Wie aus einer Falschmeldung Hetze wird

Die Nachricht über die ange­bliche Ent­deck­ung, dass eine ganze weib­liche Schulk­lasse in Nor­rköping (Schwe­den) gen­i­talver­stüm­melt wor­den sei, ver­bre­it­ete sich rasend schnell über alle Medi­en. Am 20.6. stellte die Lokalzeitung ‚Nor­rköpings Tid­ningar‘ die Mel­dung online, spätestens am Tag darauf war sie in allen Medi­en und ver­bre­it­ete sich ab dann auch in den sozialen Net­zw­erken – mit schlim­men Nebengeräuschen.

Am Beispiel dieser Nachricht und des Umgangs mit ihr kann so manch­es abge­han­delt wer­den, etwa das kom­plette Ver­sagen des Qual­ität­sjour­nal­is­mus. Einzige bekan­nte Aus­nahme: der britis­che Guardian, der eine Woche später die Nachricht gegencheck­te und bre­it über die wirk­lichen Fak­ten berichtete.


stopFGM — Mit­glieder: NAbg. Petra Bayr, Care Ega – Frauen im Zen­trum, Kinder­fre­unde, Ren­ner-Insti­tut, Rote Falken, SPÖ-Bun­des­frauenor­gan­i­sa­tion, SWI – Öster­re­ichis­che Stiftung für Welt­bevölkerung und inter­na­tionale Zusam­me­nar­beit, Arbeit­er­samariter­bund (ASBÖ, Die Grü­nen – Güne Alter­na­tive Wien, Ekan­do Kumer, FGM-Hil­fe – Der Vere­in zur Bekämp­fung weib­lich­er Gen­i­talver­stüm­melung, Frauen ohne Gren­zen, Frauen­sol­i­dar­ität, Gesellschaft für bedro­hte Völk­er Öster­re­ich, Grüne Frauen Wien, Grün­er Klub im Rathaus Wien, Junge Gen­er­a­tion in der SPÖ, Kinder­fre­unde Orts­gruppe Wör­gl, LEEZA (vor­mals WADI Öster­re­ich) – Liga für emanzi­pa­torische Entwick­lungszusam­me­nar­beit, Men­schen für Men­schen – Karl­heinz Böhms Äthiopi­en­hil­fe, ÖAAB Frauen Bun­des­or­gan­i­sa­tion, ÖAAB Frauen Wien, ÖGF – Öster­re­ichis­che Gesellschaft für Fam­i­lien­pla­nung, ÖGJ Jugendzen­trum Enns, Ori­ent Express – Beratungs‑, Bil­dungs- und Kul­turini­tia­tive für Frauen, Öster­re­ichis­ches Nation­alkom­mi­tee für UNIFEM, proFRAU, Selb­st­be­wusst – Vere­in für Sex­u­alpäd­a­gogik und Präven­tion von sex­uellem Kindesmiss­brauch, Sonne Inter­na­tion­al, Sozial­is­tis­che Jugend Linz-Süd, Sozial­is­tis­che Jugend Öster­re­ich, UNICEF Österreich


 

Schon ein biss­chen Nach­denken reicht aus, um die Mel­dung über die Schulk­lasse in Nor­rköping, deren Mäd­chen zur Gänze gen­i­talver­stüm­melt wur­den, in Frage zu stellen. Schwe­den ist das Land in Europa, das als erstes 1982 expliz­it die weib­liche Gen­i­talver­stüm­melung (Female Gen­i­tal Muti­la­tion – FGM) unter Strafan­dro­hung gestellt hat, in Öster­re­ich geschah das 2001. Seit 1999 ist in Schwe­den FGM auch straf­bar, wenn sie im Herkun­ft­s­land aus­ge­führt wurde (in Öster­re­ich erst seit 2012). Aufk­lärung über FGM wird in Schwe­den sehr ern­sthaft betrieben, den­noch gab es seit der Ein­führung der Straf­bes­tim­mungen bis heute erst zwei Verurteilun­gen.

Was also geschah tat­säch­lich in Nor­rköping? Die Stadt, die einen hohen Anteil an Migran­tInnen vor allem aus afrikanis­chen Län­dern hat, führt ein Pilot­pro­jekt durch, in dessen Rah­men alle jun­gen Mäd­chen von schulis­chen Gesund­heit­sar­bei­t­erin­nen (school nurs­es) rou­tinemäßig zu FGM befragt werden.

Im konkreten Fall waren die Mäd­chen Teil ein­er großen Gruppe von kür­zlich aus Afri­ka einge­wan­derten Per­so­n­en. Bei ihrer Befra­gung stellte sich her­aus, dass 30 Mäd­chen im Alter von 13 bis 18 in ihren Herkun­ft­slän­dern gen­i­talver­stüm­melt wor­den waren, davon 28 in der beson­ders bru­tal­en Vari­ante der Beschnei­dung. Diese 30 Mäd­chen wur­den in ein­er Gruppe zusam­menge­fasst, um mit ihnen über ihre trau­ma­tis­chen Erleb­nisse zu arbeiten.

Aus der Gruppe wurde im ersten Bericht des ‚Nor­rköpings Tid­ningar‘ eine Schulk­lasse und in späteren Bericht­en dann sog­ar die ganze Schulk­lasse, die in Nor­rköping (!) gen­i­talver­stüm­melt wurde.

Auch in Öster­re­ich haben fak­tisch alle Medi­en den irreführen­den und falschen Agen­tur­text zu Nor­rköping über­nom­men. Die Web­seite INHR, die wir hier schon kri­tisch beleuchtet haben, berichtet am 21.6. 2014 über Nor­rköping. Der Text weicht im Kern nicht von den anderen Falschmel­dun­gen ab („Schwe­den: Ganze Mäd­chen­klasse gen­i­talver­stüm­melt“) , übern­immt den redak­tionellen Text der ‚Kro­ne‘, in dem Außen­min­is­ter Kurz zitiert wird, der erk­lärt hat­te, dass die Prax­is von FGM „in kein­er Reli­gion begrün­det (sei) und (….) als Tra­di­tion abgelehnt wer­den (müsse)“.

Die Zahl von betrof­fe­nen Frauen und Mäd­chen in Öster­re­ich, die INHR nen­nt, wird allerd­ings im INHR-Text nach oben geschraubt: es sind nicht bis zu 18.000 Frauen in Öster­re­ich von FGM betrof­fen, son­dern nach Schätzun­gen, die aus den Quellen für andere Län­der abgeleit­et sind, bis zu 8.000 Frauen. Auch diese Zahl stützt sich – wie gesagt – nicht auf ver­lässliche Quellen aus Öster­re­ich. Egal, für jede einzelne Frau, die FGM erlei­den musste, bedeutet das eine schwere Ver­let­zung nicht nur des Kör­pers, son­dern auch und vor allem der Psyche.

Zurück zu den Bericht­en über Nor­rköping: im Jän­ner 2015 greift der Recht­sex­trem­ist und Islamhas­s­er Karl Michael Merkle, der unter dem Fak­e­na­men‚ Michael Mannheimer‘ einen Blog betreibt, den Beitrag von INHR auf und gibt ihm ein neues Gesicht und eine neue Richtung.

Mit einem furcht­baren Foto, das Kle­in­stkinder zeigt, deren Gen­i­tal­ien blutver­schmiert sind, illus­tri­ert er am 23.1. 2015, also mehr ein halbes Jahr nach dem Erst­bericht, seinen eige­nen Bericht. Das Foto, das die Bil­dun­ter­schrift trägt „Das alltägliche Gen­i­tal­mas­sak­er des Islam kostet laut UN-Bericht­en 2.000 so “beschnit­te­nen” mus­lim­is­chen Mäd­chen das Leben. Tag für Tag“, hat mit Nor­rköping nichts zu tun. Die Bildquelle kon­nte nicht fest­gestellt wer­den und damit ist auch unklar, ob es sich um ein bear­beit­etes Foto han­delt, bei dem das Blut nachträglich appliziert wurde (worauf einiges hindeutet).

Der Titel des Blog- Ein­trags von Merkle alias Mannheimer vom 23. 1. 2015 lautet: „Zur „Es-gibt-keine-Islamisierung“s‑Lüge: Ganze Mäd­chen­klasse in Schwe­den gen­i­talver­stüm­melt“.

Titel und Bil­dun­ter­schrift zu dem Foto machen also schon klar, wohin die Reise gehen soll: der Islam soll für die Prax­is von FGM ver­ant­wortlich gemacht wer­den. Und die Linken und Grü­nen Europas, deren „ver­lo­gene und heuch­lerische Seite“ Merkle-Mannheimer auch bei FGM erkan­nt haben will: „gegenüber den 100.000 jährlichen „Ehren“morden sowie den 700.000 Kol­later­lopfern (sic!) der weib­lichen Sex­u­alver­stüm­melun­gen haben sie ihre Stimme (von weni­gen Aus­nah­men Einzel­ner ein­mal abge­se­hen) bis­lang nie ern­sthaft erhoben“.

Mannheimers Lügen
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Exakt das Gegen­teil ist der Fall: auf par­la­men­tarisch­er Ebene haben SPÖ und Grüne schon in den 90er Jahren FGM zum The­ma ein­er Enquete gemacht. Eine Plat­tform mit der Web­seite „StopFGM“ küm­mert sich seit 2003 um Aufk­lärung und Unter­stützung von Anti-FGM-Pro­jek­ten. Unter­stützt wird die Plat­tform von SPÖ‑, ÖVP- und Grü­nen bzw. Frauen-Organ­i­sa­tio­nen. Auch fünf weit­ere Ein­rich­tun­gen küm­mern sich um FGM, keine einzige darunter, die Recht­en zugeschrieben wer­den kön­nte. Auch die Islamis­che Glaubens­ge­mein­schaft in Öster­re­ich beteiligt sich an der Aufk­lärung zu FGM. Rechte und recht­sex­treme Organ­i­sa­tio­nen und Per­so­n­en haben kein­er­lei Ini­tia­tive gegen FGM gesetzt!

Was Definition,Verbreitung und Prak­tiken von FGM bet­rifft, so liefert dazu Wikipedia einen wirk­lich sehr umfassenden Ein­trag, auch was die wichtig­sten Gründe für die gen­i­tale Ver­stüm­melung der Frauen bet­rifft: in erster Lin­ie tra­di­tionelle Prak­tiken, die älter sind als Chris­ten­tum und Islam sowie auch Kon­trolle der weib­lichen Sex­u­al­ität. Die Zuord­nung von FGM zu ein­er einzi­gen Reli­gion, dem Islam, ist nicht möglich.

Mannheimer und nach ihm die vie­len Islamhas­s­er und Het­zer in den sozialen Net­zw­erken – wie etwa der FPÖ-Gemein­der­at von Maria Lanzen­dorf, Erhard Brun­ner — ver­wen­den einen irreführen­den und in den Fak­ten falschen Bericht zu Nor­rköping, um ihm einen beson­deren Spin zugeben: Het­ze gegen den Islam und Het­ze gegen Linke, Grüne – und Frauen, denen Erhard Brun­ner als „Ther­a­pie“ eine FGM wün­scht.


FB-Post­ing Brun­ners vom Jänner
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