Aktueller Anlass: die Attacke auf das Widerstandsmahnmal in Bregenz. In der Nacht zum 8. Mai wurden außerdem zwei Häuser im Jüdischen Viertel von Hohenems beschmiert.
Anfrage von Klubobmann Adi Gross an Landesrat Schwärzler
Rechtsextreme Straftaten — Anfrage gem. §54 GO — Bregenz, 4. Mai 2017Sehr geehrter Herr Landesrat,
aus vier Anlässen wende ich mich an Sie als für Sicherheit zuständiges Regierungsmitglied: der Anschlag auf das Widerstands- und Deserteursmahnmal in Bregenz, der aktuelle Rassismus-Report von ZARA, die alarmierenden Rechtsextremismus-Zahlen des Innenministeriums und der Fall des der Widerbetätigung und der Verhetzung beschuldigten Bundesheer-Unteroffiziers.Zwei Tage vor dem 20. April, dem von Rechtsextremen und Neonazis verherrlichten „Führergeburtstag”, wurde in Bregenz das Widerstands- und Deserteursmahnmal stark beschädigt und ist seither stillgelegt. Der Täter, dessen Flucht von einem Zeugen beobachtet wurde, hat das widerstandsfähige Glas mit besonders großer Kraftanstrengung zerstört. Die Tat wurde von den Behörden als „Vandalenakt” bezeichnet. Angesichts der zeitlichen Nähe zum 20. April liegt jedoch auf der Hand, dass es sich um einen rechtsextrem motivierten Vandalenakt gehandelt hat.
Der aktuelle Rassismus-Report der NGO Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit ZARA (LINK) gibt einen Überblick über rassistische Übergriffe und Strukturen im Jahr 2016. Die Bilanz ist erschreckend: „Mit 1.107 Fällen, die die ZARA–Beratungsstelle für Opfer und Zeug*innen von Rassismus 2016 dokumentiert und bearbeitet hat, haben wir österreichweit eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 180 Fälle (also 16 Prozentpunkte) erlebt und das vor allem durch einen weiteren Anstieg von Hass und Hetze im Internet”, heißt es im Editorial des Reports.
Ein Vorfall in Bregenz, der in den hiesigen Medien keinen Widerhall fand, dokumentiert eine erschreckende Selbstverständlichkeit und Schamlosigkeit auf der Täterseite. Deshalb zitiere ich den Wortlaut des ZARA-Reports über das Jahr 2016.
„Im Februar dieses Jahres geht Herr O. gemeinsam mit seinem Freund Herrn P. am Bregenzer Bahnhof den Bahnsteig entlang, um in den Zug nach Dornbirn zu steigen. Plötzlich kommt ein äußerst aggressiv wirkender Mann auf die beiden zu, spuckt sie an und beginnt, sie rassistisch und lautstark – unter anderem mit ‚Nigger!’ – zu beschimpfen. Er stellt sich vor dem Zug auf und erklärt, dass ’nur weiße Menschen’ den Zug betreten dürften, keine Schwarzen. Schließlich schlägt er sogar auf Herrn O. und seinen Freund ein. Die beiden sind schockiert und versuchen, die Schläge abzuwehren. Schließlich lässt der Mann von ihnen ab und Herr O. und sein Freund können nach Dornbirn fahren. Dort gehen beide zuerst in ein Spital, um die durch die Schläge verursachten Verletzungen untersuchen und medizinisch behandeln zu lassen. In der Folge erstatten sie bei der Polizei wegen des Übergriffs Anzeige gegen den Mann. Herr O. konnte den Täter fotografieren, was die Chancen erhöht, dass dieser ausfindig gemacht werden kann. Die Polizei sichert zu, dass die Videoaufnahmen der Bahnhofkameras angefordert werden, auf denen der Übergriff dokumentiert sein müsste. Eine ZARA-Beraterin bespricht den schockierenden Vorfall ausführlich mit Herrn O. und informiert ihn über bestehende Handlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten. Herr O. kündigt an, sich bei Bedarf wieder zu melden. Zu Redaktionsschluss ist ZARA der Ausgang des Verfahrens nicht bekannt.”
Der dritte Anlass ist eine aktuelle Anfragebeantwortung des Innenministers zu rechtsextremen Straftaten. Der Vergleich der Jahre 2016 und 2015 gibt Anlass zur Sorge. Das Innenministerium belegt für Vorarlberg überdurchschnittliche Steigerungsraten, sowohl bei den Tathandlungen als auch bei den Anzeigen (an einer Tathandlung können mehrere Personen beteiligt sein und sie kann gegen mehrere Strafbestimmungen verstoßen).
- Österreichweit steigt die Zahl der rechtsextrem, fremdenfeindlich bzw. rassistisch, antisemitisch und islamophob motivierten Tathandlungen von 1.156 auf 1.313, also um 12%;
- in Vorarlberg steigen die Tathandlungen von 46 auf 56, das sind 21,7%;
- die Anzahl der Anzeigen steigt österreichweit von 1.691 auf 1.867 — das sind 10,4%;
- in Vorarlberg steigt die Anzahl der Anzeigen von 57 auf 75, das ist ein Plus von 31,6%;
- besonders stark steigen die als rechtsextrem eingestuften Tathandlungen: österreichweit + 37,3% (von 523 auf 718), in Vorarlberg + 46,7% (von 30 auf 44);
- auffällig stark steigt in Vorarlberg die Zahl der Anzeigen wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung nach dem Verbotsgesetz: + 40% (von 35 auf 49; Österreich + 7,8%, von 884 auf 953);
- wenig ermutigend ist auch, dass der Anteil der aufgeklärten Tathandlungen in Vorarlberg sinkt, und zwar von 87% auf 71,4%, während diese Quote österreichweit von 73,3% auf 78,9% — also über das Vorarlberger Niveau — steigt.
Der Vergleich über einen Zeitraum von zwei Jahren (2014 — 2016) ergibt eine Steigerung der
- österreichweit aktenkundigen Tathandlungen um 75% (von 750 auf 1.313)
- österreichweit ergangenen Anzeigen um 55,5% (von 1.201 auf 1.867)
- in Vorarlberg registrierten Tathandlungen um 93,1% (von 29 auf 56)
- in Vorarlberg ergangenen Anzeigen um 108,3% (von 36 auf 75)
- in Vorarlberg ergangenen Anzeigen nach Verbotsgesetz um 133,3% (von 21 auf 49).
Diese Tendenz bestätigt sich auch im Vergleich mit 2013. Es handelt sich also um einen mehrjährigen Trend mit großen, teilweise exorbitanten, jedenfalls aber besorgniserregenden Steigerungsraten rechtsextremer Straftaten.
Seit 2010 fragt der Justizsprecher der Grünen, Nationalratsabgeordneter Albert Steinhauser, die Anzahl rechtsextremer Straftaten ab. Grund dafür ist, dass 2002 unter der schwarz-blauen Regierung der Rechtsextremismus-Bericht des Innenministeriums abgeschafft wurde. Die Anfragebeantwortungen sind gesammelt unter https://albertsteinhauser.at/2017/04/28/anstieg-rechtsextremer-straftaten-auf-rekordniveau/ abrufbar.
Aktuell bekannt geworden ist der Fall eines Vorarlberger Unteroffiziers, gegen den die Staatsanwaltschaft Burgenland wegen Verhetzung und Wiederbetätigung ermittelt und der vom Dienst suspendiert wurde.
Vor diesem Hintergrund richte ich an Sie gemäß §12 der Geschäftsordnung des Vorarlberger Landtags folgende
Anfrage:
- Wie stellt sich der Ermittlungsstand zur Beschädigung des Widerstands- und Deserteursmahnmals in Bregenz dar?
- Ermitteln die Sicherheitsbehörden angesichts der zeitlichen Nähe zum 20. April gezielt in rechtsextremen Kreisen?
- Wie ist der Ermittlungsstand zu dem im aktuellen Zara-Rassismus-Report geschilderten rassistischen Übergriff? Wurde der Täter mit Hilfe des Fotos ausgeforscht? Wenn nein, warum waren die Behörden bislang nicht erfolgreich?
- War Ihnen der Übergriff auf Herrn O. vor dem Erscheinen des Zara-Rassismus-Reports bekannt? Wenn ja, was haben Sie unternommen?
- Wie beurteilen Sie die steigende Zahl rechtsextremer Straftaten in Österreich und in Vorarlberg? Wie erklären Sie sich die Steigerungsraten von rechtsextremen und fremdenfeindlichen bzw. rassistischen Tathandlungen und von Anzeigen nach Verbotsgesetz, Verhetzung und von sonstigen Delikten nach Strafgesetzbuch in den letzten Jahren in Vorarlberg?
- Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus den Zahlen? Welche Maßnahmen fassen Sie ins Auge?
- Welche Milieus oder Gruppen von Verdächtigen rechtsextremer Straftaten gibt es in Vorarlberg? Wie haben sich die von den Sicherheitsbehörden registrierten Aktivitäten in der Vorarlberger Skinheadszene, in der Blood&Honour-Szene, in anderen rechtsextremen Milieus und von rechtsextremen, nationalistischen und / oder fundamentalistischen Gruppierungen türkischer Herkunft in den vergangenen Jahren entwickelt?
- Gibt es Personenkreise, die unter ständiger polizeilicher Beobachtung stehen? Wenn ja, welche?
- Wie steht es um den Informationsaustausch mit Nachbarländern in Sachen rechtsextremer Betätigung?
- Welche Erkenntnisse hat es nach dem Attentat von Nenzing im Mai letzten Jahres in Bezug auf Gewaltbereitschaft und illegalen Waffenbesitz ergeben? Welche Maßnahmen wurden ergriffen?
- Wie beurteilen Sie den aktuellen Fall des suspendierten Unteroffiziers? Halten Sie das für einen Einzelfall? Welche Maßnahmen würden Sie dem Militärkommando Vorarlberg empfehlen, um solchen Tendenzen entgegenzuwirken?
Ich bedanke mich im Voraus für die Beantwortung meiner Anfrage und verbleibe mit freundlichen Grüßen
LAbg. KO Adi Gross
Anfrage hier zum Download