Ebensee Anfang Mai 2009: Vier Jugendliche attackieren französische und italienische AntifaschistInnen, unter ihnen auch ehemalige Häftlinge des KZ Ebensee während der Befreiungsfeiern im KZ Ebensee, schießen mit dem Softgun-Nachbau eines Sturmgewehres auf die AntifaschistInnen und schreien Nazi-Parolen.
Die ersten Reaktionen
Der Vorfall wird international beachtet, die politischen Reaktionen sind – abgesehen von Bundesministerin Fekter und der FPÖ – eindeutig: Betroffenheit, Ablehnung, Empörung. Fekter hatte zunächst vom gegenseitigen Aufschaukeln von Rechts- und Linksextremen gesprochen, sich aber danach für den missverständlichen Vergleich, den sie nicht auf die Ebenseer Vorfälle gedeutet haben wollte, entschuldigt. Sie kündigte an, die rechtsextreme Szene vom Verfassungsschutz prüfen zu lassen.
Heinz-Christian Strache sprach von einem „Lausbubenstreich“, für den die Jugendlichen an den Ohren gezogen gehören, „vielleicht einmal eine gesunde Tachtel gegeben (…), aber doch bitte nicht wochenlang in U‑Haft genommen“.
Martin Graf war der Meinung, dass es sich entweder um Lausbuben oder um Agents Provocateurs handeln müsse, lehnt aber eine Ausweitung Politischer Bildung an den Schulen kategorisch ab. Als die Jugendlichen ausgeforscht werden und dabei bekannt wird, dass einer der Verdächtigen bei den Roten Falken aktiv war, spricht die FPÖ von „linken Nazis“ als den Tätern. Auch die Alpen-Donau-Nazis sprechen von linken Provokateuren – dabei wussten sie es zu diesem Zeitpunkt schon besser. Die Ebenseer reagieren mit einer großen Kundgebung am 24.5. 2009 auf die neonazistischen Provokationen.
Einer der verhafteten Jugendlichen entschuldigt sich über einen Brief an das Mauthausen-Komitee bei den TeilnehmerInnen der Befreiungsfeiern: „Ich kann gut verstehen, dass sie (die offensichtlich von Geschoßen getroffenen Personen, Anm.) sich sehr aufregen und geärgert haben, wenn ich mir überlege, dass sie selbst von den Ereignissen in Ebensee betroffen waren oder Vater oder Opa verloren haben.”
Die braune Spur
Die Untersuchungen der Exekutive führen zur Verhaftung eines weiteren Jugendlichen (Nr. 5), der sich voll geständig zeigt. In den Stollen-Anlagen des KZ Ebensee waren nicht nur die vier ursprünglich verhafteten Jugendlichen anwesend, sondern noch weitere sechs Jugendliche, die wieder verschwanden, „als sie merkten, was da abging” (APA, 24.9.2010). Das Mauthausen-Komitee fordert eine genauere Analyse des Umfelds der Jugendlichen ein – eine Forderung, die leider ungehört verhallt.
Die Polizei ermittelt und findet bei den Tatverdächtigen – wie erste Prozesstag am 24. September klarmacht – auch Indizien: Eine „Heil Hitler“-SMS und NS-Musik am Handy, einschlägige Bilder am Laptop. Wir haben auch etwas gefunden: Zumindest einer der Beschuldigten, P.W., ist bestens vernetzt mit der Neonazi-Szene. Die Kameraden und eine Kameradin des Neonazi-Treffs Objekt 21 in Desselbrunn gehören zu seinem Freundeskreis, auch andere Nazis aus der näheren Umgebung von Ebensee. Jürgen Windhofer, der bis zu seiner Haftstrafe im Objekt 21 umtriebige Neonazi, war ebenfalls vorher in Ebensee umtriebig und hatte von dort seinen „Kampfverband Oberdonau“ organisiert.
Norman Bordin, ein Schwergewicht der bayrischen Neonazi-Szene mit einem heftigen Vorstrafenregister, der vor allem mit der oberösterreichischen Neonazi-Szene gut verbunden ist, taucht unter den Kontakten von P.W. auf, auch die FPÖ Traiskirchen, „27 % für Blau! Wir lassen uns von der Regierung nicht ausgrenzen!“ und „Ausländer für Strache“. In seinem Facebook-Profil gibt P.W. als politische Einstellung FPÖ an. Unter religiöse Ansichten vermerkt er: „Ich zahle nicht für Kinderschänder!!” Über den Prozesstag am 1.12. schreibt er: „will das dea Morgige Tag sea schnell vageht… =( .” Nach dem ersten Prozesstag vermerkte er: „Oiida de scheiss wixxa vo da presse de hund schreibn so an scheiss ind zeitung eine des is ah wahnsinn!!
soin oafoch moi de goschn hoidn und de woaheit eine schreibn und nd so an bledsinn!!”
Bei den anderen Angeklagten lassen sich zwar deutlich rechte, aber keine ausgeprägt neonazistischen Kontakte und Vorlieben ausmachen: Sie voten auf Facebook für HC Strache, „Ja zu Österreich ohne Minarette” und ähnlichem.
Dennoch: Der als Anführer der Aktion identifizierte Angeklagte (es ist nicht P.W.) ist der auf dem einzigen Foto von der Provokation abgebildete Jugendliche, der mit einer Sturmhaube und im Stechschritt durch den Stollen paradierte, mit einer Softgun bewaffnet. Er hat die Hand zum Hitlergruß gehoben und Parolen wie „Heil Hitler“, „Sieg Heil, ihr Schweine” und „Blood and Honour“ gerufen. Die übrigen Angeklagten haben offensichtlich auch Naziparolen gerufen und ebenfalls mit Softguns bzw. einer CO2-Waffe auf Besucher geschossen. Es braucht offensichtlich nicht viel, damit sich Jugendliche, deren Grundstimmung dumpf rechts ist, zu derartigen Provokationen und Straftaten hinreißen lassen.
Konsequenzen?
Das Gericht in Wels hat eine schwierige Aufgabe. Einerseits, weil das Ereignis (die Straftat), ein tätlicher Angriff auf ehemalige KZ-Insassen durch Jugendliche, schon für sich genommen alle Dimensionen sprengt. Andererseits, weil die Attacke von Ebensee eingebettet ist in die Herausbildung einer neonazistischen Szene in Oberösterreich, die im Frühjahr 2009 durch eine Reihe von Vorfällen deutlich geworden ist: ein Nazi-Skin-Konzert in Grünau, der Prozess gegen den Kampfverband Oberdonau (Jürgen Windhofer), die Etablierung von Objekt 21 in Desselbrunn, die Schmieraktion in Vöcklamarkt usw.
Da ist mehr notwendig als ein Richterspruch. Die Politik, die in der ersten Empörung und Betroffenheit Schritte angekündigt hat, muss sich endlich jenseits strafrechtlicher Verfolgung mit dem Thema ernsthaft auseinandersetzen!
Siehe auch: Ebensee-Prozess geht ins Finale