat behaup­tet, die Mit­te habe gesiegt – hat Herr Lind­ner jetzt etwa die AfD in die Mit­te auf­ge­nom­men? Er lässt auch nicht davon ab, links und rechts gleich­zu­set­zen. Wir haben aber in Deutsch­land eine rechts­extre­me Par­tei, die die Nazi-Ideo­lo­gie wie­der­be­lebt. Die Gefahr ist auf rech­ter Sei­te viel grö­ßer als auf lin­ker Sei­te  – und im Übri­gen ist Herr Rame­low von der Lin­ken doch kein Extre­mist. Die­se Gleich­set­zung von rechts und links ist ange­sichts der deut­schen Geschich­te nicht hin­nehm­bar. (zeit.de, 5.1.20)

Kata­ri­na Bar­ley, EP-Abge­ord­ne­te, SPD

An die­sem Tag habt ihr eure Unschuld ver­lo­ren, CDU und FDP. FDP-Mann lässt sich von CDU und AfD zum MP wäh­len. Und nicht von irgend­ei­ner AfD, auch noch von Höcke. Das ist der, den man Nazi nen­nen darf, juris­tisch bestä­tigt. Eure Ver­ant­wor­tung wiegt schwer. (via Twit­ter)

Ben­ja­min-Imma­nu­el Hoff, bis ges­tern Lei­ter der Staats­kanz­lei Thü­rin­gen, Die Linke

Soeben habe ich die #Staats­kanz­lei @thueringende an den neu­en Minis­ter­prä­si­den­ten @KemmerichThL über­ge­ben: „Sehr geehr­ter Herr Minis­ter­prä­si­dent, es war der Ord­nungs­bund, der sich von den Natio­nal­so­zia­lis­ten tole­rie­ren und ins Amt hie­ven gelas­sen hat. Dar­aus ent­stand der Mus­ter­gau Thü­rin­gen. Sie müs­sen damit leben ein Minis­ter­prä­si­dent von Gna­den der­je­ni­gen zu sein, die Libe­ra­le, Bür­ger­li­che, Lin­ke und Mil­lio­nen wei­te­re in Buchen­wald und anders­wo ermor­det haben. Ich gehe guten Gewis­sens.“ (via Twit­ter)

Julia Bähr, Jour­na­lis­tin, Frank­fur­ter Allgemeine

An die­sem ganz und gar unper­fek­ten Tag im Thü­rin­ger Land­tag gab es einen ein­zi­gen per­fek­ten Moment für die Ewig­keit. Er ist Susan­ne Hen­nig zu ver­dan­ken, der Lan­des­vor­sit­zen­den der Lin­ken. (faz.net, 5.2.20)

Mat­thi­as Quent, Rechtsextremismusforscher

Matthias Quent: Damit ist der politische #Rechtsruck in der ersten Regierung angekommen. Die bürgerlichen Sonntagsreden in den vergangenen Wochen und Monaten #WeRemember usw. erweisen sich als Heuchelei. Man kooperiert wieder mit Rechtsextremisten - gegen den Willen der Mehrheit. #thüringen
Mat­thi­as Quent: „Damit ist der poli­ti­sche #Rechts­ruck in der ers­ten Regie­rung ange­kom­men. Die bür­ger­li­chen Sonn­tags­re­den in den ver­gan­ge­nen Wochen und Mona­ten #WeRe­mem­ber usw. erwei­sen sich als Heu­che­lei. Man koope­riert wie­der mit Rechts­extre­mis­ten — gegen den Wil­len der Mehr­heit. #thü­rin­gen”

P.S.: Tomasz Froelich, Pres­se­spre­cher der AfD im EP, stell­ver­tre­ten­der Bun­des­vor­sit­zen­der der „Jun­gen Alter­na­ti­ve“ (stu­dier­te in Wien)

Tomasz Froelich: "Die Auswanderung Michel Friedmabns rückt näher" FIPU: Der Herr mit dem Friefdman-Zitat war übrigens auch schon zu Gast am Wiener Akademikerball."
Tomasz Froelich: „Die Aus­wan­de­rung Michel Fried­mans rückt näher” (mit Ret­weet vom Iden­ti­tä­ren Sell­ner)  FIPU: Der Herr mit dem Fried­man-Zitat war übri­gens auch schon zu Gast am Wie­ner Akademikerball.”

PP.S: Es lohnt sich, auch einen Blick nach Ita­li­en zu wer­fen, wo sich am Diens­tag eine recht extre­me Trup­pe zusam­men­ge­fun­den hat­te. Mit dabei Vik­tor Orbán, des­sen Par­tei Fidesz noch immer Mit­glied der EVP-Frak­ti­on im Euro­päi­schen Par­la­ment ist.

„Gott, Ehre, Vater­land: Prä­si­dent Ronald Rea­gan, Papst Johan­nes Paul II. und die Frei­heit der Natio­nen”: So lau­tet der etwas ver­schwur­bel­te Zusatz­ti­tel einer hoch­ka­rä­tig besetz­ten Ver­an­stal­tung, die am Diens­tag in Rom über die Büh­ne geht. Der eigent­li­che Name der Kon­fe­renz hät­te es wohl auch getan: „Natio­na­ler Konservativismus”.

Orga­ni­siert wird das Gan­ze von der US-ame­ri­ka­ni­schen, ultra­kon­ser­va­ti­ven Edmund Bur­ke Foun­da­ti­on mit Sitz in den Nie­der­lan­den. Neben Matteo Sal­vi­ni, Chef der ita­lie­ni­schen Rechts­au­ßen­par­tei Lega, und Gior­gia Melo­ni, Füh­re­rin der post­fa­schis­ti­schen Fratel­li d’I­ta­lia, wur­den unter ande­rem Ungarns Pre­mier Vik­tor Orbán, die Fran­zö­sin Mari­on Maré­chal vom rechts­extre­men Ras­sem­blem­ent Natio­nal sowie der pol­ni­sche EU-Abge­ord­ne­te Rys­zard Legut­ko von der rechts­na­tio­na­len Regie­rungs­par­tei Recht und Gerech­tig­keit (PiS) in Rom erwar­tet. (derstandard.at, 4.2.20)