Meloni, Fratelli, Vilimsky, Rosenkranz und Südtirol

Während die erzkon­ser­v­a­tive katholis­che Südtirol­er Tageszeitung „Dolomiten“ den „Fratel­li“ und Gior­gia Mel­oni schon die Abso­lu­tion erteilt hat, ver­steck­en heimis­che Medi­en ihre stille Genug­tu­ung über den Wahlsieg der Recht­sex­tremen in Ital­ien hin­ter der ver­lo­ge­nen Beruhi­gungspille „Mitte-Rechts-Bünd­nis“. Bei den blauen Recht­sex­tremen schreiben Har­ald Vil­im­sky, Wal­ter Rosenkranz & Co in ihrem Jubel über Mel­oni & Co Südtirol neuer­lich ab, während die alten recht­en Reck­en vor Mel­oni verge­blich warnen.

Den medi­alen Vorschlagham­mer hat schon vor der Wahl der für brachial rechte Posi­tio­nen bekan­nte „Presse“-Kommentator Karl-Peter Schwarz bedi­ent. „Wenn Linken nichts mehr ein­fällt, malt sie das Gespenst des Faschis­mus an die Wand“ (Die Presse, 21.9.22), for­muliert er in gebroch­en­em Deutsch. Ein „antifaschis­tis­ch­er Karneval“ finde angesichts der „krachen­den Nieder­lage“ der Linken statt, während in Wirk­lichkeit mit Mel­oni ein „Reformis­mus“über­wiege, „der sich an Mar­garet Thatch­er ori­en­tiert“.

Natür­lich ist für ihn die Mis­chung aus recht­sex­tremen „Fratel­li“, recht­sex­tremer „Lega“ und der kor­rupten Recht­en um Sil­vio Berlus­co­nis „Forza Italia“ ein „Mitte-Rechts-Bünd­nis“ – auch der ORF ver­wen­det den Ter­mi­nus „Mitte-Rechts-Lager“. Wer in diesem Lager soll die Mitte abbilden? Berlus­coni? Der schon vor Jahren dem Duce gehuldigt hat? Dessen ökonomis­che Meis­ter­leis­tung darin bestand, haupt­säch­lich in die eige­nen Taschen gewirtschaftet zu haben? Ja bitte, wenn Kon­ser­v­a­tive das als gen­uinen Beitrag der Mitte betra­cht­en, braucht einen der Rest fast nicht zu wundern.

Was der Chefredak­teur der erzkon­ser­v­a­tiv­en Südtirol­er Tageszeitung „Dolomiten“, Toni Ebn­er, über Gior­gia Mel­oni aus seinem Inner­sten erbricht, ist allerd­ings kaum mehr über­bi­et­bar: „Mel­oni hat glaub­haft kom­mu­nizieren kön­nen, dass sie mit dem Faschis­mus gebrochen hat und dass es ihr nur um das Wohl der Bürg­er geht.“ An diesem Satz stimmt wed­er der erste noch der zweite Teil: Er ist eine ver­lo­gene Jubel­botschaft für die „Hoff­nungsträgerin“ (Ebn­er). Der Chefredak­teur ein­er erzkon­ser­v­a­tiv katholis­chen und deutschsprachi­gen Südtirol­er Zeitung schmachtet die Recht­sex­treme an! Einen glaub­haften Bruch mit dem Faschis­mus gibt es bei Mel­oni eben­so wenig wie eine ein­deutige Veror­tung im Faschis­mus: Dazu fehlt den „Fratel­li“ derzeit die Gewalt­tätigkeit. Und das „Wohl der Bürg­er“, um das es Mel­oni nur geht? Dazu ist das ein­minütige Video vom Auftritt Mel­o­nis bei ihren recht­sex­tremen Kamerad:innen der recht­sex­tremen spanis­chen Partei „Vox“ zu empfehlen.

Recht­sex­trem, faschis­tisch oder postfaschistisch?
Sind Mel­oni und ihre „Fratel­li d’Italia“ als faschis­tisch, post­faschis­tisch oder recht­sex­trem zu beze­ich­nen? Eine klare Zuord­nung scheint uns nicht wirk­lich möglich. Als „post­faschis­tisch“ wird eine Strö­mung oder Partei beze­ich­net, die aus dem his­torischen Faschis­mus her­vorge­gan­gen ist, sich auch in dieser Tra­di­tion definiert, aber die beste­hende poli­tis­che Ord­nung nicht – mit Gewalt – verän­dern will. Der Begriff Post­faschis­mus kann also eine ver­harm­losende Dimen­sion haben. Etliche Merk­male der „Fratel­li“ kön­nen dur­chaus als „faschis­tisch“ inter­pretiert wer­den: ihr Wahlspruch „Dio, patria, famiglia“ geht direkt auf Mus­soli­ni zurück, das Parteil­o­go verknüpft die neo­faschis­tis­che „fiamma tri­col­ore“ des MSI mit einem Quer­balken, der ange­blich den Sarg Mus­soli­n­is sym­bol­isieren soll. Viel faschis­tis­che Sym­bo­l­ik, dazu auch noch einige Mus­soli­ni-Urenkel, die in der Partei tätig sind und etliche Aktivis­ten und Funk­tionäre, die auch Fans des his­torischen Faschis­mus sind und immer wieder mal den „römis­chen Gruß“ zeigen und wider­liche Feiern ver­anstal­ten. Homo­pho­bie, Chau­vin­is­mus, Sex­is­mus, ein neolib­erales Wirtschaft­skonzept und noch einiges mehr zählen eben­so zu den Merk­malen der „Fratel­li“. Gegen die Charak­ter­isierung als faschis­tis­che Partei spricht nicht nur die ver­bale Dis­tanzierung Mel­o­nis vom Faschis­mus (wie glaub­würdig auch immer), son­dern auch die für faschis­tis­che Parteien kon­sti­tu­tive Gewalt: vor ihrer Machter­grei­fung durch paramil­itärische Grup­pen, nach ihrer Machtüber­nahme durch die Zer­schla­gung demokratis­ch­er Struk­turen, der Gew­erkschaften, der Linksparteien. Recht­sex­trem sind die „Fratel­li“ jedenfalls.
Dio Patria Famiglia Mussolini

Dio Patria Famiglia Mussolini

Parteilogo Fratelli d'Italia: „fiamma tricolore“ des MSI mit Querbalken

Parteil­o­go Fratel­li d’I­talia: „fiamma tri­col­ore“ des MSI mit Querbalken

Die wichtig­sten Sätze aus Mel­o­nis Rede bei „Vox“:

Es gibt keine Zeit mehr für schwach­es Denken. Für Kom­pro­misse und Zugeständ­nisse. Nun ist die Zeit der Entschei­dun­gen. (…)  Ja zur natür­lichen Fam­i­lie, nein zur LGBT-Lob­by! Ja zur sex­uellen Iden­tität, nein zur Gen­der-Ide­olo­gie! Ja zur Uni­ver­sal­ität des Kreuzes, nein zu islamistis­ch­er Gewalt! Nein zur Massenein­wan­derung! Nein zur inter­na­tionalen Groß­fi­nanz! Nein zur EU-Bürokratie, ja zu unser­er Zivilisation!

Dieses „Wohl der Bürg­er“, das Ebn­er bei Mel­oni sieht, beste­ht also aus Aus­gren­zung, prim­i­tiv­er Het­ze mit einem Schuss Anti­semitismus („inter­na­tionale Großfinanz“).

Ist nun Ebn­ers Spe­ichel­leck­erei kaum mehr über­bi­et­bar? Oh doch! Har­ald Vil­im­sky, EU-Par­la­men­tari­er der FPÖ, hat zweifel­los den Vogel abgeschossen mit seinem Post­ing zum Wahlergeb­nis: „Ital­iener holen sich ihr Land zurück. Bravis­si­mo

Harald Vilimsky: Die Italiener holen sich ihr Land zurück. Bravissimo! (Screenshot Facebook)

Har­ald Vil­im­sky: „Die Ital­iener holen sich ihr Land zurück. Bravis­si­mo!” (Screen­shot Facebook)

Wer hat den Ital­ienern ihr Land gestohlen? Da käme wohl in erster Lin­ie der kor­rupte Langzeit-Min­is­ter­präsi­dent Sil­vio Berlus­coni in Frage. Aber der war bis zur Wahl im Sep­tem­ber an der Regierung beteiligt – gemein­sam mit Mat­teo Salvi­ni. Oder geht’s um Südtirol?

Vor der Wahl in Ital­ien haben der ehe­ma­lige Südtirol-Sprech­er der FPÖ, Wern­er Neubauer, die Tirol­er FPÖ-Kan­di­datin Gudrun Kofler und einige Vertreter der „Südtirol­er Frei­heit“ vor der Wahl der von Vil­im­sky bejubel­ten Mel­oni nicht bloß gewarnt, son­dern regel­recht Alarm geschla­gen, weil Mel­oni den Schutz der deutschsprachi­gen und ladinis­chen Min­der­heit­en aushe­beln und durch eine (ter­ri­to­ri­ale) „Autonomie für alle“ erset­zen will. Tat­säch­lich hat Mel­oni auch aus­trophilen Südtirol­ern emp­fohlen, nach Öster­re­ich auszuwan­dern, sollte ihnen die ital­ienis­che Trikolore nicht passen. Es spricht also tat­säch­lich einiges dafür, dass Mel­oni die Autonomie im Sinne alter faschis­tis­ch­er Tra­di­tio­nen neu regeln, jeden­falls poli­tisch anzün­den und nation­al­is­tisch aufheizen will.

Auch Volk­san­walt und Bun­de­spräsi­dentschaft­skan­di­dat Wal­ter Rosenkranz bejubelt auf Face­book den Wahlsieg der extremen Recht­en: „Ob in Ital­ien, in Tirol oder schon bald bei der Bun­de­spräsi­dentschaftswahl – die Men­schen holen sich ihr Land zurück!“ Fast gle­ichzeit­ig mit dem Post­ing meinte er schein­heilig bei Corin­na Mil­born zum Ergeb­nis der Ital­ien-Wahl und dem Sieg von Mel­oni befragt: „Ich kom­men­tiere auch nicht Wahlergeb­nisse (…) in anderen Ländern.“

Walter Rosenkranz auf Facebook: „Ob in Italien, in Tirol oder schon bald bei der Bundespräsidentschaftswahl – die Menschen holen sich ihr Land zurück!“

Wal­ter Rosenkranz auf Face­book: „Ob in Ital­ien, in Tirol oder schon bald bei der Bun­de­spräsi­dentschaftswahl – die Men­schen holen sich ihr Land zurück!“

Vil­im­sky und Rosenkranz kann nur drin­gend emp­fohlen wer­den, sich Hitlers und Mus­soli­n­is Südtirol-Poli­tik etwas genauer anzuschauen und dann – etwa auf den Buden der Olympia und Brix­ia – ihre super­in­tel­li­gen­ten Kom­men­tierun­gen zu erläutern.

Roberto Saviano auf Twitter zur Parole der FdI: "Gott, Vaterland und Familie, ein Slogan aus der Zeit vor dem #Faschismus, wurde zu einer Synthese von Mussolinis Vision. Gott als die einzige Wahrheit, das Vaterland als zu verteidigende Grenze, die Familie als Monopol der Zuneigung. Gott, Vaterland und Familie, sind, so dekliniert, keine Werte, sie sind ein Verbrechen."

Rober­to Saviano auf Twit­ter zur Parole der FdI: „Gott, Vater­land und Fam­i­lie, ein Slo­gan aus der Zeit vor dem #Faschis­mus, wurde zu ein­er Syn­these von Mus­soli­n­is Vision. Gott als die einzige Wahrheit, das Vater­land als zu vertei­di­gende Gren­ze, die Fam­i­lie als Monopol der Zunei­gung. Gott, Vater­land und Fam­i­lie, sind, so dek­lin­iert, keine Werte, sie sind ein Verbrechen.”