Über 58 Seiten erstreckt sich die jüngste Anfragebeantwortung des deutschen Bundesinnenministeriums auf die „kleine Anfrage“ der Abgeordneten Ulla Jelpke u. a. von der Fraktion „Die Linke“ zu Neonazis auf der Flucht. In Österreich würden die Antworten von Innenminister Kickl vermutlich auf einen Bierdeckel passen: wegen laufender Ermittlungen … aus Gründen des Datenschutzes … keine Zahlen verfügbar. Dabei hätte auch Österreich gute Gründe, den Neonazis, die sich durch Flucht ihrer Haft entziehen wollen, nachzuspüren.
Da wären zunächst einmal die deutschen Neonazis, die sich nach Ansicht des deutschen BKA derzeit in Österreich aufhalten. Fünf sind es aktuell, die sich in Österreich anscheinend sehr wohl fühlen, denn ihr Haftbefehl ist schon älter als ein halbes Jahr. Das – so das BKA – heißt aber noch nicht, dass sie sich schon „längerfristig“ hier verstecken. Mit den fünf flüchtigen deutschen Neonazis führen wir übrigens die Liste der Fluchtländer vor Polen (4), Tschechien und Italien (3) und Großbritannien (2) an. Erstaunlich daran ist, dass Ungarn, das in den letzten Jahren ein bei Neonazis sehr beliebter Fluchtpunkt war (z.B. Gerd Honsik aus Österreich, Mario Rönsch aus Deutschland in der Statistik gar nicht aufscheint. Deutsche Neonazis sind, was die Fluchtdestinationen betrifft, abgesehen von Österreich durchaus wählerisch: Im Frühjahr 2018 hielten sich 6 in Österreich, 3 in Polen und jeweils 2 in Tschechien, Frankreich und Russland auf. (Mario Rönsch wurde übrigens am 28. März 2018 in Budapest verhaftet.)

Seit 2012 gibt es die Anfragen der Linken zu den Neonazis auf der Flucht. Waren es 2012 noch 266 Personen, die per Haftbefehl gesucht wurden, so ist die Anzahl in den Folgejahren permanent gestiegen, bis sie im Herbst 2017 mit 501 Personen ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte. Derzeit (Stichtag 28.9.18) beläuft sich die Zahl der flüchtigen Neonazis auf 467, wobei bei 108 von ihnen ein politisch motiviertes Delikt vorliegt, bei 99 mindestens ein Gewaltdelikt. Bei 12 dieser 99 Personen liegt ein Haftbefehl wegen einer politisch motivierten Gewalttat zugrunde.

Es gibt aber auch Neonazis, die aus Österreich flüchten – um ihrer Haftstrafe hier zu entgehen oder um ihre Haftstrafe abzukürzen. Bei dem vor 20 Jahren zu lebenslanger Haft verurteilten Mörder Gerhard S. muss es sich ja nicht unbedingt um einen Neonazi handeln, aber als er im Frühjahr 2018 nach einem Freigang nicht mehr in die Haftanstalt zurückkehrt war, wurde er sieben Wochen später auf einem Neonazi-Bauernhof in Sachsen-Anhalt beim „Kirschenpflücken“ von Zielfahndern aufgestöbert und wieder in seine Haftanstalt zurückgebracht.
Die Abgeordnete Sabine Schatz (SPÖ) hat vor zwei Wochen deshalb eine parlamentarische Anfrage an den Justizminister gestellt, weil sie (und auch wir) wissen will, ob die Fluchthilfe für Gerhard S. über die Neonazi-Kameraden vom Objekt 21 gelaufen ist. Schließlich war der braune Bauernhof in Sachsen-Anhalt mit dem Kirschbaum für Gerhard S. in den letzten Jahren auch ein Anlaufpunkt für die Objekt 21-Neonazis, wie das Foto in der Anfrage belegt.
Untergetauchte Neonazis auf „Stoppt die Rechten“: