Mit der Verwendung der Worte „Gesinnungsterror“, „Umerziehung“ und „Vernichtungsfeldzug“ bedienen die beiden FPÖ-Politiker klar besetzte Begriffe. Wer den Text liest, muss sich die Frage stellen, ob die Stadt Wien tatsächlich Menschen, die ihre Meinung offen sagen, mit dem Entzug der Existenzgrundlagen bedroht, sie in Umerziehungslager sperrt oder eben wirklich einen Feldzug zur Vernichtung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe führt.
Anlass der widerlichen Verbaldiarrhoe war die an diesem Tag bekannt gegebene Umbenennung des Wiener Lueger-Rings in Universitätsring. Dem vorausgegangen waren fast 25 Jahre lange Diskussionen: Der ehemalige Wiener Bürgermeister Karl Lueger, in dessen Amtszeit sich die EinwohnerInnenzahl Wiens vervierfachte, die Hochquellwasserleitung errichtet und die Straßenbahnen kommunalisiert wurden, gilt als prägendster antisemitischer Hetzredner seiner Zeit. Auf Luegers Antisemitismus hat sich etwa Adolf Hitler in „Mein Kampf“ bezogen, als er schrieb: „Heute sehe ich in dem Manne mehr noch als früher den gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten.“ Und nicht zufällig war der Wiener Stadtverwaltung in der Zeit des Austrofaschismus in den Sinn gekommen, den 1919 nach dem Tag der Ausrufung der Republik „Ring des 12. November“ benannten Straßenzug, an dem die Universität Wien lag und liegt, nach Lueger zu benennen, hatte dieser doch ebenjene Universität als „Brutstätten der Religions- und Vaterlandslosigkeit” bezeichnet.
Universitätsring (Bildquelle: Wikipedia; Urheber(in): Invisigoth67)
Selbst intellektuelle Randfiguren wie Strache oder Gudenus werden nicht ernsthaft behaupten können, dass im Zuge dieses sich über mehr als zwei Jahrzehnte hinziehende Diskussionsprozesses und der darauf folgenden Umbenennung auch nur im Entferntesten Vorgänge abgespielt haben, die mit Gesinnungsterror, Umerziehung oder einem Vernichtungsfeldzug in Verbindung gebracht werden können. Ganz offensichtlich macht es FPÖ-FunktionärInnen Spaß, Begrifflichkeiten, die unmittelbar mit dem NS-Vernichtungskrieg im Osten oder mit totalitären Regimen in Verbindung stehen zur Diffamierung politischer KontrahentInnen einzusetzen. „Vernichtungskrieg” ist somit nicht mehr etwa der millionenfache Massenmord an JüdInnen und BewohnerInnen Osteuropas im Nationalsozialismus, der Massenmord an der Bevölkerung Ruandas, an bosnischen Muslimen oder der Bevölkerung von Darfur, sondern bereits die schlichte Umbenennung eines Straßenzuges. Gesinnungsterror ist nicht mehr eine Methode der Machterhaltung durch den Nationalsozialismus oder totalitäre Regimes in Osteuropa, sondern ein über zwei Jahrzehnte gehender, offener Diskussionsprozess. Und Umerziehung ist nicht eine Form des Massenmordes in einem chinesischen Arbeitslager der Kulturrevolution oder auf den Killing Fields von Kambodscha, sondern der Austausch eines Straßenschildes.
Wie Strache und Gudenus den Nationalsozialismus sehen: Deutsche Soldaten diskutieren die Namensgebung der Straßen im besetzten Weißrussland?
Bleibt eine einzig mögliche Schlussfolgerung: FPÖ-PolitikerInnen, die sich vom Nationalsozialismus abzugrenzen suchen, grenzen sich nicht von der Shoah, nicht vom Antisemitismus ab, sondern vom Austausch von Straßenschildern durch das NS-Terrorregime im besetzten Osteuropa. Aber nicht einmal das ist sicher.
➡️ Die rechten Sprachdeuter (Teil 1): FPÖ reanimiert den Blockwart
➡️ Die rechten Sprachdeuter (Teil 3): Faschismuskeulen und andere Rohrkrepierer
➡️ Die rechten Sprachdeuter (Teil 4): Die Freiheit der Kunst und die FPÖ