Was sich in Norwegen gerade abspielt, ist ein veritabler Politkrimi mit rechtspopulistischer und rechtsextremer Beteiligung. Die Zutaten: eine rechte Regierungskoalition wie bis vor kurzem in Österreich, ein kritisches Theaterstück, ein norwegisches „Unzensuriert“, bedrohliche Anschläge, eine völlig überraschende Wendung, die mit dem Ibiza-Video hart konkurriert und der Rücktritt des rechten Justizministers.
Seit 2013 gibt es in Norwegen eine ähnliche Regierungskonstellation wie in den vergangenen Monaten in Österreich: eine konservative Partei, die Høyre („Rechte“) mit Ministerpräsidentin Erna Solberg koaliert mit der Fremskrittspartiet (FrP, „Fortschrittspartei“). Trotz Verlusten für beide Parteien 2017 wird die Koalition fortgesetzt. Dann passiert etwas: ein kritisches Theaterstück, das Rechtspopulismus, Rassismus und deren Akteure aufs Korn nimmt, wird von den Rechten gnadenlos skandalisiert und kriminalisiert – bis es eine überraschende Wendung gibt und der FrP-Justizminister zurücktreten muss.
Der Skandal, der Ende März 2019 zum Rücktritt des rechten Justizministers Tor Mikkel Wara geführt hat, ist in seiner Bedeutung wohl vergleichbar mit der Erschütterung, die das Ibiza-Video in Österreich ausgelöst hat. Die Konsequenzen sind allerdings bislang unzureichend (wir kennen das!). In den Medien außerhalb des Landes finden die unglaublichen Ereignisse, die so etwas wie ein Lehrstück über den Rechtspopulismus bilden, nahezu keine Erwähnung.
Doch der Reihe nach: Ende November fand in dem Osloer Theater Black Box die Premiere des Stückes „Ways of Seeing“ statt. Im Stück werden Akteure der rechten Szene in Norwegen und ihre Netzwerke thematisiert. Die „Süddeutsche Zeitung“ dazu:
„Es verknüpft die Punkte und nennt Namen: Von rechtsextremen Bloggern und ihren milliardenschweren Förderern aus dem Herzen der norwegischen Finanzwelt. Von der mächtigen PR-Agentur ‚First House’, und von Politikern wie Tor Mikkel Wara, der der Fortschrittspartei FRP angehört, deren Politiker libertäre Marktgläubigkeit und Steuerfeindlichkeit gerne mit islamophoben und rechtspopulistischen Tönen unterfüttern.“
Bis zu ihrem Regierungseintritt 2013 war die FrP eine weitgehend geächtete Partei. Anders Behring Breivik, der rechtsextreme Attentäter und Mörder, war bis 2006 Mitglied der Partei, wofür die Partei bei den Kommunalwahlen 2011, die zwei Monate nach dem Attentat stattfanden, ordentliche Verluste hinnehmen mussten. Obwohl Høyre bei den Parlamentswahlen 2013 trotz starker Zugewinne nur zweitstärkste Partei (26,8%) hinter den Sozialdemokraten (30,9 %) geworden war, bildete sie mit der stark geschwächten FrP (16,3%) eine Minderheitsregierung, die von der liberalen Venstre und den Christdemokraten unterstützt wurde, die mittlerweile beide in die Regierung eingetreten sind.
In dem Stück „Ways of Seeing“ werden Videoclips eingeblendet, die die Fassaden der Wohnhäuser von Politikern der FrP, darunter Justizminister Wara, zeigen: auch das Haus von Helge Lurås, Redakteur der rechtspopulistischen Onlineplattform „Resett“ Auf der Bühne kauern vor den Clips die SchauspielerInnen in Büschen: Es geht um die bildliche Übersetzung von Überwachungsstaat, Rassismus und rechter Hetze. Wohnadressen und BewohnerInnen werden nicht gezeigt.
Die vorwiegend fremden- und islamfeindliche Plattform „Resett“, die in Aufmachung und Untertitel („Unzensurierte Nachrichten“) wie ein Klon von ‚unzensuriert.at‘ wirkt, gibt es seit 2017 und wurde von den norwegischen Milliardären Jan Haudemann-Andersen und Øystein Stray Spetalen gegründet.
„Wes Geistes die Plattform ist, zeigte sich kürzlich, als die Redaktion der Satiresendung Satiriksdes staatlichen Rundfunksenders NRK einen Avatar namens Jan Atlas Johansen erfand, in dessen Namen sie auf Resett.no39 Kommentare veröffentlichten. Es handelte sich dabei um direkte Abschriften aus Anders Breiviks Manifest – leicht verfremdet, da sie in die zweite norwegische Standardsprache Nynorsk übersetzt worden waren. Die Moderatoren der Seite, sahen keinen Anlass, die Beiträge zu löschen“, kommentierte die deutsche Wochenzeitung „Der Freitag“.
Als Akteur auf der Bühne tritt auch Ketil Lund (80) auf, der vor seiner Pension als Richter des Höchstgerichts und Vorsitzender der Lund-Kommission gegen Überwachungsaktionen des Staatsapparates geradezu zu einer Legende des demokratischen Rechtsstaates in Norwegen geworden ist.
Der Inhalt des Stücks und seine Inszenierung sprechen sich nach der Premiere rasch herum – ein erster Aufschrei geht durch die rechte Szene und deren Medien. Eine Frau erscheint bei einer der nächsten Aufführungen im Theater, filmt die Vorstellung Hinweis auf die Urheberrechte. Es ist, wie sich herausstellt, die Lebensgefährtin des Justizministers Wara, die in der Boulevardzeitung „Verdens Gang“ dann einen Kommentar mit einer scharfen Kritik an dem Stück veröffentlicht: „Sie nennen es Kunst, ich nenne es einen groben Eingriff in meine Privatsphäre.“
Gegen die Freiheit der Kunst und die Freiheit des Wortes haben auch hierzulande Vertreter der extremen Rechten inkl. der FPÖ immer wieder Kampagnen geführt: von Thomas Bernhards „Heldenplatz“-Premiere, gegen die Strache gemeinsam mit Rechtsextremen demonstrierte über Haiders unsägliche Polemiken gegen die „Staatskünstler‘ Jelinek und Co. bis hin zum Zensuraufruf eines FPÖ-Lokalpolitikers gegen ein Nestroy-Stück.

FP-Angriff auf PolitikerInnen und Kulturschaffende im Wiener GR-Wahlkampf 1995: „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Pymann, Pasterk… oder Kunst und Kultur?” (Screenshot Standard)
Nach dem aggressiven Kommentar von Laila Anita Bertheussen, der Lebensgefährtin des rechten Justizministers, geht es Schlag auf Schlag: Auf die Hauswand und das Auto des Justizministers werden Hakenkreuze und die Parole „rasisit“ gesprayt. Rassist heißt aber im Norwegischen „rasist“. Beherrschen der/die Täter nicht die Sprache? Ausländer? Der extrem rechte Abgeordnete Christian Tybring-Gjedde von der FrP spekuliert tags darauf in einer Zeitung über einen Zusammenhang zwischen dem Stück und dem Anschlag. Die Fortschrittspartei stellt im Osloer Stadtparlament den Antrag, dem Theater Black Box die Subvention zu streichen. Der Antrag wird abgelehnt, aber die Debatte über die angeblichen Grenzüberschreitungen durch das Stück gehen weiter – das Theater, die Regisseurin und die SchauspielerInnen erhalten Drohungen, Laila Anita Bertheussen erstattet Anzeige gegen die Verantwortlichen des Theaters.
Auch die Anschläge auf das Haus des Justizministers gehen weiter, werden immer bedrohlicher: Im Jänner wird die Mülltonne angezündet, im Februar stellt die Polizei Plastikflaschen mit leicht entflammbarer Flüssigkeit am Familienauto sicher, Anfang März erhält die Familie einen fehlerhaften Drohbrief, gefüllt mit einem weißen Pulver. Gottseidank keine Milzbrandsporen, sondern eine ungefährliche Substanz! Dann – eine Woche später – der vorläufige Höhepunkt: Das Familienauto wird angezündet und muss gelöscht werden. Das Theaterstück und die ihm zugeschriebenen Anschläge werden jetzt zur Staatsaffäre. Premierministerin Solberg kritisiert die Inszenierung des Stücks und die KünstlerInnen, macht sie indirekt verantwortlich.
Die Anzeige von Bertheussen, die von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden war, ist nach den Attacken und heftigen Angriffen auf die Theaterleute durch erfolgreichen Einspruch von Bertheussen wieder aufgenommen und zu einer Anklage erweitert worden.
Mittlerweile – so die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) – habe sich (so ein Zufall auch !) herumgesprochen,
„dass die beiden Hauptdarstellerinnen und Co-Autorinnen ihre Wurzeln außerhalb Norwegens haben: Hanan Benammar ist eine französische Künstlerin mit algerischen Wurzeln, Sara Baban eine norwegische Staatsbürgerin, die einst als Jugendliche aus dem kurdischen Teil Iraks geflohen ist. Hanan Benammar berichtet von einem Interview mit dem staatlichen Sender NRK: ‚Die erste Frage an mich war, ob wir uns verantwortlich fühlen für die Terrorangriffe auf das Haus von Tor Mikkel Wara.’ Hass- und Drohmails erreichten vor allem Sara Baban, die in den rechten Blogs nur mehr die Frau mit dem Maschinengewehr über der Schulter war (tatsächlich hatte sie auf ihrer Facebook-Seite die Zeichnung einer kurdischen Kämpferin aus Rojava gepostet, dem de facto autonomen Gebiet in Nordsyrien).“
Das Schlimmste in dieser Phase waren für die KünstlerInnen nicht so sehr die Angriffe der Rechten, sondern die Übernahme der rechten Erzählung von der Schuld der Theaterleute und ihrer angeblichen Aggression: „Ich bekomme jetzt zu hören, dass ich polarisiere. (..) Ernsthaft: Gegen Rassismus zu sein, gilt heute als polarisierend?“, so Hanan Benammar zur „SZ“.
Am Tag nach der Erklärung der konservativen Premierministerin erfolgt dann – wie in einem klassischen Theaterstück – die Peripetie, der plötzliche Umschlag. Ein Sonderkommando des norwegischen Nachrichtendienstes PST (vergleichbar mit unserem BVT) stürmt das Haus des Justizministers und nimmt seine Lebensgefährtin fest. Sie ist dringend verdächtig, alle Attacken auf Haus und Auto selbst inszeniert zu haben.
Die Staatsanwaltschaft zieht die bereits fertiggestellte Anklage gegen die Theaterleute zurück, Justizminister Wara wird zunächst beurlaubt, Ende März muss er dann endgültig zurücktreten. Eine Boulevardzeitung trauert ihm nach: „Der beste Justizminister, den wir je hatten.”
Eine Entschuldigung der Regierung bei den Theaterleuten gibt es bis heute nicht, auch keine sonstigen Konsequenzen für die Regierung. Ein Lehrstück in Sachen rechtsextremer bzw. rechtspopulistischer Demagogie ist die Geschichte trotzdem. Vielleicht auch die Vorlage für ein neues Theaterstück?
Quellen:
SZ: Der Minister und die Brandstifterin
Der Freitag: Oslo brennt
Frankfurter Rundschau: Ein Verdacht, der den Rechtspopulisten den Job kostet