Es ist wieder da: Das Unwort „Umvolkung“ ist wieder in der innenpolitische Debatte aufgetaucht. 1992 hat Andreas Mölzer, damals Grundsatzreferent der FPÖ, den Begriff in die politische Debatte eingeführt. Jetzt hat ihn Karl Schnell, Landesobmann der Salzburger FPÖ, wieder ausgegraben.
Bei Wikipedia hat der Begriff „Umvolkung“ einen eigenen Artikel erhalten. Wer sich wirklich informieren möchte , könnte sich dort über die Entstehung des Begriffs kundig machen. Doch ist das das Problem der Freiheitlichen? Sie wissen natürlich, dass sie Nazi-Terminologie verwenden, wenn sie von der „Umvolkung“ sprechen.
Der Begriff „Umvolkung“ ist eigentlich ein Euphemismus für die von den Nazis geplante systematische Vertreibungspolitik, die das Nazi-Regime vor allem über den „Generalplan Ost“ in den eroberten Gebieten umgesetzt hat und von einer willfährigen Volkstumsforschung, die auch die Terminologie lieferte, vorbereiten ließ. Wer den Begriff „Umvolkung“ heute verwendet, entkleidet die systematische Germanisierungspolitik der Nazis, die mit Vertreibung und „Entjudung“ verbunden war, ihres historischen Kontexts und verkehrt sie in den Vorwurf einer angeblich systematisch betriebenen Entgermanisierungspolitik.
Bei Andreas Mölzer las sich das im Jahr 1992 so: „Ich fürchte, dass die deutsche Volks- und Kulturgemeinschaft in der BRD und in Österreich erstmals in ihrer tausendjährigen Geschichte vor einer Umvolkung steht.“ Bislang, so Mölzer damals, sei die „biologische Potenz der Deutschen“ stark genug gewesen, jetzt aber sehe er einen „überalterten und schwächeren Volkskörper“ (Standard, 13.2.1992), der „dynamischeren Zuwanderern“ gegenüberstehe, was in einer „ethnischen, kulturellen Umvolkung“ münden könne.
Die Aussagen von Mölzer verurteilten 1992 die Parlamentsparteien SPÖ, ÖVP und Grüne scharf und es wurde Mölzers Rücktritt als Bundesrat gefordert. Auch in der FPÖ gab es Widerstand: Georg Mautner-Markhof, damals Nationalratsabgeordneter der FPÖ, trat von seiner Funktion zurück, kurz darauf auch der Klubobmann der FPÖ im Nationalrat, Norbert Gugerbauer, der zuvor noch die Meinung vertreten hatte, die FPÖ-Mitglieder seien resistent gegen solche Äußerungen. Heide Schmidt, Präsidentschaftskandidatin der FPÖ, distanzierte sich ebenso von Mölzer und gründete in der Folge mit weiteren FPÖ-Abgeordneten das Liberale Forum (LIF). FPÖ-Chef Jörg Haider stellte sich mit einer klassisch freiheitlichen Erklärung hinter Mölzer: Der Begriff sei zwar „unschön“, aber weil ihn auch der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt verwendet habe, kein weiteres Problem. Mölzer selbst reagierte taktisch geschickt: Er stellte seine Funktionen (Leiter des freiheitlichen Bildungswerks und Grundsatzreferent) zur Verfügung und empfahl sich in der Entscheidung über sein Mandat als Bundesrat der Kärntner FPÖ an, die ihn daraufhin als Bundesrat bestätigte.
Die von Mölzer losgetretene Debatte über „Umvolkung“ war Auftakt bzw. Begleitelement für das Anti-Ausländer-Volksbegehren der FPÖ („Österreich zuerst“). In der politischen Debatte wurde der Begriff „Umvolkung“ jedenfalls in den Folgejahren nur mehr von Neonazis und Rechtsextremen verwendet. Die Deutsche Volksunion (DVU) des Gerhard Frey bezog sich dabei ausdrücklich auf die FPÖ. Als 1998 der FPÖ-Abgeordnete Franz Lafer im Nationalrat im Rahmen einer Debatte über Einbürgerungsrechte meinte, „Ich möchte fast behaupten, das gleicht schon einer Umvolkung“, gab es einen Wirbel, Sitzungsunterbrechung und danach die formelle Rücknahme des Begriffs durch Lafer.
Johann Gudenus brachte als Obmann des RFJ und Teil der Parteirechten in der FPÖ die „Umvolkung“ dann 2004 wieder in die politische Debatte ein und forderte sofortige Gegenmaßnahmen, “um die, Anfang der 90er Jahre noch belächelte, jetzt aber voll einsetzende Umvolkung zu verhindern“.
Die Verteidigung von Gudenus übernahm Strache, der damals Wiener FPÖ-Obmann war. Er sei sich bewusst, dass der Begriff aus der NS-Zeit stamme und die Politik, die damals mit ihm betrieben wurde „zutiefst verwerflich“ sei, erklärte er der APA (13.4.2004). Gudenus habe „kritisch und überzeichnend“ darauf aufmerksam machen wollen, dass es auch heute Politiker gebe, „die nach diesen verwerflichen Kriterien Politik machen“.
Da ist er wieder: Der Begriff „Umvolkung“ in seiner ursprünglichen NS-Bedeutung von systematischer und organisierter Vertreibung! Wie bei Mölzer allerdings auf den Kopf gestellt als Entgermanisierungspolitik, also als eine bewusste, geplante Politik, die zum Ziel hat, das eigene, das „deutsche Volk“ zu schwächen und somit auszulöschen. Von hier bis zu den „Identitären”, aber auch den „Volkstod“-Kampagnen der Neonazis ist es nur ein schmaler Grat. Was fehlt, ist die passende Verschwörungstheorie, wer die neue „Umvolkung“ organisiert. Für die Neonazis sind’s die Bilderberger oder das Weltjudentum. Die FPÖ hält sich da bedeckt und spricht – wie Strache – allgemein von Politikern, „die nach diesen verwerflichen Kriterien Politik machen“ bzw. vom „schleichenden organisierten (!) Bevölkerungsaustausch“.
Neonazis und der „Volkstod”
Mit der Herkunft des Begriffs „Umvolkung“ wird von den Freiheitlichen gerne gespielt: Mal wird da Irenäus Eibesfeldt genannt, mal Maria Theresia, mal weiß man um die Nazi-Diktion, das andere Mal wieder nicht. In einem Interview mit dem „Standard“ (28.12.2010) war sie Johann Gudenus wieder einmal unbekannt – die perfide Umdeutung des Begriffs treibt er aber auf die Spitze:
Mir ist die Konnotation nicht bekannt, das wird immer so herbeigeredet. Wir bewegen uns innerhalb der Verfassung, innerhalb der Menschenrechte, und wir schätzen das freie Wort. Wenn sich jemand im Rahmen der Meinungsfreiheit gewisser Ausdrücke bedient, sollte man nicht immer so überempfindlich sein. Außerdem sind wir ja Gegner dieser zitierten Umvolkung. Wir lehnen das ab. Umvolkung ist für uns pfui gack.
Als in Oberösterreich Neonazis ein Flugblatt mit dem Slogan „Stoppt den Umvolkungwahnsinn“ titelten, war für den Sicherheitsdirektor klar: „Der Begriff Umvolkung ist jedenfalls einschlägig im Sinne des Verbotsgesetzes.” (OÖN, 6.4.2005)
Wenn Karl Schnell, der Salzburger FPÖ-Chef, jetzt mit dem Sager von der „Umvolkung in gewissen Bereichen“ im Landtagswahlkampf auf öffentliche Aufmerksamkeit hofft und ihm Strache mit dem „schleichenden organisierten Bevölkerungsaustausch“ assistiert, dann geht es nicht nur um Nazi-Diktion und deren entschiedene Ablehnung, sondern auch um die Bedeutung, mit der die Freiheitlichen den Begriff unterfüttern. Frei nach Mölzer: Der „überalterte“ Volkskörper, die „biologische Potenz“ der Deutschen ist in Gefahr. Die FPÖ ist wieder einmal ganz rechts angekommen.