„Gedanken eines Bürgers. Wie wahr!“, kommentiert Egger knapp den faksimilierten Leserbrief aus der „Krone“. Ein Datum fehlt – aus gutem Grund. Der Inhalt des Leserbriefs kontrastiert völlig mit dem Titel bzw. der Anrede „Liebe Türken!“. Wer da noch meint, der Schreiber des Leserbriefs wolle einen Dialog, ein Gespräch mit den „lieben Türken”, liegt komplett falsch. Der Inhalt, teilweise in Fragen gekleidet, ist voll von pauschalisierenden Unterstellungen. Das beginnt schon mit der einleitenden Frage: „Was ist es, das Euch unser schönes Land so verachten lässt?“ — Alle Türken verachten Österreich, das ist die totalisierende Unterstellung, die in den folgenden Sätzen fortgesetzt und ausgemalt wird:
Für die landschaftliche Schönheit habt Ihr kein Auge, für unsere Kultur habt Ihr keinen Sinn, für unsere Menschen weigert Ihr Euch, Verständnis aufzubringen, unsere Männer sind Ungläubige, unsere Töchter sind leichte Mädchen. Wie mir einige von Euch auf den Kopf zusagten, kommt Ihr wegen unserer Sozialleistungen und der Verdienstmöglichkeiten.
Die Österreicher („unsere Menschen“) werden in den folgenden Sätzen in den wärmsten Tönen geschildert. Wer sich in freiheitlichen Foren umsieht oder FPÖ-Politik beobachtet, kennt ein anderes Österreich als das geschilderte: „Wir ändern Verordnungen, damit Ihr Eure Gewohnheiten auch bei uns leben könnt. Wir treten mancherorts für Euch zurück, um es für Euch hier bei uns lebenswerter zu machen.“ – Ach wirklich? Stichwort „Daham statt Islam“ oder Bau von Moscheen!
Der Politologe Reinhold Gärtner von der Universität Innsbruck hat den Leserbrief von Leisser als „ganz stark in eine rassistische Richtung“ gehend charakterisiert und in einem Interview mit dem ORF Vorarlberg so charaktierisiert: „Eine ethnisch definierte Bevölkerungsgruppe werde mit negativen Zuschreibungen charakterisiert und zudem biologisiert, indem man von einem Volk spreche. Der Autor stellt in seinem Leserbrief etwa fest, dass alle Türken Österreich verachteten.“
Als Rassist will Egger dann aber doch nicht gelten. In einer weiteren Stellungnahme, die er auch auf seinem Politiker-Konto auf Facebook verbreitet, behauptet er, niemals davon gesprochen zu haben, dass alle Türken Österreich ablehnen würden. Natürlich hat er! Wie lautete sein knapper Kommentar zu dem Hetzbrief von Leisser? „Wie wahr!“
Aber warum veröffentlicht Egger den Leserbrief von Leisser, ohne das Datum der Veröffentlichung in der „Krone“ anzugeben? Weil der Leserbrief aus dem Jahr 2009 stammt und in der „Krone“ am 25.9. 2009 veröffentlicht wurde?
Krone-Leserbrief, veröffentlicht am 25. September 2009
Hat Dieter Egger damals vor fünf Jahren den Leserbrief aus der „Krone“ ausgeschnipselt und in seiner Brieftasche verwahrt, um ihn bei der erstbesten Gelegenheit, die sich leider erst fünf Jahre später einstellte, zu veröffentlichen? Weil er ihm damals so gut gefallen hat, aber jetzt doch nicht mehr so ganz?
Ziemlich sicher nicht! Denn der Leserbrief kursiert bei den FPÖ-Spitzen wie ein Wanderpokal. Nach seiner Erstveröffentlichung in der „Krone“ tauchte er am 7. April 2013 auf dem FB-Konto von Heinz-Christian Strache auf – faksimiliert. Sein knapper Kommentar: „Guter Brief eines Bürgers!” Fast schon überflüssig zu erwähnen, dass auch Strache auf das Datum der Veröffentlichung in der Krone „vergessen“ hat.
Die Reaktion seiner Fans erklärt alles, was danach folgte. Der Strache-Kommentar mit Leserbrief wurde so oft geteilt wie kein anderer auf Straches Seite: Die FB-Statistik wies im Jänner 2014 mehr als 90.000 Teilungen aus. 182.106 Personen gefiel das Posting und mehr als 62.000 gaben einen Kommentar ab. Ob der Beitrag über bezahlte FB-Werbung gepusht wurde, wissen wir nicht.
Strache April 2013
Was wir jedenfalls wissen: Strache gefiel das so sehr, dass er sich neuerlich betätigte. Am 2. Oktober 2013 veröffentlichte er den Leserbrief zum zweiten Mal — mit dem bedeutungsschweren Zusatz: „Ein Thema das sehr vielen Menschen zu denken gibt und in diesem Brief offen angesprochen wird.“
Strache Oktober 2013
Obwohl die Kuh bereits gemolken war, gab sie noch einmal kräftig Milch: Mehr als 9.000 Personen gefiel die Hetze auch beim zweiten Mal. 3.000 Kommentare und 2.000 Teilungen, das ist selbst für Straches FB-Konto überdurchschnittlich – trotzdem meilenweit von der ersten Erregung entfernt.
Von der überwältigenden Erregung wollten natürlich auch andere profitieren: Noch am 7. April 2013 übernahm die ziemlich braune FB-Gruppe „Wir sind stolz Deutsche zu sein“ den Leserbrief samt Strache-Kommentar. Das Resultat war auch auf diesem FB-Konto sehr ermutigend und weit über den üblichen Daten.
Da wollte Straches Stellvertreter Johann Gudenus nicht zuwarten: Am 2. Jänner 2014 veröffentlichte auch er den Leserbrief. Wie es sich für einen treuen Jünger gehört, teilte er die Botschaft seines Vorsitzenden: kein eigener Kommentar, daher auch kein Hinweis darauf, dass der Leserbrief schon fünf Jahre alt ist und bereits zigtausendfach gemolken wurde. Das Posting ist mittlerweile nicht mehr aufzufinden – es ist aber anzunehmen, dass es auch bei Gudenus funktioniert hat.
Gudenus Jänner 2014
Nach weiteren zehn Monaten ist jetzt Egger dran: ein später Nachahmer, der wie seine Vorgänger zu feig ist, darauf hinzuweisen, dass der Leserbrief schon einen langen Bart hat. Der nicht erklären kann, warum er einen fünf Jahre alten Leserbrief aus der Mottenkiste holt, sich freudig zu ihm bekennt („Wie wahr!“), um sich daraufhin halbherzig von ihm zu distanzieren.