Vor einem Jahr, als der erste Anlauf für die Rechtsaußen-Fraktion gescheitert und Harald Vilimsky, der Fraktionsführer der FPÖ im EP, sehr traurig darüber war, hatte der Niederländer Geert Wilders noch verkündet, man werde nicht um jeden Preis eine Fraktion bilden. Die „Welt“ schrieb dazu: „So schloss er eine Zusammenarbeit mit der polnischen Partei Kongress der Neuen Rechten (KNP) aus. Deren Chef Janusz Korwin-Mikke hatte Juden aufgefordert, in polnische Gettos zurückzukehren.“
Jetzt, ein Jahr später, ist auch für Geert Wilders alles anders, und die Zusammenarbeit mit der polnischen KNP schmeckt gar nicht mehr säuerlich nach Antisemitismus. Umgekehrt gilt das auch: Die Partei Kongress der Neuen Rechten hat anscheinend kein Problem mehr damit, dass die PVV des Geert Wilders im Februar 2012 eine Webseite eröffnet hatte, die Niederländer ausdrücklich dazu aufforderte, sich über EU-Bürger aus Osteuropa zu beschweren. „Haben Sie Ihren Job auch an einen Polen, Bulgaren, Rumänien oder jemand anderen aus Ost- oder Zentraleuropa verloren? Wir würden gerne etwas darüber erfahren”, hieß es da. Auf der Seite wurden Zeitungsmeldungen zitiert, in denen neben Rumänen und Bulgaren auch die Polen als „Kriminelle“ bezeichnet und für den Anstieg der Kriminalität in den Niederlanden verantwortlich gemacht wurden.
Eigentlich gibt es gar nicht viele Themen, bei denen sich die Parteien, die die neue rechtsextreme Fraktion bilden, einig wären. Ja, den Islam fürchten bzw. hassen sie alle, aber das ist sogar für reine rechtsextreme Fraktion etwas wenig. Todesstrafe? Die KNP ist dafür, der Front National fordert eine Volksabstimmung darüber, die FPÖ ist offiziell klar dagegen. EU-Austritt? Die KNP ist klar dafür, der Front National will einen Austritt aus der Währungsunion, die PVV des Geert Wilders will die Kündigung des Schengen-Abkommens und die Abschaffung des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission, die FPÖ versucht den Spagat, ist für eine Volksabstimmung über den Euro, kann sich aber auch einen Verbleib in der Währungsunion vorstellen, wenn es gelingt, den Euro zu stabilisieren und liebäugelt zuhause mit dem EU-Austritts-Volksbegehren.
Wirtschaftspolitisch scheinen die Differenzen noch größer. Die KNP ist nicht bloß wirtschaftsliberal, sondern libertär. Die Partei lehnt jeden Eingriff des Staates in die „freie Marktwirtschaft“, die sie einfordert, vehement ab. Ein entscheidender Unterschied jedenfalls zur FPÖ, die zwar auch wirtschaftsliberale Positionen vertritt, tendenziell aber dennoch einen starken Staat bevorzugt. Auch sonst gibt es einige Reibeflächen. Während einige der in der Fraktion vertretenen Parteien so homophob sind, dass sie wie Johann Gudenus, der stellvertretende Parteivorsitzende der FPÖ von der für sie schrecklichen Vorstellung geplagt werden, Schwulenlobbys würden Europa beherrschen, sind Parteien wie die PVV von Wilders, aber auch der Front National mittlerweile offiziell gegen Homophobie. Russland ist auch noch nicht das einigende Band. Fast alle sind prorussisch, die Lega Nord ist unter Matteo Salvini gar zu einem Putin-Anbetungsverein mutiert, aber Geert Wilders zickt noch ein bisschen. Was also bringt diese Parteien, die auch nicht über eine gemeinsame Geschichte oder gemeinsame Traditionen verfügen, dazu, sich zu einer europäischen Fraktion zusammenzuschließen?
Noch eine Anmerkung zu dem hochtrabenden Begriff „Partei“ in diesem Zusammenhang. Die „Partei“ PVV des Geert Wilders besteht aus einem einzigen Mitglied, nämlich dem Parteichef. Ein entscheidender Unterschied zur FPÖ, wo der Parteichef nur bei „Gefahr im Verzug“ alle anderen ausschließen kann. „Partei” ist Janice Ann Atkinson, die Britin im Bunde, höchstens so wie Wilders: als eine einzige Person. Die ebenfalls gern gegen die Polen hetzende frühere UKIP-Parlamentarierin wurde im März aus der Partei ausgeschlossen, weil sie nach einer Veranstaltung von einem Restaurant eine Rechnung mit einem viel zu hohen Betrag verlangt haben soll.
Die „Keltenkreuzfahne”, das Symbol der rassistischen „White Power”-Bewegung vereint mit flämische Fahnen auf einer Demonstration des Vlaams Belang
Die KNP, von der auch nur zwei von vier Europa-Abgeordnetenbei der neuen Fraktion sind, hat bei den Kommunalwahlen im November des Vorjahres eine massive Niederlage erlitten und konnte kein einziges Mandat erreichen, der Vlaams Belang ist auf einem stark absteigenden Ast, Wilders hat auch schon einmal mehr gelacht, und die Britin ist wohl froh, noch ein paar Restaurant-Rechnungen absetzen zu können. Es ist wohl tatsächlich eine Geldbeschaffungsaktion, die zur Fraktionsbildung geführt hat und vermutlich auch die Hoffnung, dass etwas vom trüben Glanz der aufsteigenden Parteien Front National, FPÖ und Lega Nord auf den Rest der maroden Truppe abfärben möge.
Wetten auf die Tragfähigkeit dieser Fraktion werden gerne angenommen. Die letzte und bisher einzige Fraktion, an der die FPÖ im EP beteiligt war, „Identität, Tradition, Souveränität” (IST) hat immerhin fast ein Jahr gehalten. Die eingebaute Sollbruchstelle, ein hetzerischer Nationalismus, hat schon damals gut funktioniert: Nach üblen Beschimpfungen durch Alessandra Mussolini haben die Abgeordneten der Groß-Rumänien-Partei die Fraktion verlassen und damit deren Auflösung bewirkt. Die Neofaschistin („Besser Faschistin als schwul“) ist mittlerweile Mitglied der Fraktion Europäische Volkspartei (EVP). Als Sollbruchstelle taugt sie nicht einmal dort, was mehr über die EVP als über Mussolini aussagt.