Am 11. September 2011 starb Uwe B., ein führendes Mitglied der rechtsextremen Hooligan-Gruppe „Unsterblich Wien“. Am 15. September organisierte „Unsterblich Wien“ einen Trauermarsch, der auf der Ost-Tribüne der Generali-Arena beim Europa-League ‑Spiel von Austria Wien gegen Metalist Charkiw mit einem verordneten Supportverzicht für die erste Viertelstunde endete – zum Gedenken an „Onkel Uwe“.
Der Supportverzicht als „Zeichen des Respekts“ für „Onkel Uwe“ wurde damals unter den Fans der Austria Wien heftig diskutiert und kritisiert. Denn Uwe B. war nicht irgendwer: Zu seinem Begräbnis-Termin war sogar der alte Neonazi Gerd Honsik aufgekreuzt, berichtete das Fußball-Magazin „Ballesterer“ damals.
Etliche Szenen des gespenstischen Trauermarsches zur Generali-Arena samt Einmarsch in das Stadion sind auf einem Video festgehalten, das wenig später auf YouTube kursierte. Als Intro wurden einige Standbilder mit Uwe, unterlegt vom Song „You’ll never walk alone“, gezeigt. Schon auf diesen Fotos gut erkennbar: Hakenkreuz, „88“ und der Hitlergruß. Im Video selbst dann mehrfach und gut erkennbar weitere Hitlergrüßer.
Bei der Staatsanwaltschaft Wien wurde daraufhin ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren nach dem Verbotsgesetz eingeleitet und das Landesamt für Verfassungsschutz (LVT) Wien mit Ermittlungen betraut. Vom LVT Wien wurden nur zwei (!) der annähernd zweihundert Personen des Trauermarsches identifiziert. Dabei handelte es sich neben einem wegen Hitlergruß Beschuldigten um eine Person, die gar nicht einvernommen wurde, weil sie der Hooligan-Szene der Rapid-Ultras zuzurechnen und deshalb fraglich sei, ob sie die Verdächtigen überhaupt kenne. Der Beschuldigte wurde am 5.3. 2012 einvernommen.
Auf Basis des Abschlussberichtes durch das LVT, der am Tag der Einvernahme des einzigen Beschuldigten (5.3.212) erfolgte, stellte die Staatsanwaltschaft Wien das Verfahren ein – wegen der „glaubwürdigen Verantwortung“ des Beschuldigten, er habe sich bloß „aufgrund des starken Alkoholisierungsgrads zum Hitlergruß hinreißen lassen“.
Der Akt landete letztendlich im Justizministerium. Dort stellte man fest, dass es sich sowohl beim namentlich bekannten Beschuldigten als auch bei dem identifizierten Zeugen um Rapid-Anhänger handelte. Deshalb, so die logische Schlußfolgerung des Ministeriums, könne nicht davon ausgegangen werden, dass dem Zeugen die übrigen Beschuldigten unbekannt seien. Für das Ministerium war außerdem nicht nachvollziehbar, weshalb Rapid-Fans an einem Trauermarsch für einen rechtsextremen Austria-Hooligan bzw. Einmarsch ins Austria-Stadion teilnehmen sollten – es sei denn, die rechtsextreme Gesinnung war das verbindende Element: Die hätte dann aber einen entsprechenden Vorsatz beim Hitlergruß nach § 3g Verbotsgesetz begründet und wäre nicht als spontane, reflexartige Geste zu werten gewesen. Das Justizministerium dazu: „Weiters ist im Hinblick auf das organisierte Auftreten und Einmarschieren von fast 200 Personen von einem planmäßigen Vorgehen und nicht von einem ‚bloßen Hinreißen lassen‘ auszugehen.“
Das Justizministerium (BMJ) erteilte deshalb die Weisung, das Verfahren gegen den (einzigen) identifizierten Beschuldigten und gegen unbekannte Täter weiterzuführen. Dabei übte es auch Kritik an der Staatsanwaltschaft Wien („oberflächlich begründete Zweifelseinstellung“) und am LVT Wien („wenig ambitioniert“). Die Vorgangsweise des LVT Wien veranlasste den zuständigen Sektionsleiter des BMJ sogar zu einem Schreiben an den Generaldirektor für öffentliche Sicherheit mit dem Ersuchen um interne Überprüfung der Vorgangsweise des LVT Wien.
Die Ermittlungen wurden also wieder aufgenommen und neuerlich eingestellt: mit der gleichen Begründung wie beim ersten Mal. Der Beschuldigte sei zu betrunken gewesen, um vorsätzlich handeln zu können. Am 28. März 2013 wurde die Einstellung des Verfahrens dann auch vom BMJ zur Kenntnis genommen.
Der „Standard“ (14.11.13) zitiert in seinem Bericht „Hitlergruß im Stadion: Ministerium rüffelt Verfassungsschutz“ den Leiter des Wiener LVT, Erich Zwettler, der noch im Februar 2012 gemeint hatte, man werde „nicht wegschauen und konsequent Anzeigen erstatten. Man muss auf ein Fußballspiel gehen können, ohne Leute wahrzunehmen, die den deutschen Gruß machen.“
Die Ausforschung der Täter hielt Zwettler damals für kein besonderes Problem, „das kann man durch technische Methoden herbeiführen“ – wenn man das Video hat! Das YouTube-Video zu „Onkel Uwe“ musste sich das LVT Wien nämlich erst bei der Sportredaktion des „Standard“ besorgen. Das LVT hat das Video auch erhalten, aber offensichtlich nicht oder sehr wenig mit „technischen Methoden“ oder einfach nur durch Hinschauen ausgewertet. Auf dem Video sind nicht nur die einschlägigen Gesten und auch Symbole deutlich erkennbar, sondern trotz teilweise schlechter Bildqualität auch etliche Personen des Trauermarsches.
Videos gibt es auch von dem Überfall der „Unsterblich“-Truppe auf das Ernst-Kirchweger-Haus Ende Oktober 2013: „Klarheit soll eine Videoaufzeichnung bringen, in deren Besitz die Polizei ist, die Auswertung des Materials ist umgehend geplant.“ Im Lichte der Ermittlungsergebnisse zum „Trauermarsch“ 2011 klingt das ziemlich beunruhigend. Albert Steinhauser, Justizsprecher der Grünen, in Richtung Verfassungsschutz: „Dem Verfassungsschutz fehlt der Wille und das Wissen für Ermittlungen bei Straftaten mit rechtsextremen Hintergrund.“