Lesezeit: 7 Minuten

Unterbergers Enthemmung – vom Presse-Chefredakteur zum rechten Online-Troll (Teil 1): Völkischer Antifeminismus

Anfang des Jah­res 2019 gra­tu­liert Rai­ner Novak, Chef­re­dak­teur der Pres­se, sei­nem Vor­gän­ger in einem Arti­kel zu des­sen 70. Geburts­tag. Dar­in bezeich­net Nowak ihn als den „publizistische[n] Ban­ner­trä­ger der Rechts­kon­ser­va­ti­ven Öster­reichs“ und wünscht sich, dass Unter­ber­ger „hof­fent­lich noch lang nicht an die publi­zis­ti­sche Pen­si­on“ den­ke. Er meint damit Unter­ber­gers Blog „Poli­ti­sches Tage­buch“. Die pathe­ti­sche Wür­di­gung ver­harm­lost einen […]

10. Jan 2020

Alle gegen die Fami­lie – vom „Fahr­rad­ter­ror“ in der Stadt bis zur „Schwu­len­pro­pa­gan­da“ an Schu­len 

Ein Text mit dem Titel „Fami­lie: Ein Erfolgs­mo­dell über­lebt feind­li­chen Dau­er­be­schuss“, den Unter­ber­ger am 26.12.19 auf sei­nen Blog gela­den hat, führt exem­pla­risch vor Augen, wie Unter­ber­ger gegen die angeb­li­che Zer­stö­rung der Fami­lie pol­tert. Es geht dabei um alles, was nicht ins rech­te Welt­bild passt: Unter­ber­ger pole­mi­siert gegen die „Kli­ma­hys­te­rie-Bewe­gung“, die kin­der­lo­se Part­ner­schaf­ten als Vor­bild hin­stel­len wür­de und gegen „die Medi­en“, weil „die meis­ten Jour­na­lis­ten fami­li­en­freund­li­che Pro­gram­me“ nicht mögen wür­den. 

Dar­auf fol­gen auto­ri­tä­re Fan­ta­sien, die im ver­schwö­rungs­theo­re­ti­schen Duk­tus daher­kom­men: Die „inter­na­tio­na­le Poli­tik“ scha­de den Fami­li­en „neu­er­dings beson­ders raf­fi­niert durch das Vor­an­trei­ben von ‚Kin­der­rech­ten’“. In Wahr­heit sei die Poli­tik an Kin­dern aber des­in­ter­es­siert. Unter­ber­ger wählt als Bei­spiel dafür die Ver­kehrs­po­li­tik der Stadt Wien, wo „der Fahr­rad­ter­ror die Herr­schaft über­nom­men“ habe. Ein län­ge­res Zitat führt die Absur­di­tät von die­ser Argu­men­ta­ti­on vor Augen: 

Auf vie­len Geh­we­gen brau­sen Fahr­rä­der oder Elek­tro­scoo­ter wild an den Fuß­gän­gern vor­bei, gefähr­den sie und schrän­ken den Lebens­raum der städ­ti­schen Kin­der noch wei­ter ein. In der Wir­kung ist es ganz egal, ob sie das ille­gal oder legal tun (infa­me Ver­kehrs­zei­chen erlau­ben ja neu­er­dings die Dop­pel­nut­zung von Wegen für Rad­fah­rer wie Fuß­gän­ger, was natür­lich Kin­der und ande­re Fuß­gän­ger zu hilf­lo­sen Opfern macht). Fahr­rad­fah­rer sind in einer rot­grü­nen Stadt die obers­ten Hei­li­gen, wes­halb nichts gegen sie unter­nom­men wird. Und Opfer sind wie­der ein­mal die Kin­der, deren öffent­li­cher Lebens­raum wei­ter ein­ge­schränkt ist (die Stra­ße haben sie ja schon lan­ge ver­lo­ren …). 

Unter­ber­ger unter­streicht sei­ne rück­wärts­ge­wand­te Fami­li­en­ro­man­tik also mit einem hal­lu­zi­nier­ten Bedro­hungs­sze­na­rio: Der „Fahr­rad­ter­ror“, die „infa­men Ver­kehrs­zei­chen“ und die Kin­der als hilf­lo­se Opfer“. Es klingt wie Sati­re, ist es lei­der nicht. 

Wei­ter geht es gegen Schwu­le, Les­ben und Trans­gen­der-Per­so­nen für die es angeb­lich sei­tens der Stadt­po­li­tik „zehn­mal mehr Enga­ge­ment“ gebe als für die klas­si­sche Fami­lie. Unter­ber­ger unter­stellt der staat­li­chen Sexu­al­erzie­hung „Schwu­len­pro­pa­gan­da“, er spot­tet von „les­bi­schen oder schwu­len Eltern-Per­si­fla­gen“ und behaup­tet allen Erns­tes, dass die „Selbst­ver­wirk­li­chungs-Vor­stel­lun­gen homo­se­xu­el­ler Paa­re zum obers­ten Rechts­gut gewor­den“ sei­en. Unter­ber­ger ver­birgt sei­nen anti­fe­mi­nis­ti­schen und homo­pho­ben Hass kaum noch. 

Selbst­ver­ständ­lich gibt es auch Unter­grif­fe gegen Lin­ke und Libe­ra­le, Unter­ber­ger spricht z.B. von „fami­li­en­feind­li­chen und radi­kal­gen­de­ris­ti­schen Grü­nen“ oder von „lin­ker Dümm­lich­keit“, wenn es um eine Aus­sa­ge von SPÖ-Che­fin Ren­di-Wag­ner geht. 

Kurz­um, der Text ver­wen­det das The­ma „Fami­lie“ um so ziem­lich jedes Kli­schee anzu­stim­men, das gegen­wär­tig in der rech­ten Medi­en-Par­al­lel­welt en vogue ist: Gegen „Kli­ma­hys­te­rie“, gegen Jour­na­lis­tIn­nen, gegen Fahr­rä­der, gegen Schwule/Lesben, ja sogar gegen Kin­der­rech­te, gegen Lin­ke, gegen Femi­nis­mus, gegen Flücht­lin­ge etc. Lob gibt es im Rah­men die­ses Rund­um­schlags wenig über­ra­schend nur für die kon­ser­va­ti­ve (prä­zi­ser wäre wohl reak­tio­nä­re) Fami­li­en­po­li­tik in Staa­ten wie Ungarn oder Polen.

Völ­ki­sches 

Unter­ber­ger geht dies­mal aber noch einen ideo­lo­gi­schen Schritt wei­ter nach rechts – er argu­men­tiert völ­kisch. Sol­che Töne klin­gen an, wenn er behaup­tet „dass Euro­pas auto­chtho­ne Bevöl­ke­rung im raschen Aus­ster­ben ist“ und dann for­dert, der Staat müs­se „viel mehr die auto­chtho­ne Fami­lie ins Zen­trum rücken, statt die­sen Gedan­ken als völ­kisch zu denun­zie­ren.“ Er ver­wen­det „auto­chthon“ in rechts­extre­mer Manier als Kampf­be­griff um an ein offen­sicht­lich eth­nisch gefass­tes Wir-Gefühl zu appel­lie­ren – das ist klar als völ­kisch ein­zu­schät­zen. 

Letzt­lich zielt die völ­ki­sche Argu­men­ta­ti­on auf kin­der­lo­se Frau­en, denen Unter­ber­ger erklärt was sie eigent­lich wol­len, schließ­lich sage ihnen ja sonst nie­mand, „dass sie ein paar Jahr­zehn­te spä­ter drauf­kom­men wer­den, die – für sich sel­ber! – fal­sche Ent­schei­dung getrof­fen zu haben, wenn sie dann sagen: Wie­viel lie­ber hät­te ich Kin­der und Enkel­kin­der als die Erfah­rung, vol­le 45 Jah­re in einem Büro geses­sen zu sein!’. Es dürf­te kein Zufall sein, dass aus­ge­rech­net das The­ma „Fami­lie“ und der dahin­ter ste­hen­de Anti­fe­mi­nis­mus zu einer sol­chen völ­ki­schen Regres­si­on anregen.

 Schar­nier­funk­ti­on des Antifeminismus

In der kin­der­lo­sen Frau – die als Opfer dar­ge­stellt wird – kom­men die The­men „Fami­lie“ und „Bevöl­ke­rungs­po­li­tik“ zusam­men. Den hin­ter die­ser Kon­stel­la­ti­on ste­hen­den Feind­bil­dern Femi­nis­mus und Gen­der kommt eine bedeu­ten­de Schar­nier­funk­ti­on zwi­schen unter­schied­li­chen Spek­tren rech­ter und kon­ser­va­ti­ver Ideo­lo­gie zu. Ins­be­son­de­re das Motiv Bevöl­ke­rungs­po­li­tik ist für rechts­extre­me Akteu­re wich­tig, wie die Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin­nen Ste­fa­nie May­er und Judith Goetz festhalten:

Die Ver­schie­bung des anti­fe­mi­nis­ti­schen Dis­kur­ses in das Feld der Bevöl­ke­rungs­po­li­tik macht den Anti-Gen­der-Dis­kurs für rechts­extre­me Akteur_innen attrak­tiv, bie­tet er doch ein Nar­ra­tiv, das die Re-Arti­ku­la­ti­on unver­stellt völ­ki­schen Den­kens in einer Form erlaubt, die weit über rechts­extre­me Krei­se hin­aus anschluss­fä­hig ist.“ (2019, S. 217) Unter­ber­gers Text ist dafür ein gutes Bei­spiel. 

Anti­fe­mi­nis­mus ist gegen­wär­tig für die extre­me Rech­te enorm wich­tig: Sei­ne Brü­cken­funk­ti­on führt tief in den kon­ser­va­ti­ven Main­stream hin­ein und erfüllt eine inte­gra­ti­ve Funk­ti­on gegen­über rech­ten Ideo­lo­ge­men. In der anti­fe­mi­nis­ti­schen Erzäh­lung lässt sich etwa her­vor­ra­gend die auto­ri­tä­re Rebel­li­on gegen eine angeb­lich repres­si­ve „Poli­ti­cal Cor­rect­ness“ mit dem völ­ki­schen Wahn vom „gro­ßen Aus­tausch“ ver­ei­nen. Nach­dem offen ras­sis­ti­sche oder anti­se­mi­ti­sche Moti­ve gegen­wär­tig nicht direkt dazu in der Lage sind, Kon­ser­va­ti­ve in Rich­tung rechts zu mobi­li­sie­ren, eig­net sich der Anti­fe­mi­nis­mus ob sei­ner Popu­la­ri­tät bes­tens als Tür­öff­ner für den Ein­stieg in die rechts­extre­me Ideo­lo­gie. 

Hass­explo­si­on in der Kom­men­tar­spal­te 

Noch ent­hemm­ter, aber inhalt­lich fol­ge­rich­tig, geht es übrin­gens in der Kom­men­tar­spal­te unter­halb von Unter­ber­gers Arti­kels zur Sache. Der belieb­tes­te Kom­men­tar (jener mit den meis­ten Stern­chen) erscheint direkt unter Unter­ber­gers Text und ist wenig über­ra­schend auch einer der hef­tigs­ten. Ein Troll, der sich „Temp­ler“ nennt, erklärt, die Fami­lie wer­de im „Abend­land“ „seit Jahr­zehn­ten stru­ku­riert [sic!] und gezielt zer­stört“. Wei­ter wird behaup­tet: „Die Frau soll sich vom hie­si­gen Mann lösen und nicht ‚unter­drü­cken‘ las­sen, sie soll arbei­ten gehen und ihre Kin­der zur Umer­zie­hung abge­ben“; Frau­en­be­ra­tungs­stel­len sei­en „mitt­ler­wei­le eine eige­ne Indus­trie“. Dann geht es noch gegen Mus­li­me und um die Rol­le der Frau im „Mor­gen­land“: mit der für Rechts­extre­me typi­schen Mischung aus ras­sis­ti­schem Hass und Fas­zi­na­ti­on bezüg­lich der Unter­drü­ckung von Frau­en. 

Ärger noch ist der drit­te der „belieb­tes­ten Kom­men­ta­re“, von einem Franz77:

Die Fami­lie ist ein rie­si­ges Erfolgs­mo­dell das sogar geför­dert wird. Das wis­sen sogar die musel­ma­ni­schen Geis­tes­rie­sen. Der haa­ri­ge Ober­be­fehls­ha­ber braucht sei­nen ein­ge­müll­ten Koh­len­sack (meis­tens sind es meh­re­re) nur ficki ficki — und Geld kommt. Die, von denen das Geld kommt, wer­den ver­ach­tet. Arbei­ten? Wozu. Allah ist groß.

Es passt zu der eska­lie­ren­den Hass­dy­na­mik rech­ter Online-Mobs, dass das Ärgs­te am meis­ten Auf­merk­sam­keit und Zuspruch erhält. Und es spricht Bän­de, dass Unter­ber­ger es ein­fach – ganz oben und direkt unter sei­nem Arti­kel! – ste­hen lässt. Wei­ter Aus­zü­ge aus den rund hun­dert Kom­men­ta­ren erspa­ren wir unse­ren Lese­rIn­nen gerne.

Unter­ber­ger ist ein Para­de­bei­spiel für einen „Brü­cken­bau­er“ von rechts­kon­ser­va­tiv hin zu rechts­extrem, wobei der bespro­che­ne Text Letz­te­rem zuzu­schrei­ben ist. Sei­ne Arti­kel bele­gen eine inhalt­li­che Ent­hem­mung und eine intel­lek­tu­el­le Ver­wahr­lo­sung son­der­glei­chen. Unter­ber­ger avan­ciert damit zum Para­de­bei­spiel eines Ban­ner­trä­gers für den hass­erfüll­ten rech­ten Online-Mob und jenes Typus, dem der Sozio­lo­ge Wil­helm Heit­mey­er das Attri­but der rohen Bür­ger­lich­keit“ zuord­net. Kein Wun­der, dass er damit auch ein belieb­ter Kron­zeu­ge der FPÖ und von ande­ren Rechts­extre­men gewor­den ist.

Teil 2: Unter­ber­gers Ent­hem­mung: Ein Wut-Blog und sei­ne Freunde

Quel­le

Andre­as Unter­ber­ger (26.12.2019): „Fami­lie: ein Erfolgs­mo­dell über­lebt feind­li­chen Dau­er­be­schuss“ (26.12.2019), online auf Andreas-Unterberger.at, zuletzt ein­ge­se­hen am 08.01.2020

Lite­ra­tur

Götz, Judith/Mayer, Ste­fa­nie (2019): Mit Gott und Natur gegen geschlech­ter­po­li­ti­schen Wan­del. Ideo­lo­gie und Rhe­to­ri­ken des rech­ten Anti­fe­mi­nis­mus. In: FIPU (Hg.): Rechts­extre­mis­mus. Band 3: Geschlech­ter­re­flek­tier­te Per­spek­ti­ven. Edi­ti­on kri­tik & uto­pie, Wien: Man­del­baum.