Einmal abgesehen davon, dass wir „Tatort“-Beschreibungen wie diese („an einer U‑Bahn-Haltestelle“, musste ich mir „von einem Mann (türkischer Abstammung) im gebrochenen Deutsch folgende Wörter anhören „Scheiß Österreicher, verpiss dich — kein Platz für dich”) für mehr als vage und widersprüchlich halten (die konkrete Beschimpfung verrät kein gebrochenes Deutsch, sondern eher eine gelungene dialektale norddeutsche Färbung): Sollte die Begegnung tatsächlich so stattgefunden haben, ist sie unerfreulich.
Es fehlen ihr jedenfalls wesentliche Elemente, um sie als Beleidigung nach § 115 StGB oder als qualifizierte Beleidigung nach § 117 (3) StGB zu klassifizieren.
§ 115 Beleidigung
(1) Wer öffentlich oder vor mehreren Leuten einen anderen beschimpft, verspottet, am Körper mißhandelt oder mit einer körperlichen Mißhandlung bedroht, ist, wenn er deswegen nicht nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe bedroht ist, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen.(2) Eine Handlung wird vor mehreren Leuten begangen, wenn sie in Gegenwart von mehr als zwei vom Täter und vom Angegriffenen verschiedenen Personen begangen wird und diese sie wahrnehmen können.
(3) Wer sich nur durch Entrüstung über das Verhalten eines anderen dazu hinreißen läßt, ihn in einer den Umständen nach entschuldbaren Weise zu beschimpfen, zu mißhandeln oder mit Mißhandlungen zu bedrohen, ist entschuldigt, wenn seine Entrüstung, insbesondere auch im Hinblick auf die seit ihrem Anlaß verstrichene Zeit, allgemein begreiflich ist.
§ 117 Berechtigung zur Anklage
(1) Die strafbaren Handlungen gegen die Ehre sind nur auf Verlangen des in seiner Ehre Verletzten zu verfolgen. Sie sind jedoch von Amts wegen zu verfolgen, wenn sie gegen den Bundespräsidenten, gegen den Nationalrat, den Bundesrat, die Bundesversammlung oder einen Landtag, gegen das Bundesheer, eine selbständige Abteilung des Bundesheeres oder gegen eine Behörde gerichtet sind. Zur Verfolgung ist die Ermächtigung der beleidigten Person, des beleidigten Vertretungskörpers oder der beleidigten Behörde, zur Verfolgung wegen einer Beleidigung des Bundesheeres oder einer selbständigen Abteilung des Bundesheeres die Ermächtigung des Bundesministers für Landesverteidigung einzuholen.(2) Wird eine strafbare Handlung gegen die Ehre wider einen Beamten oder wider einen Seelsorger einer im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgesellschaft während der Ausübung seines Amtes oder Dienstes begangen, so hat der öffentliche Ankläger den Täter mit Ermächtigung des Verletzten und der diesem vorgesetzten Stelle innerhalb der sonst dem Verletzten für das Verlangen nach Verfolgung offenstehenden Frist zu verfolgen. Das gleiche gilt, wenn eine solche Handlung gegen eine der genannten Personen in Beziehung auf eine ihrer Berufshandlungen in einem Druckwerk, im Rundfunk oder sonst auf eine Weise begangen wird, daß sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird.
(3) Der Täter ist wegen einer im § 115 mit Strafe bedrohten Handlung mit Ermächtigung des Verletzten vom öffentlichen Ankläger zu verfolgen, wenn sich die Tat gegen den Verletzten wegen seiner Zugehörigkeit zu einer der im § 283 Abs. 1 bezeichneten Gruppen richtet und entweder in einer Mißhandlung oder Bedrohung mit einer Mißhandlung oder in einer die Menschenwürde verletzenden Beschimpfung oder Verspottung besteht.
(4) In den Fällen der Abs. 2 und 3 ist der Verletzte jederzeit berechtigt, sich der Anklage anzuschließen. Verfolgt der öffentliche Ankläger eine solche strafbare Handlung nicht oder tritt er von der Verfolgung zurück, so ist der Verletzte selbst zur Anklage berechtigt. Die Frist zur Erhebung der Anklage beginnt in diesem Fall, sobald der Verletzte durch den öffentlichen Ankläger vom Unterbleiben der Verfolgung oder weiteren Verfolgung verständigt worden ist.
Die Beleidigung verlangt zumindest zwei Zeugen oder eine Öffentlichkeit (über Medien). Die einfache Beleidigung ist ein Privatanklagedelikt. Wird der Beschuldigte freigesprochen, muss der Kläger die Prozesskosten zahlen. Wenn die Beleidigung Elemente enthält, die sich auf eine der im § 283 StGB (Verhetzung) definierten Gruppen beziehen, dann handelt es sich um eine qualifizierte Beleidigung, die durch eine Ermächtigung (des/ der Beleidigten) von der Staatsanwaltschaft verfolgt wird.
Im vorliegenden Fall, wo es offensichtlich keine Zeugen, keinen konkreten Täter und keinen konkreten Tatort gibt, empfiehlt sich eigentlich Schweigen. Der gestreckte Mittelfinger, auch bezeichnet als digitus impudicus bzw Stinkefinger, ist eine aggressive und beleidigende, aber keine nazistische oder neonazistische Geste.
Ganz im Gegensatz zum gestreckten rechten Arm, der den Deutschen Gruß oder Hitler-Gruß symbolisiert und unter die Strafandrohung des § 3g Verbotsgesetz fällt. Wichtig beim § 3g ist: Eine Öffentlichkeit oder eine Wahrnehmung durch mindestens zwei Zeugen ist keine Voraussetzung für das Tatbild. Wer sich z.B. auf Facebook „nur für Freunde“ oder für das Fotoalbum in einschlägiger Pose ablichten lässt, vielleicht noch ein paar Nazi-Songs am Handy hat oder ein einschlägiges Tattoo („Peckerl“) und dabei entdeckt wird, kann sich schon auf ein Verfahren vorbereiten.
§ 3g Verbotsgesetz
Wer sich auf eine andere als die in den §§ 3 a bis f bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, wird, sofern die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung strenger strafbar ist, mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren, bei besonderer Gefährlichkeit des Täters oder der Betätigung bis zu 20 Jahren bestraft.
Die abgewandelte Form des Hitlergrußes, der Kühnen- oder Widerstands-Gruß, bei der der rechte Arm abgestreckt, Daumen, Zeige- und Mittelfinger gespreizt werden, während die zwei anderen Finger abgewinkelt bleiben, ist eindeutig eine neonazistische Geste, die bewusst an den Hitlergruß erinnern will. Ihre Strafbarkeit ist in Österreich umstritten; soweit wir wissen, gibt es dazu keine Judikatur – trotz Strache.
Zurück zum Ausgangspunkt: Beleidigungen gibt es viele, nicht nur den ausgestreckten Finger am Fußballplatz oder zwischen Autofahrern. Der Alltagsrassismus hat deutlich zugenommen, vorwiegend der gegen ethnisch definierte oder religiöse Gruppen.
Antiösterreichischer Rassismus?
Rassismus ist nicht einfach zu definieren. Für den Rassismus-Forscher Albert Memmi ist er „eine vielseitig verwendbare Beschuldigung, die von allem Gebrauch macht, was sich anbietet, selbst von dem, was gar nicht greifbar ist, weil sie es je nach Bedarf erfindet“.
In der „Meldung“ an uns wird der Beleidiger als ein Mann „türkischer Abstammung“ identifiziert. Wodurch? Durch seine Hautfarbe? Durch einen Schnauzbart? Der angeblich Beleidigte weiß sonst nichts über den angeblichen Beleidiger, aber dass er türkischer (und nicht kurdischer, armenischer oder arabischer) Abstammung ist, das glaubt er zu wissen.
Der Beleidiger „türkischer Abstammung“ schimpft angeblich: „Scheiß Österreicher, verpiss dich – kein Platz für dich!” Die Unterstellung, Türken wollen Österreicher in ihrem eigenen Land verdrängen, ist selbst ein rassistisches Konstrukt, das von der assoziativen Verknüpfung Türken – Bedrohung – Vermehrung lebt. Mit der „Meldung” des angeblichen Vorfalls wird versucht, „eine Erfahrung“ so verallgemeinernd in Umlauf zu bringen, dass sie zum rassistischen Selbstläufer gegenüber einer konkreten Gruppe, den „Türken“ wird.
Vorsicht, die bewusste Verbreitung falscher, beunruhigender Gerüchte kann unter bestimmten, allerdings sehr streng definierten Voraussetzungen ebenfalls strafbar werden (§ 276 StGB). Also besser keine Falschmeldungen in Umlauf bringen!