HGM: Missmanagement als Erfolgskriterium?

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Nach­dem wir im Sep­tem­ber 2019 mit unse­rer Bericht­erstat­tung über „Rechts­extre­mes im letz­ten gro­ßen Staats­mu­se­um“ begon­nen haben, sind eine Fül­le wei­te­rer Infor­ma­tio­nen über die ver­hee­ren­den Zustän­de im Hee­res­ge­schicht­li­chen Muse­um (HGM) bekannt gewor­den. Damit schien aber auch klar: Chris­ti­an Ort­ner kann dort nicht wei­ter Direk­tor sein. Der dama­li­ge Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter ließ Ort­ner denn auch eine Mit­tei­lung über des­sen Nicht­wei­ter­be­stel­lung zukom­men. Den­noch blieb Ort­ner dann unter neu­er Minis­te­ri­ums­füh­rung „inte­ri­mis­tisch“ wei­te­re zwei Jah­re – und hat nun bes­te Chan­cen, wie­der­be­stellt zu werden.

Acht­zehn Kan­di­da­tIn­nen haben sich um die Lei­tung des HGM bewor­ben, dar­un­ter auch der lang­jäh­ri­ge und auch „inte­ri­mis­ti­sche“ Direk­tor Chris­ti­an Ort­ner: „Außer Ort­ner sol­len die meis­ten der Kan­di­da­ten der Kri­tik gegen­über auf­ge­schlos­sen sein und dies auch in ihren Kon­zep­ten berück­sich­ti­gen“, schrieb der „Stan­dard“ am 29.9.22.

Und aus­ge­rech­net der Unein­sich­tigs­te, der die Zustän­de im und um das HGM zu ver­ant­wor­ten hat, soll jetzt wie­der­be­stellt wer­den? Von den 18 sind 15 aus­ge­siebt wor­den, dar­un­ter auch abso­lu­te Exper­ten. Im Drei­er­vor­schlag fin­den sich ein His­to­ri­ker, zugleich im Kabi­nett von Minis­te­rin Tan­ner beschäf­tigt, ein Mit­ar­bei­ter des Römisch-Ger­ma­ni­schen Zen­tral­mu­se­ums in Mainz – und Chris­ti­an Ortner.

Sei­ne Chan­cen ste­hen also bes­tens, trotz äußerst mas­si­ver und sub­stan­zi­el­ler Kri­tik, die in den letz­ten Jah­ren von zivil­ge­sell­schaft­li­cher Sei­te, von Expert*innen, dem Rech­nungs­hof und auch von media­ler Sei­te an ihm geübt wur­de. Nach­dem der Lei­ter einer Expert*innenkommission zum HGM, Wolf­gang Muchitsch, zum HGM fest­ge­stellt hat­te: „Es ist doch kei­ner mit die­sem Muse­um zufrie­den“, ver­sprach Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­rin Tan­ner, das Muse­um „auf neue Bei­ne“ stel­len zu wollen.

Dass die­se Bei­ne jetzt wie­der­um die Ort­ners sein könn­ten (…) ist von pro­fes­sio­nel­ler War­te her­aus schlicht nicht zu ver­ste­hen. In einem ver­gleich­ba­ren Bun­des­mu­se­um (…) wären der­ar­ti­ge Vor­wür­fe unmög­lich ohne per­so­nel­le Kon­se­quen­zen“, schreibt die ent­setz­te Redak­teu­rin Almuth Spieg­ler in der „Pres­se“ vom 22.11.22. Sie bezieht sich in ihrer Kri­tik unter ande­rem auch auf einen Beschwer­de­brief von Mitarbeiter*innen des HGM, den die­se in ihrer Ver­zweif­lung wegen der neu­er­li­chen Bewer­bung von Ort­ner vor mitt­ler­wei­le vier Wochen an Minis­te­rin Tan­ner geschrie­ben haben. Eine Ant­wort des Minis­te­ri­ums bzw. der Minis­te­rin ist bis heu­te aus­ge­blie­ben, obwohl der Brief schwe­re Vor­wür­fe wegen Mob­bing (Bos­sing) gegen den Direk­tor erhebt:

Beschwer­de über das Ver­hal­ten (Mob­bing-/Bos­sing­ver­dacht) unse­res Dienst­stel­len­lei­ters, HR Dr. M. Chris­ti­an Ort­ner, Direk­tor des Hee­res­ge­schicht­li­chen Museums
Sehr geehr­te Frau Bun­des­mi­nis­te­rin! Wir als akti­ve und ehe­ma­li­ge Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter des Hee­res­ge­schicht­li­chen Muse­ums wen­den uns mit­tels die­ses Brie­fes an Sie, um die Zustän­de, die beson­ders seit den ver­gan­ge­nen 10 Jah­ren im Hee­res­ge­schicht­li­chen Muse­um gang und gäbe sind, end­lich publik zu machen, nach­dem frü­he­re Ersu­chen um Unter­stüt­zung an Vor­ge­setz­te kei­ne Ergeb­nis­se gebracht haben. Da im Arti­kel „18 Bewer­bun­gen für Direk­ti­on im Hee­res­ge­schicht­li­chen“ vom 28. Sep­tem­ber in der Tages­zei­tung „Der Stan­dard“ berich­tet wur­de, dass sich unser der­zei­ti­ger Dienst­stel­len­lei­ter, HR Mag. Dr. M. Chris­ti­an Ort­ner, nicht nur wie­der um den Arbeits­platz des wis­sen­schaft­li­chen Direk­tors des HGM bewor­ben hat, son­dern auch durch­aus wie­der die Mög­lich­keit einer Neu­be­stel­lung bestehe, haben wir ver­zwei­felt den Mut gefasst, uns in die­ser Ange­le­gen­heit direkt an Sie zu wen­den. Wir schrei­ben die­sen Brief auch im Namen zahl­rei­cher Bediens­te­ter, die es ange­sichts zu erwar­ten­der „Kon­se­quen­zen“ nicht wagen, sich eben­falls offen zu bekennen. (…)

 

Durch Direk­tor Ort­ner und sein Füh­rungs­team wur­de in den ver­gan­ge­nen Jah­ren im Hee­res­ge­schicht­li­chen Muse­um bewusst ein Kli­ma der Angst, der Dro­hun­gen und der Kon­flik­te erzeugt, wodurch es zu einer mas­si­ven psy­chi­schen Belas­tung am Arbeits­platz gekom­men ist. Gera­de die Kon­flik­te wur­den bewusst erzeugt und geschürt (frei nach dem Spruch „je mehr sie mit­ein­an­der kämp­fen, des­to leich­ter kann ich sie füh­ren“). Die Aus­wir­kun­gen die­ses Kli­mas las­sen sich an der gro­ßen Anzahl an Kran­ken­stän­den able­sen, die zwar von Direk­tor Ort­ner immer wie­der auf die „Über­al­te­rung“ der Beleg­schaft gescho­ben wur­de, in Wahr­heit aber zu einem Gut­teil der psy­chi­schen Belas­tung geschul­det ist (abzu­le­sen am Anstieg an Burn­out-Fäl­len und damit ver­bun­de­nen Lang­zeit­kran­ken­stän­den wie auch an ande­ren schwe­ren Erkran­kun­gen, Herz­in­fark­ten usw.). Für die Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter war die „Flucht in den Kran­ken­stand“ über Jah­re die ein­zi­ge Mög­lich­keit, um den Zustän­den am Arbeits­platz zumin­dest kurz­fris­tig ent­kom­men zu kön­nen. Zahl­rei­che Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter benö­ti­gen bis heu­te täg­lich Psy­cho­phar­ma­ka, um den Arbeits­all­tag bestrei­ten zu können. (…)

Dazu kommt, dass Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter immer wie­der vor allem ver­bal mas­siv bedroht wer­den (O‑Ton: „Du bist ein Krebs­ge­schwür, das man her­aus­schnei­den muss.“, „Ich mache dich einen Kopf kür­zer.“ „Du bist ein Feind des Muse­ums.“). Die Dro­hun­gen erstreck­ten sich auf Kün­di­gung bzw. Ent­las­sung, den Ein­satz der mili­tä­ri­schen Geheim­diens­te („Das Abwehr­amt weiß alles was du sagst, ich habe sie schon infor­miert.“) und dem „Ver­spre­chen“, einem das dienst­li­che Leben zur Höl­le zu machen. Man sol­le sich nur ja nicht „wohl füh­len“. So wer­den schrift­li­che Ermah­nun­gen und dienst­recht­li­che Ver­fah­ren, die bis­her alle­samt zuguns­ten der Mit­ar­bei­ter aus­ge­gan­gen sind (wobei aller­dings bis jetzt nie­mals jemand hin­ter­fragt hat, war­um die­se Ver­fah­ren über­haupt ange­strengt wur­den) immer wie­der ein­ge­setzt, um ein­zu­schüch­tern, zu demü­ti­gen und zu bestrafen. (…)

Dazu tre­ten „Klei­nig­kei­ten“ wie bei­spiels­wei­se Ver­bo­te, mit bestimm­ten Mit­ar­bei­te­rIn­nen Mit­tag zu essen („Man muss sich schon aus­su­chen, mit wem man Mit­tag­essen geht.“), oder Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern Infor­ma­tio­nen zukom­men zu las­sen. Genau die­se künst­li­che „Ver­knap­pung“ von Infor­ma­tio­nen ist eine wei­te­re Form der übli­chen Macht­aus­übung und des Bos­sings im HGM. Nur wer im engs­ten Kreis der Lei­tung auf­ge­nom­men ist, bekommt Infor­ma­tio­nen. Das führt oft zu Bloß­stel­lun­gen gegen­über Außen­ste­hen­den, und außer­dem ist es uns dadurch oft unmög­lich, unse­ren eigent­li­chen Auf­ga­ben nach­zu­kom­men zu können. (…)

Vie­le der auf­ge­zeig­ten Miss­stän­de wur­den auch schon vom HPD auf­ge­zeigt, durch die vor­ge­setz­te Dienst­stel­le wur­de eine Nacheva­lu­ie­rung jedoch nicht vor­an­ge­trie­ben. Im Gegen­teil wur­de der HPD-Bericht vom Füh­rungs­team des HGM als „Aus­re­de“ ver­wen­det, um Bestra­fun­gen von Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern (Zim­mer­ro­cha­den, Ver­wen­dungs­än­de­run­gen usw.) durch­zu­füh­ren, die sich dem HPD anver­traut haben. In einem Fall führ­te das zu einem Ver­set­zungs­er­su­chen. Bis­lang hat sich jedoch nichts zum Bes­se­ren gewen­det, im Gegen­teil sind seit­dem wie­der eini­ge Burn­out-Fäl­le und ande­re schwe­re (auch stress­be­zo­ge­ne) Erkran­kun­gen ver­bun­den mit lan­gen Kran­ken­stän­den auf­ge­tre­ten. Auch Mag. .… kam in sei­ner Eva­lu­ie­rung des HGM zu die­sem Ergeb­nis. Bestimm­te Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter waren außer­dem per­ma­nen­ter Kon­trol­le aus­ge­setzt, zum Bei­spiel wur­den Kame­ras instal­liert, die in einem Fall auch die Toi­let­ten und den Gemein­schafts­raum über­wach­ten. Die Beschwer­de beim Datenschutzbeauftragten/BMLV war erfolgreich. (…)

Abschlie­ßend erlau­ben wir uns die Bemer­kung, dass wir jedem ande­ren neu­en Direk­tor mit Freu­de ent­ge­gen­se­hen, denn es kann nur bes­ser wer­den. Eine Wei­ter­be­trau­ung von Herrn Direk­tor Ort­ner und das Wei­ter­be­stehen des jet­zi­gen „Sys­tems“ im HGM wäre dage­gen eine Kata­stro­phe für das Haus und für uns, die Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mitarbeiter.

Wie, um die Vor­wür­fe wegen Bos­sing zu bestä­ti­gen, lässt der Direk­tor jetzt eine Unter­schrif­ten­lis­te im Muse­um umge­hen, in der ihm das Ver­trau­en aus­ge­spro­chen wird. Ort­ner weist die Vor­wür­fe aus dem Beschwer­de­brief als „absurd“ zurück (vgl. derstandard.at, 21.11.22)

Im Minis­te­ri­um wür­den die Punk­te aus dem Beschwer­de­brief jetzt von den „zustän­di­gen Stel­len“ geprüft. Zumin­dest ein Teil davon müss­te den „zustän­di­gen Stel­len“ im Minis­te­ri­um aller­dings schon seit Jah­ren bekannt sein. Nach einer Rei­he von eher bedrü­cken­den Vor­fäl­len hat näm­lich der Hee­res­psy­cho­lo­gi­sche Dienst (HPD) die Zustän­de im HGM unter­sucht und ist dabei zu Ergeb­nis­sen gekom­men, die drin­gen­den Hand­lungs­be­darf signa­li­sier­ten. Die „zustän­di­gen Stel­len“ haben es auch damals vor­ge­zo­gen zuzuwarten …

Fenster in die Vergangenheit: Blick vom Veranstaltungsort auf das HGM

Blick aufs HGM

Womit es begann: SdR-Serie zum HGM aus dem Sep­tem­ber 2019

zu Teil 1: Das HGM als iden­ti­tä­re Projektionsfläche
zu Teil 2: Der zeit­ge­schicht­li­che Saal als Steil­vor­la­ge für rechts­extre­me Umdeu­tun­gen der Geschichte
zu Teil 3: Rechts­extre­me Lite­ra­tur und Wehr­machts­pan­zer im Museumsshop
zu Teil 4: Eine Pan­zer­schau mit NS-Reliquien
zu Teil 5: Der Minis­ter lässt die Vor­wür­fe prüfen