„Zur Zeit“ – Eine Brutal-Satire in mehreren Akten

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In der letz­ten Woche sorg­te ein Blatt­sa­lat des Stan­dard-Jour­na­lis­ten Gün­ter Trax­ler zuerst für Ungläu­big­keit, danach für Auf­re­gung und die (vor­läu­fi­ge) Absa­ge einer FPÖ-Ver­an­stal­tung im Par­la­ment. Trax­ler zitier­te aus einem Arti­kel der Möl­zer-Pos­til­le Zur Zeit, in dem „Denk­an­stö­ße“ für die „Ver­bes­se­rung im Leben eines Durch­schnitts­men­schen“ gege­ben wur­den. Dass am 8. Novem­ber just Zur Zeit im Par­la­ment durch die FPÖ aus­ge­zeich­net wer­den soll­te, hat­te schluss­end­lich „schick­sals­haf­te“ Nachwirkungen.

Eine Bru­tal-Sati­re hat das von Andre­as Möl­zer und dem Döb­lin­ger FPÖ-Bezirks­rat Wal­ter Sele­dec her­aus­ge­ge­be­ne rechts­extre­me Schmie­ren­blatt Zur Zeit jüngst dop­pelt gelie­fert. Einer­seits als Zur Zeit-Eigen­be­zeich­nung eines von Lajos Rohon­c­zy gezeich­ne­ten Arti­kels mit dem Titel „Mehr Recht, Ruhe, Ord­nung im Land! Was wünscht sich Otto-Nor­mal­ver­brau­cher?“, ande­rer­seits durch eine Pres­se­aus­sendung, die Zur Zeit-Autor Bern­hard Toma­s­chitz als Reak­ti­on auf die Kri­tik an Rohon­c­zys Arti­kel, aus­ge­schickt hat.

Presseaussendung "Zur Zeit" vom 15.10.18

Pres­se­aus­sendung „Zur Zeit” vom 15.10.18

Wien (OTS) — Das Wochen­ma­ga­zin Zur Zeit distan­ziert sich voll­in­halt­lich in dem in der Aus­ga­be 40/2018 erschie­nen Text „Mehr Recht, Ruhe und Ord­nung im Land! – Was wünscht sich Otto Nor­mal­ver­brau­cher?“. Die­ser Text eines frei­en Mit­ar­bei­ters, der ursprüng­lich als Bru­tal-Sati­re gedacht war und in keins­ter Wei­se der Blatt­li­nie ent­spricht, rutsch­te aus Ver­se­hen bei einem all­zu hek­ti­schen Umbruch unge­prüft ins Blatt. Die Redak­ti­on bedau­ert dies und trennt sich umge­hend von dem betref­fen­den frei­en Mit­ar­bei­ter, der nur spo­ra­disch tätig war.” (ots.at, 15.10.18)

Hin­ein­ge­rutscht ist der Arti­kel, der als „Bru­tal-Sati­re“ gedacht war, also in das Blatt, wie das halt so pas­siert. Im digi­ta­len Fach­jar­gon wird eine Akti­on wie die­se aller­dings als „Copy and pas­te“ bezeich­net, rutsch­ten tut im digi­ta­len Zeit­al­ter rein gar nichts, höchs­ten bei der FPÖ, wenn die Maus aus­rutscht und etwa „88“ mit­ten in eine Pres­se­aus­sendung gelangt – wofür sich der umgangs­prach­li­che Aus­druck „maus­ge­rutscht“ eta­bliert hat. Und wie stellt sich Lajos Rohon­c­zy nun die Träu­me von Otto Nor­mal­ver­brau­cher vor? Zuerst ein­mal ist Otto ent­täuscht, weil es trotz der „Regie­rung der patrio­ti­schen Erneue­rung“ (aka Tür­kis-Blau) „bis­her nur wenig Anzei­chen für eine Ver­bes­se­rung im Leben des Durch­schnitts­men­schen“ gäbe. Um dem kom­men­den Unmut der Bevöl­ke­rung vor­zu­beu­gen, will Rohon­c­zy vul­go Otto Denk­an­stö­ße geben. Und die sehen aus­zugs­wei­se so aus: Mehr Poli­zei, die leich­ter die Waf­fe zücken kön­nen soll, här­tes­te Stra­fen für Respekt­lo­sig­keit gegen­über den Exe­ku­tiv­be­am­ten, Erleich­te­rung für Waf­fen­be­sitz, Wie­der­ein­füh­rung des Arbeits­hau­ses, „wobei Beloh­nun­gen und Sank­tio­nen jeweils grup­pen­wei­se erfol­gen, damit inner­halb der Grup­pe Abweich­ler (Arbeits­un­wil­li­ge, Simu­lan­ten) dis­zi­pli­niert wer­den kön­nen. Schließ­lich: Beweis­last­um­kehr bei Berufs­ver­bre­chern.“ Sie füh­len sich an den Natio­nal­so­zia­lis­mus erin­nert? Zurecht, der aus der Wei­ma­rer Repu­blik stam­men­de Begriff „Berufs­ver­bre­cher“ für Wie­der­ho­lungs­tä­ter wur­de im Natio­nal­so­zia­lis­mus über­nom­men. Soge­nann­te Berufs­ver­bre­cher und Aso­zia­le (dar­un­ter „Arbeits­scheue“) gehör­ten in Öster­reich zu den ers­ten, die kurz nach dem Anschluss ins KZ Maut­hau­sen depor­tiert wurden.

Auch die Bereit­schaft bzw. Taug­lich­keit für die Ver­meh­rung der eige­nen Art soll – so Ottos Wunsch – belohnt wer­den, indem Kin­der­lo­se eine Abga­be zu leis­ten hät­ten. (Das Mut­ter­kreuz kommt zumin­dest in die­sem Arti­kel noch nicht zum Zug.) Law and Order in den Schu­len soll wie­der ein­keh­ren, durch Drill­übun­gen und ein „dis­zi­pli­nar­recht­lich abge­si­cher­tes Ver­bot des Du-Worts zwi­schen Leh­rer und Schü­ler, Auf­ste­hen beim Ein­tre­ten des Leh­rers in den Unter­richts­raum, kein Lüm­meln, Wie­der­ein­füh­rung des Kar­zers. In den Unter­richts­räu­men sind Kathe­der mit Podest anzu­brin­gen. Reni­ten­te Schü­ler sind zur Räson zu brin­gen: Aberken­nung des elter­li­chen Erzie­hungs­rechts, (…) Abschie­bung in geschlos­se­ne Son­der-Schu­len.“ Auch den Unis soll es an den Kra­gen gehen, genau­er gesagt, den „unnö­ti­gen Stu­di­en­rich­tun­gen wie Poli­to­lo­gie, Sozio­lo­gie und Gen­der­stu­dies“. Der ORF sei „von links­extre­men Ele­men­ten“ zu „säu­bern“ und links­extre­me „Staats-Künst­ler und Staats-Mode­ra­to­ren“ sei­en in den Back­of­fice­be­reich zu ver­ban­nen. Wei­ters will Otto den Ent­zug des Stimm­rechts in Ver­tre­te­tungs­kör­pern für „anti­au­to­chthon ein­ge­stell­te Grup­pen“. Arbeits­scheu­es Gesin­del, im Jar­gon des Autors „die­je­ni­gen, die im Faul­bett des Sozi­al­staa­tes dösen“, soll weni­ger sub­ven­tio­niert wer­den. „Bei Nasen­rin­gen, Täto­wie­run­gen und ähn­li­chen Ver­un­stal­tun­gen kein Arbeits­lo­sen­geld, weil dadurch Ver­mitt­lung sabo­tiert wird.“ (Was sagen die oft­mals vom Schei­tel bis zur Soh­le täto­wier­ten Nazis dazu?) Kla­rer­wei­se geht’s auch gegen „Asy­lan­ten“ und gegen „sexu­el­le Per­ver­si­tä­ten“, die in einem Atem­zug mit den ein­ge­tra­ge­nen Part­ner­schaf­ten genannt wer­den. Wei­ter for­dert Rohon­c­zy „Deut­sche Auf­schrif­ten bei allen Geschäf­ten“ und die Zurück­drän­gung von Angli­zis­men und „Prus­si­zis­men“ – womit wohl Wör­ter aus der bun­des­deut­schen Varie­tät gemeint sein dürf­ten. Der Gewerk­schaft will Rohon­c­zy das Recht zu Kol­lek­tiv­ver­trags­ver­hand­lun­gen ent­zie­hen und „die Mit­ar­bei­ter von betriebs­rät­li­cher Bevor­mun­dung“ befrei­en. Und schließ­lich will er auch die Arbei­ter­kam­mer durch Sen­kung der Mit­glie­der­bei­trä­ge schwächen.

Die gesam­ten Ergüs­se von Lajos Nor­mal­ver­brau­cher sind hier als Anhang zum Tweet nachzulesen:

Weil wir oben beim Hin­ein­rut­schen waren: Eine Ankün­di­gung des Arti­kels ist auch auf das Titel­blatt der ent­spre­chen­den Zur Zeit-Num­mer gerutscht, also han­del­te es sich ins­ge­samt um einen Doppelrutsch.

Cover "Zur Zeit" 40/18 mit hineingerutschtem Artikel "Bürgerwünsche: Mehr Recht und Ordnung im Land"

Cover „Zur Zeit” 40/18 mit hin­ein­ge­rutsch­tem Artikel

Bru­tal-Sati­re Akt 3: Ding­ho­fer-Preis für Zur Zeit

In die hei­ße Dis­kus­si­on um den Arti­kel platz­te die Mel­dung, dass die FPÖ am 8. Novem­ber in den Räum­lich­kei­ten des Par­la­ments – so wie jedes Jahr – ihr Ding­ho­fer-Sym­po­si­um und die Franz-Ding­ho­fer-Medail­len und ‑Prei­se ver­ge­ben woll­te, den Medi­en­preis in die­sem Jahr aus­ge­rech­net an Zur Zeit. Das Datum rief Erich Nuler, Mit­glied des IKG-Vor­stands, auf den Plan:

„Wäh­rend am 8.11.2018 der Opfer der Novem­ber­po­gro­me gedacht wird, will die FPÖ ein Maga­zin, das Ras­sis­mus, faschis­to­ide Phan­ta­sien und anti­se­mi­ti­sche Anspie­lun­gen ver­brei­tet, mit einer nach einem Anti­se­mi­ten benann­ten Medai­le aus­zeich­nen. #Zur­Zeit #Ding­ho­fer Mes­sa­ge understood“

Am Tag dar­auf folg­te eine knap­pe Mel­dung der Gast­ge­be­rin des Ding­ho­fer-Sym­po­si­ums, der Drit­ten Natio­nal­rats­prä­si­den­tin Anne­lie­se Kitz­mül­ler:

Wien (PK) — Das Büro der Drit­ten Prä­si­den­tin des Natio­nal­rats, Anne­lie­se Kitz­mül­ler, gibt bekannt, dass das Ding­ho­fer-Sym­po­si­um am 8. Novem­ber 2018 abge­sagt wird. (Schluss)

Bru­tal-Sati­re Akt 4: Wal­ter Rosen­kranz und die schick­sals­haf­ten Tage

In der Bru­tal-Sati­re setz­te der FPÖ-Klub­ob­mann Wal­ter Rosen­kranz einen vor­läu­fi­gen Schluss­punkt: In einem Inter­view mit der Tiro­ler Tages­zei­tung am 21.10. gab er bekannt, nun die IKG befra­gen zu wol­len, „wel­che Tage für die jüdi­sche Gemein­schaft in Öster­reich beson­ders schick­sal­haft und von gro­ßer Bedeu­tung sind. Und ich will wis­sen, wie vie­le Tage davor und danach hier noch zu berück­sich­ti­gen sind. (…) Heu­er wur­de uns von der Par­la­ments­di­rek­ti­on der 8. Novem­ber zuge­wie­sen. An die­sem Tag wird aber, was wir nicht gewusst haben, an die ‚Reichs­po­grom­nacht’ erin­nert. Dies wur­de uns dann im Nach­hin­ein als bewuss­te Pro­vo­ka­ti­on aus­ge­legt. Das wol­len wir künf­tig ver­mei­den.

Die Novem­ber­po­gro­me began­nen in Deutsch­land bereits am 7. Novem­ber 1938 und erreich­ten in der Nacht vom 9. auf den 10. Novem­ber ihren grau­en­haf­ten Höhe­punkt. Sie als schick­sals­haf­te Tage zu bezeich­nen, ist ein Euphe­mis­mus, der für die FPÖ und ihren Umgang mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus sym­pto­ma­tisch ist. Eben­falls die Fra­ge, die Rosen­kranz an die IKG stel­len will, die nichts ande­res heißt, als dass die FPÖ wis­sen will, wann sie nun eine Ver­an­stal­tung – wie jene nach dem Anti­se­mi­ten Franz Ding­ho­fer benann­te – durch­füh­ren kann, ohne die jüdi­sche Com­mu­ni­ty zu pro­vo­zie­ren. Wir haben eine ein­fa­che Ant­wort: Nie! War­um? Ein Argu­ment lie­fer­te die For­schungs­grup­pe Ideo­lo­gien und Poli­ti­ken der Ungleich­heit (FIPU) via Twit­ter:

Wenn die FPÖ in Par­la­ments­räu­men eine Preis­ver­lei­hung zu Demo­kra­tie & stuff hos­tet, fin­den sich im Lineup:
6 Mit­glie­der deutsch­nat. Verbindungen
1 Ex-Neo­na­zi
1 (Ex-?)Mitglied d Waf­fen-SS-Kame­rad­schaft IV
1 rechts­extre­me Zeitschrift
3 Autoren rechts­extre­mer Zeitschriften

Programm Dinghofer-Symposium 2018 (via Twitter @karlamov)

Pro­gramm Ding­ho­fer-Sym­po­si­um 2018 (via Twit­ter @karlamov)