Der Presserat – ein zahnloser Kontrolleur

Seit 2011 prüft auch der Öster­re­ichis­che Presser­at wieder Beschw­er­den, die sich gegen eine unko­r­rek­te, diskri­m­inierende und die Men­schen­würde ver­let­zende Berichter­stat­tung richt­en. Das Sank­tion­ssys­tem des Presser­ats ist milde, eigentlich völ­lig unzure­ichend, denn die schärf­ste Sank­tion ist ein öffentlich aus­ge­sproch­en­er Tadel. Wir haben uns das etwas genauer umgesehen.

Nach ein­er 2001 durch den Aus­tritt des Ver­ban­des Öster­re­ichis­ch­er Zeitun­gen (VÖZ) bed­ingten Zwangspause hat sich der Öster­re­ichis­che Presser­at 2010 als Selb­stkon­trol­lor­gan der öster­re­ichis­chen Print­me­di­en neu kon­sti­tu­iert und prüft seit 2011 die Beschw­er­den Betrof­fen­er, die Mit­teilun­gen Drit­ter und in ganz weni­gen Fällen „eigen­ständi­ge“ Wahrnehmungen (die durch den Presser­at selb­st getätigten) und veröf­fentlicht Entschei­dun­gen aktuell und in Jahresberichten.

Presserat Website

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Und schon vor ein­er Prü­fung greifen gewichtige Einschränkungen:

  • Für Radio, Fernse­hen und Web­seit­en ohne Bezug zu einem Print­medi­um ist der Presser­at nicht zuständig („unzensuriert.at“ ist z.B. ein Medi­um ohne Printausgabe).
  • Wie schon beim „alten“ Presser­at ver­weigert sich die „Kro­nen­zeitung“ der Schieds­gerichts­barkeit des Presser­ates. Eben­so ver­weigern „heute“, „Die ganze Woche“ und das Gratismedi­um „oe24.at“ (nicht aber „Öster­re­ich“!) und damit die aufla­gen- und reich­weit­en­stärk­sten Tageszeitun­gen des Lan­des. Die recht­en bzw. FPÖ-nahen Blät­ter „alles roger?“ „Aula“ (bis 2018), „Info-direkt“, „Neue Freie Zeitung“, „Wochen­blick“ und „Zur Zeit“ machen eben­falls nicht mit.
  • Wer Beschw­erde beim Presser­at ein­bringt, weil er oder sie per­sön­lich betrof­fen ist, der muss auf den Rechtsweg verzicht­en und unter­wirft sich der Schieds­gerichts­barkeit des Presserates.

Am Anfang – nach all den oben genan­nten Ein­schränkun­gen – ste­hen also Beschw­er­den von Betrof­fe­nen oder „Mit­teilun­gen“ Drit­ter, wonach ein Medi­um gegen den Ehrenkodex für die öster­re­ichis­che Presse ver­stoßen haben kön­nte. Zum Prozedere heißt es beim Presserat:

Beschw­er­den und Mit­teilun­gen kön­nen ein­er Ombudsper­son zugewiesen wer­den, um eine ein­vernehm­liche Stre­itschlich­tung zu ver­suchen. Kann keine ein­vernehm­liche Lösung erzielt wer­den, entschei­det der Sen­at über die Angele­gen­heit.

Das ist nicht wirk­lich ein­deutig. Auch kön­nen Medi­en, die sich nicht der Schieds­gerichts­barkeit unter­w­er­fen, als Folge von „Mit­teilun­gen“ zwar gerügt wer­den, sich auch an ein­er ein­vernehm­lichen Stre­itschlich­tung durch eine Ombudsper­son beteili­gen, aber nicht an einem Beschw­erde­v­er­fahren. Wobei die „härteste“ Sank­tion im Beschw­erde­v­er­fahren ja ohne­hin nur die Veröf­fentlichung des Urteilsspruchs (= Tadels) des Schieds­gerichts im jew­eils betrof­fe­nen Medi­um ist.

In die öster­re­ichis­che Wirk­lichkeit über­set­zt, heißt das: Print­me­di­en, die über­durch­schnit­tlich het­zen, diskri­m­inieren oder andere Regeln des Ehrenkodex nicht ein­hal­ten, entziehen sich von vorn­here­in den zahn­losen Ver­fahren des Presser­ats und haben so nur die schlechte Nachrede ander­er Medi­en zu befürchten.

Per­so­n­en, die von der Berichter­stat­tung solch­er Medi­en per­sön­lich neg­a­tiv betrof­fen sind („Beschw­er­den“), kann man daher in den meis­ten Fällen nur den Rechtsweg anrat­en – wenn sie men­tal und finanziell dazu in der Lage bzw. wil­lens sind. Selb­st da gibt es aber Risiken.

Am Beispiel „Wochen­blick“

Als der ÖVP-Bürg­er­meis­ter von Tulln im Früh­jahr 2017 vom FPÖ-nahen „Wochen­blick“ wahrheitswidrig beschuldigt wurde, an der Ver­tuschung ein­er Verge­wal­ti­gung durch Asyl­wer­ber mit­gewirkt zu haben, klagte der den „Wochen­blick“, nach­dem er zuvor in Shit­storms auf Face­book als „Volksver­räter”, „Migra­tionsaffe”, „Ver­tusch­er” und „Ver­brech­er” beschimpft wor­den war – auch mit mas­siv­en gefährlichen Dro­hun­gen gegen sich und seine Fam­i­lie. Das Gericht stellte zwar fest , dass es sich um „ten­den­z­iöse und äußerst reißerische“ Berichter­stat­tung gehan­delt habe, die ein Poli­tik­er allerd­ings aushal­ten müsse.

Anders lief es allerd­ings bei einem Bericht des „Wochen­blick“ über eine Stu­di­en­reise der Gew­erkschaft­sju­gend nach Barcelona im Sep­tem­ber 2017. Weil der „Wochen­blick“ daraus ein „Antifa-Sem­i­nar“ machte und die „Antifa“ unter Ter­rorver­dacht stellte, klagte die Gew­erkschaft GPA-djp OÖ und gewann.

3.000 Euro Geld­strafe musste der „Wochen­blick“ dem antifaschis­tis­chen Jour­nal­is­ten Thomas Ram­mer­stor­fer zahlen, nach­dem er ihn im Mai 2017 wahrheitswidrig beschuldigt hat­te, sich absichtlich und ille­gal an Schü­lerIn­nen bere­ichert zu haben.

Alle drei Gericht­surteile betr­e­f­fen Berichte des „Wochen­blick“ im Jahr 2017. Auch der Presser­at set­zte sich im Jahr 2017 mehrfach mit dem „Wochen­blick“ auseinan­der. 15 Fälle wur­den an das Gremi­um herange­tra­gen, aber nur in einem Fall wurde ein „Ver­stoß“ reg­istri­ert, in einem zweit­en gab’s einen Brief an den Chefredak­teur des „Wochen­blick“, in dem dieser aufge­fordert wurde, „der­ar­tige diskri­m­inierende Untertöne in Zukun­ft zu unter­lassen“, und in einem weit­eren Fall wurde in einem „Hin­weis“ ein für den Presser­at „ger­ingfügiger Ver­stoß“ gegen den Ehrenkodex für die öster­re­ichis­che Presse gerügt. Da wer­den die „Wochenblick“-Verantwortlichen aber ordentlich gezit­tert haben!

Wochenblick: Soros stürzte Silberstein (1)

Wochen­blick: Soros stürzte Sil­ber­stein (1)

Dass der „Wochen­blick“ seit 2017 gegen George Soros in ein­schlägig bekan­nter Weise kam­pag­nisiert, ihm schon Monate vor Sil­ber­stein fra­gend unter­stellt, hin­ter der Kurz-Kan­di­datur zu ste­hen, bei Unruhen in Kat­alonien mitzu­mis­chen usw., das alles beschäftigte den Presser­at offen­sichtlich nicht. Was neben den drei veröf­fentlicht­en Fällen näm­lich in den anderen zwölf Hin­weisen an den Presser­at herange­tra­gen wurde, wird nicht veröffentlicht.

Wochenblick: Soros stürzt Silberstein (2)

Wochen­blick: Soros stürzt Sil­ber­stein (2)

Wochenblick Oktober 17: Soros Unruhen Katalonien

Wochen­blick Okto­ber 17: Soros Unruhen Katalonien

Wochenblick: Soros in Katalonien aktiv

Wochen­blick: Soros in Kat­alonien aktiv

Keine Kon­se­quenz bei Verstößen

Wie aber sieht es ins­ge­samt mit den Beschw­er­den und Mit­teilun­gen an den Presser­at aus? 2011 wur­den 80 Fälle an den Presser­at herange­tra­gen, bei neun davon wur­den Ver­stöße fest­gestellt, 2012 waren es 145 Fälle und 13 Ver­stöße, 2014 238 Fälle und 35 Ver­stöße. 2015 war der Peak bei den Ver­stößen (46), nicht aber bei den Fällen (253). 2017 wur­den 320 Fälle reg­istri­ert und 30 Verstöße.

Immer wieder mal in diesen Jahren waren die recht­en Zeitun­gen bei den Ver­stößen dabei, vier­mal Mölz­ers „Zur Zeit“, nur ein­mal (!) die „Aula“, „Info-direkt“ und die „Neue Freie Zeitung“. Der „Wochen­blick“ ste­ht schon in seinem Grün­dungs­jahr 2016 mit drei Ver­stößen in der Sta­tis­tik, 2017 mit einem. Ein Blick in die bish­eri­gen Entschei­dun­gen für das Jahr 2018 ver­rät, dass der „Wochen­blick“ auch heuer wieder in der Kat­e­gorie „Ver­stöße“ und „Hin­weise“ auf­scheinen wird. Kon­se­quen­zen für die Berichter­stat­tung sind mit großer Sicher­heit auszuschließen.

Fallstatistik Presserat 2017

Fall­sta­tis­tik Presser­at 2017

Der „Wochen­blick“ erhält bis­lang noch keine Presse­förderung durch den Bund – im Unter­schied zu Medi­en wie „Zur Zeit“ (45.000 Euro) und der FPÖ-Parteizeitung „Neue Freie Zeitung“ (50.000 Euro). Dafür wer­den die diversen bläulichen Print­or­gane gerne mit Inser­at­en von blauen Min­is­tern bedacht. Die gehen auch ins Geld – und wirken wie eine Unter­stützung für die Berichterstattung.

Gle­ich­es gilt natür­lich auch für die großen Print­me­di­en, die sich – so wie die bläulichen – den milden Rügen des Presser­ats ohne jede Kon­se­quenz entziehen kön­nen. Sie erhal­ten die Presse­förderung des Bun­des eben­so wie üppige Inser­aten­zuteilun­gen divers­er Min­is­te­rien, auch wenn sie häu­fig gegen die Ethikregeln des Presser­ates verstoßen.

Der Presser­at wird für seine Arbeit vom Bund mit ein­er Sub­ven­tion bedacht, die Print­me­di­en, die sich dem Presser­at entziehen und/oder sich laufend nicht an seine Regeln hal­ten, wer­den mit Presse­förderung und Inser­at­en belohnt – ein unhalt­bar­er Zustand!