Annika S. tritt für den Blog nach außen hin auf. Sie ist laut Eigenaussage seit etwa einem Jahr Mitglied der IB Schwaben, half im deutschen Bundestagswahlkampf bei einem AfD-Infostand aus und war in der Vergangenheit des Öfteren in Wien. Zuletzt besuchte sie den von der IB Wien inszenierten Fackelmarsch am Kahlenberg.
In einem Interview mit Martin Sellner versucht S. mehr schlecht als recht zu erklären, dass Frauen mit Kinderwunsch in der heutigen Gesellschaft geächtet würden und beruft sich dabei auf persönliche Erfahrungen. Immer wieder spricht sie von der “wichtigen Rolle”, die Frauen* in der Gesellschaft haben, bleibt dabei aber sehr vage. Es wirkt so, als würde sie versuchen das in rechtsextremen Kreisen beliebte Thema der Bevölkerungspolitik und Demographie, in Kombination mit rassistischem Ressentiment, zu vermeiden. Die “wichtige Rolle der Frauen” bleibt daher unbestimmt.
Das Martin Sellner Interesse an S. Blog findet, liegt nicht zuletzt daran, dass Frauen* in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Rolle in dem von den ‘Identitären’ propagierten ‘großen Austausch’ spielen. Sie werden einerseits als dessen Opfer gesehen, als wehrlose Objekte, die von den ‘triebgesteuerten Fremden’ bedroht werden (gleichzeitig ist diese rassistisch konstruierte Bedrohung die Grundlage der ‘Identitären’ und anderer Rechtsextremer sich als Beschützer der ‘weißen Frauen’ zu inszenieren). Frauen* tragen andererseits aber laut ‘Identitären’ auch eine eindeutige Mitschuld am apokalytisch beschworenen Bevölkerungsaustausch. Als Beispiel hierfür dient Martin Sellner in einem seiner Vlogs, die Tatsache, dass “Frauen linksliberale und einwanderungsfreundliche Parteien wählen”. Sie würden damit die Grundlage dafür schaffen, dass “vergewaltigende Ausländerbanden importiert” würden, denen die Frauen* dann wiederum zum Opfer fallen, so Sellners krude Logik.
Zudem ist sein überenthusiastisches Feature des Blogprojekts auch mit der aktuellen Stagnation der rechtsextremen Gruppe zu erklären. Abgesehen vom C‑Star-Desaster fehlt es den “Identitären” gerade an medienwirksamen Projekten und Dynamik. Es wird immer offensichtlicher, dass im Kern nur einige wenige Kader aktiv hinter den Strukturen stehen und die junge, hippe Bewegung bloß eine Inszenierung ist, ein Trugbild, das sie durchaus geschickt geschaffen haben, aber weitab der Realität ihrer Strukturen liegt. Projekte wie ‘radikal feminin’ sind das Feigenblatt, das diese Tatsache notdürftig verbergen soll, auch deshalb werden die seichten Pamphlete von den Kadern zur Zeit derart übertrieben in Szene gesetzt.
Wenn wir nun einen Blick auf den „radikal feminin”-Blog werfen, fällt auf, dass Annika S. dort ein wenig expliziter wird als im Interview. Die Conclusio des Beitrags “Der positive Schwangerschaftstest und das vermeintliche Ende deines Lebens” liest sich so:
Kinder bekommen ist etwas so natürliches und trotzdem haben die meisten Frauen Angst davor, diese Angst müssen wir ihnen nehmen, sonst wird der demographische Wandel weiter seinen Weg gehen!
Abtreibung sollte nicht als normale Lösung eines Problems betrachtet werden.
Man muss darauf vorbereitet werden Kinder zu bekommen.
Die Einstellung zur Auswahl der Sexualpartner sollte wieder durch andere Werte bestimmt werden als nur Attraktivität und momentane Gelüste.
Es muss bezahlbar sein Kinder zu bekommen!
Hier wird sehr wohl auf den “demographischen Wandel” verwiesen und suggeriert, dass Frauen* im Rahmen der ihnen zugedachten und als “natürlich” konstruierten Rolle als Mütter einen wichtigen Beitrag zu seiner Verhinderung zu leisten hätten. Was genau mit dem “demographischen Wandel” gemeint ist, bleibt unerwähnt und lässt Raum für Interpretationen. Jedenfalls liege es in der ‘Natur der Frau’ Kinder zu bekommen. Dem Wunsch keine Kinder bekommen zu wollen wird hier keine Berechtigung eingeräumt.
Dies wird im folgenden Absatz besonders deutlich:
Als meine Großmutter in meinem Alter war hatte sie bereits ihr erstes Kind und es war sicher alles andere als ein Drama, ganz im Gegenteil, es war ganz normal mit Anfang zwanzig Kinder zu bekommen, man war verheiratet, es gab geregelte Verhältnisse und Dinge wie eine Abtreibung standen schlicht nicht zur Debatte. Die Entscheidung ob man das Kind bekommen soll, oder nicht wurde einem praktisch von der Gesellschaft abgenommen.
Die Entscheidung, die in einer liberalen Gesellschaft von jeder Frau* selbst(bestimmt) getroffen werden sollte, wird in dieser Darstellung ganz praktisch von der „Volksgemeinschaft” abgenommen. Frauen sollten nicht individuell überlegen, welche lebensverändernden Konsequenzen eine Schwangerschaft (und die Verantwortung für ein Kind) mit sich bringt und sich Gedanken darüber machen ob sie bereit sind, diese Konsequenzen zu tragen. Das Bild der heteronormativen konservativen Familie wird als Heilmittel gegen die komplexe und individualisierte moderne Welt beschworen. Andere Lebensentwürfe oder Geschlechteridentitäten, die vom binären Geschlechtermodell abweichen, finden in Annika S. Vorstellung keinen Platz.
Übrigens ist die Tatsache, dass ein Schwangerschaftsabbruch im Deutschland der 1940er oder 1950er nicht zur Debatte stand, vor allem dem Umstand geschuldet, dass der Kampf um das Recht auf Abtreibung zu dieser Zeit noch weit davon entfernt war erste, kleine Erfolge, wie die derzeit in Deutschland und Österreich geltende Fristenlösung, zu verbuchen. Das heißt also, dass die rechtliche Grundlage für einen Schwangerschaftsabbruch damals schlicht nicht gegeben war und erst in der Folge von Feminist_innen mühsam erkämpft werden musste.
Gleichzeitig stilisieren sowohl Sellner als auch S. das für sie zentrale Modell der heteronormativen Kleinfamilie zur bedrohten und geschmähten Minderheit, die von der “Genderideologie” und dem Feminismus zum Hauptfeind erklärt worden wäre. Kinder würden aufgrund von Egoismus und der Zurichtung zu perfekten Konsumentinnen* keinen Platz mehr im Leben moderner Frauen haben – die europäische Bevölkerung sei daher nur eine Generation vom Aussterben entfernt – So weit das Untergangsszenario der “Identitären”.
In einer monogamen Zweierbeziehung zu leben und Kinder zu bekommen wird folglich zum radikalen Akt des Widerstandes gegen die Moderne verklärt. Auch hier bedienen sich die beiden eines altbekannten Musters der extremen Rechten, sich in einer gefährdeten Position im heroischen, selbst- und alternativlosenlosen Kampf gegen eine Übermacht zu inszenieren. Von ihrem Erfolg machen sie nicht weniger als den Fortbestand der “europäischen Kultur” abhängig, den sie durch Migration und eben den Rückgang an Geburten akut gefährdet sehen.
Im zuvor erwähnten Interview mit Sellner kommt Annika S. ebenfalls auf das Thema Abtreibung zu sprechen. Sellner geht wieder auf das Wahlverhalten von Frauen* ein und konfrontiert S.:
Wenn bei allen vergangenen Wahlen der letzten 20 Jahre, Frauen kein Wahlrecht gehabt hätten, wären überall rechte Parteien an die Macht gekommen, dann gäbe es keine Masseneinwanderung, keine Islamisierung und keinen großen Austausch. Was sagst du als Frau dazu?
Überraschenderweise kontert die Bloggerin damit, dass es durchaus Themen in der Politik gäbe, die nur Frauen* betreffen würden und bei denen Männer* nichts mitzureden hätten, zum Beispiel das Abtreibungsrecht – Da verschlägt es selbst Sellner die Sprache und er wird kurz still. Die Ablehnung von Abtreibungen und das gleichzeitige Fordern ihrer Legalisierung ist eine Position, die bei modernisierten Ausprägungen des Rechtsextremismus häufig anzutreffen ist. Sie verdeutlicht die Widersprüchlichkeit, mit der das Thema (Anti)Feminismus in diesen Strömungen verhandelt wird.
„radikal feminin” als Provokation
Zusammenfassend lässt sich der Blog „radikal feminin” von Annika S. als ein Versuch möglichst niederschwelliger und oberflächlicher Kritik am (vor allem postmodernen) Feminismus beschreiben.
Sie nimmt, meist in Form persönlicher Erfahrungsberichte, Bezug auf aktuelle feministische Debatten. Dabei wird allerdings nicht auf das klassische Begriffsrepertoire der Identitären oder ähnlicher Gruppen zurückgegriffen, die Inhalte werden eher mit S.s eigenen Worten vermittelt. Das führt dazu, dass die rechtsextreme Ideologie der Autorin aus den Beiträgen nicht immer eindeutig hervorgeht, wobei ihre Mitgliedschaft bei den Identitären wohl keinen Zweifel daran lässt. Die Gruppe wird jedoch am Blog oder der dazugehörigen Facebook-Seite an keiner Stelle dezidiert erwähnt; so kann unbedarften LeserInnen der einschlägige Hintergrund des Projektes leicht verborgen bleiben. Wie S. im Interview offen zugibt, soll der Blog außerdem politische GegnerInnen provozieren, das Projekt und seine Positionen ins Gespräch bringen. Einige Inhalte dienen laut ihrer eigenen Aussage bloß diesem einen Zweck. Insbesondere für Berichterstattung darüber ist dieser Aspekt zu berücksichtigen.