Lesezeit: 8 Minuten

Kickl, das Opfer

Darf er? Darf einer wie der Obmann einer Par­tei wie der FPÖ ein­fach die Unwahr­heit sagen, schwur­beln, lügen, Fak­ten ver­dre­hen, ande­re lächer­lich machen, het­zen? Her­bert Kickl war am 22 August beim ORF in den „Som­mer­ge­sprä­chen“ zu Gast. Wir haben uns das Gespräch noch ein­mal genau­er ange­se­hen und stel­len eini­ges rich­tig. Kickl und der Kir­chen­bei­trag Vor […]

25. Aug 2022
ORF-Sommergespräch 2022 mit Kickl, Schmuck und Pötzelsberger
ORF-Sommergespräch 2022 mit Kickl, Schmuck und Pötzelsberger

ORF-Sommergespräch 2022 mit Kickl, Schmuck und Pötzelsberger
ORF-Som­mer­ge­sprä­che 2022 mit Kickl, Schmuck und Pötzelsberger

Kickl und der Kirchenbeitrag

Vor eini­gen Tagen hat Kickl der katho­li­schen Kir­che den „Vor­schlag“ gemacht, ange­sichts der Teue­rungs­wel­le den Kir­chen­bei­trag auf unbe­stimm­te Zeit aus­zu­set­zen – als „Akt der christ­li­chen Nächs­ten­lie­be“, wie Kickl ganz süß flö­te­te. Im Som­mer­ge­spräch schlug Mode­ra­tor Tobi­as Pöt­zels­ber­ger das vor, was schon in den sozia­len Medi­en zuvor gefor­dert wur­de. Wie wär’s denn, wenn die FPÖ im Gegen­zug auf ihre Mit­glieds­bei­trä­ge ver­zich­ten würde?

Kickl ant­wor­te­te so: „Der durch­schnitt­li­che Kir­chen­bei­trag in Öster­reich beträgt 500 Euro im Jahr. Der FPÖ-Mit­glieds­bei­trag beträgt zwi­schen 11 und 22 Euro im Jahr. Wenn jemand das nicht zah­len kann, dann muss er es nicht zah­len, wir schi­cken nie­man­dem das Inkas­so­bü­ro hin­ter­her.

Das mit dem durch­schnitt­li­chen Kir­chen­bei­trag von 500 Euro jähr­lich ist natür­lich ein Hol­ler. Wir haben uns in die­sem für uns frem­den Metier kun­dig gemacht: Ein Pro­zent vom Net­to­ein­kom­men wird in etwa für die Berech­nung des Kir­chen­bei­trags her­an­ge­zo­gen. Das wür­de in Kick­ls Erzäh­lung bedeu­ten, dass die Beitragszahler*innen im Durch­schnitt 50.000 Euro pro Jahr ver­die­nen. Schön wär’s (für die Beitragszahler*innen)! Im Durch­schnitt sind es so um die 200 Euro Kir­chen­bei­trag. Die 500 Euro sind ein Kickl-Märchen!

Die katho­li­sche Kir­che nahm im Jahr 2020 484 Mil­lio­nen Euro über Kir­chen­bei­trä­ge ein, das waren rund 75 Pro­zent der Gesamt­ein­nah­men. 404 Mil­lio­nen betra­gen die Per­so­nal­kos­ten- für Kle­rus und Laienmitarbeiter*innen. Das unbe­fris­te­te Aus­set­zen der Bei­trä­ge wür­de wohl bedeu­ten, dass die 8.150 Beschäf­tig­ten kein Ein­kom­men hät­ten – unbe­fris­tet. Man kann und darf die katho­li­sche Kir­che oder auch jede Reli­gi­on kri­tisch sehen, auch ableh­nen, aber dann soll man das aus­spre­chen. Jedoch eine Kri­tik, die von hin­ten­her­um kommt, ist mies.

Ganz anders schaut die Sache bei der FPÖ aus. Die Gesamt­ein­nah­men der Par­tei (Bund und Län­der) lagen 2020 offi­zi­ell bei 39 Mil­lio­nen Euro. Aus der staat­li­chen Par­tei­en­för­de­rung stam­men 82 Pro­zent (31,9 Mio €), aus Mit­glieds­bei­trä­gen 393.000 Euro, das sind küm­mer­li­che ein Pro­zent der Gesamt­ein­nah­men. Laut Rechen­schafts­be­richt 2020 erzie­len zwei Bun­des­län­der, näm­lich Wien und Nie­der­ös­ter­reich, nicht ein­mal einen Cent Ein­nah­men aus Mit­glieds­bei­trä­gen. Die FPÖ könn­te den Aus­fall von einem Pro­zent Ein­nah­men daher locker wegstecken.

Kickl, der Putin-Versteher

Der rus­si­sche Angriffs­krieg auf die Ukrai­ne war natür­lich auch The­ma. Ein­mal mehr gab Kickl den Putin-Ver­ste­her, wäh­rend er öster­rei­chi­sche Poli­ti­ker streng tadel­te, weil sie „feder­füh­rend“ Ver­trau­en zer­stört hät­ten: „Da ist viel Ver­trau­en zer­stört wor­den, übri­gens feder­füh­rend von öster­rei­chi­schen Poli­ti­kern, die ver­ges­sen haben, dass sie Reprä­sen­tan­ten eines neu­tra­len Lan­des sind. Man muss den Ver­such unter­neh­men, auch die ande­re Sei­te zu ver­ste­hen, und das ist etwas, was völ­lig fehlt.

Als ihm der Mode­ra­tor ent­ge­gen­hält, dass Putin Macron und Scholz „ins Gesicht gelo­gen“ hat, indem er den bevor­ste­hen­den Angriff auf die Ukrai­ne abstritt, ant­wor­tet Kickl: „Waren Sie dabei? (…) Wenn Sie glau­ben, dass die Din­ge tat­säch­lich so ein­sei­tig sind, dann las­se ich Sie in dem fal­schen Glau­ben.

Kickl, Exper­te in Dees­ka­la­ti­on oder Desinformation?

Bei der Eröff­nung der Salz­bur­ger Fest­spie­le war Kickl zwar auch nicht dabei, aber er behaup­tet genau zu wis­sen, dass der Bun­des­prä­si­dent dort Leu­te, die für Frie­den und Neu­tra­li­tät ein­tre­ten, als Kol­la­bo­ra­teu­re Russ­lands bezeich­net habe:

Es geht jetzt dar­um, zu dees­ka­lie­ren, und dann kann die Zeit auch vie­le Wun­den hei­len. Da geht es aber dar­um, Ver­trau­en auf­zu­bau­en, und das wäre aus mei­ner Sicht der öster­rei­chi­sche Zugang, der Zugang eines neu­tra­len Staa­tes, das erwar­te ich mir von einem Bun­des­prä­si­den­ten, nicht dass der dann bei den Fest­spie­len, die Leu­te die für Frie­den und für Neu­tra­li­tät ein­tre­ten, als Kol­la­bo­ra­teu­re Russ­lands bezeich­net. Der ist doch voll­kom­men am fal­schen Gleis, wahr­schein­lich hat man ihn des­halb auch schon vom Wahl­kampf abge­zo­gen.

Klas­si­sche Des­in­for­ma­ti­on, die sich leicht über­prü­fen lässt. Die „Klei­ne Zei­tung“ hat die gesam­te Rede von Bun­des­prä­si­dent Van der Bel­len abge­druckt. Kei­ne Denun­zia­ti­on von Frie­dens­freun­den und Neu­tra­li­tät, aber Sät­ze, die für Kickl pas­sen: All jene, die jetzt ins­ge­heim oder ganz unge­niert mit den Inter­es­sen Putins sym­pa­thi­sie­ren oder tat­säch­lich oder ver­meint­lich mit ihm kol­la­bo­rie­ren, gefähr­den unse­ren Zusam­men­halt dop­pelt. Wir dür­fen uns nicht spal­ten las­sen! Denn das ist eine uralte Des­po­ten­pra­xis: tei­len und herr­schen.“ (A. Van der Bel­len, 26.7.22 zit. nach Klei­ne Zei­tung).

Kickl und die Klimakrise

Eine Kli­ma­kri­se kann Kickl natür­lich nicht erken­nen, nur „Ver­än­de­run­gen“ , die ein­mal so und ein­mal anders von der Wis­sen­schaft inter­pre­tiert wür­den. Auf die sei kein Verlass:

Wir haben vor gar nicht all­zu lan­ger Zeit, das war glau­be ich, vor 40 oder 50 Jah­ren, von den dama­li­gen Exper­ten, von den dama­li­gen Fach­leu­ten, genau die gegen­tei­li­ge Pro­gno­se bekom­men. Das waren die Bes­ten der Bes­ten der Wis­sen­schaft. Damals hat man gesagt, seit den 40er-Jah­ren ist die durch­schnitt­li­che Tem­pe­ra­tur um 1,4 Pro­zent zurück­ge­gan­gen, und wir mar­schie­ren in eine neue Eis­zeit. Es ist dann ganz anders gekom­men. Danach war es das Wald­ster­ben, und jetzt müs­sen wir alle ver­glü­hen.

Ja, so ist das mit der Wis­sen­schaft laut Kickl. Da kann man sich dann ein biss­chen lus­tig machen über die Hascherl von der Wis­sen­schaft: vor­her Eis­zeit, jetzt Ver­glü­hen, haha! Aber es waren nicht die Bes­ten der Bes­ten der Wis­sen­schaft, die vor 40 oder 50 Jah­ren eine Tem­pe­ra­tur­rück­gang­pro­gno­se abga­ben, son­dern nur eini­ge weni­ge. Sehr weni­ge. „Wer heu­te öffent­lich die Exis­tenz des Kli­ma­wan­dels anzwei­felt, ver­weist gern auf das angeb­li­che Hin und Her in der Beur­tei­lung des Welt­kli­mas durch die Wis­sen­schaft,“ schrieb der „Spie­gel” 2008 und auch für Her­bert Kickl ins Stamm­buch: Doch der ver­brei­te­te Ein­druck, For­scher hät­ten mehr­heit­lich die glo­ba­le Abküh­lung pro­phe­zeit, ist laut einer neu­en Stu­die ein Irr­glau­be: Die meis­ten Fach­leu­te gin­gen schon damals von einer Erwär­mung aus.“

Kickl, das Opfer

Als Kickl sei­ne het­ze­ri­sche und her­ab­wür­di­gen­de Spra­che vor­ge­hal­ten wird (Minis­te­rin Gewess­ler ist für ihn eine „Zwi­der­wurzn“, Neos-Che­fin Bea­te Meinl-Rei­sin­ger hat für ihn mehr Haa­re auf den Zäh­nen als auf dem Kopf, der Bun­des­prä­si­dent ist für ihn eine „Mumie“, die Grü­nen sei­en zu „kom­pos­tie­ren“), wird Kickl fast wei­ner­lich. Sei­ne Spra­che sei eben eine bild­haf­te, die Kri­tik gehe immer nur in eine, näm­lich sei­ne Rich­tung, Meinl-Rei­sin­ger habe ihn als „fet­zen­dep­pert“ bezeich­net und Ari­el Muzi­cant habe ihn mit einem der größ­ten Ver­bre­cher der Mensch­heits­ge­schich­te, mit Joseph Goeb­bels, verglichen.

Aber: Die Neos-Che­fin Meinl-Rei­sin­ger hat nicht Kickl, son­dern die Pola­ri­sie­rung durch die FPÖ als „fet­zen­dep­pert“ bezeich­net. Ein gro­ßer Unter­schied! Bei Ari­el Muzi­cant muss man aus­ho­len. Kickl gilt als Erfin­der des anti­se­mi­tisch codier­ten Spruchs von Jörg Hai­der im Jahr 2001, wonach er (Hai­der) nicht ver­ste­he, wie einer, der Ari­el hei­ße, soviel Dreck am Ste­cken haben kön­ne (dazu: „Dreck am Ste­cken” — Hai­ders Rede als Pro­to­typ des Anti­se­mi­tis­mus). Muzi­cant, der frü­he­re Prä­si­dent der Israe­li­ti­schen Kul­tus­ge­mein­de (die Kickl unwis­send oder bewusst im Som­mer­ge­spräch als „israe­li­sche“ Kul­tus­ge­mein­de titu­lier­te), hat spä­ter mehr­mals erklärt, dass ihn die Spra­che und die Het­ze Kick­ls an Goeb­bels erin­ne­re, ihn als eine Art Mini-Goeb­bels bezeich­net. Das ver­meint­li­che sprach­li­che Sen­si­bel­chen Kickl ist nicht das Opfer, son­dern der sprach­li­che Täter!

Kickl und Haider

Fast schon amü­sant war Kick­ls Ant­wort auf die Fra­ge der Mode­ra­to­rin Julia Schmuck, wel­che Poli­ti­ke­rin, wel­chen Poli­ti­ker er bewun­de­re. Die knap­pe Ant­wort Kick­ls, „Jörg Hai­der“, lässt uns ver­mu­ten, dass tief in sei­nem Inners­ten auch noch eine Flam­me für Heinz-Chris­ti­an Stra­che, dem er min­des­tens so vie­le Jah­re erge­ben gedient hat, glim­men könn­te. Aber da war doch auch was mit Hai­der? Eine Ent­frem­dung, ein Bruch. Richtig!

Als Jörg Hai­der 2005 das BZÖ grün­de­te und damit die FPÖ spal­te­te, ging Kickl nicht mit. Obwohl: Der dama­li­ge Geschäfts­füh­rer der Frei­heit­li­chen in Kärn­ten (die zu die­ser Zeit noch auf BZÖ-Linie lagen) behaup­te­te in einer Aus­sendung, dass Kickl „weni­ge Tage vor der Grün­dung des BZÖ um poli­ti­sches Asyl in Kärn­ten bei Lan­des­haupt­mann Hai­der ange­sucht“ habe, weil „das poli­ti­sche Umfeld von HC Stra­che dilet­tan­tisch und deren poli­ti­sche For­de­run­gen absurd“ (OTS 0033 vom 11.6.2005) sei­en. Wenn das stim­men soll­te, hat Kickl sei­nen Wider­wil­len gegen das Pro­jekt FPÖ mit HC Stra­che die nächs­ten 14 Jah­re per­fekt verborgen.

Kickl-Vorbild Jörg Haider: "Er hat Euch nicht belogen" - oder doch? (Plakat 1995)
Kickl-Vor­bild Jörg Hai­der: „Er hat Euch nicht belo­gen” — oder doch? (Pla­kat 1995)

Jeden­falls hat Kickl Hai­der damals auch ganz anders beur­teilt als jetzt: „Letzt­klas­sig, gro­tesk und eigent­lich tra­gisch – ein wei­te­res Kapi­tel einer poli­tisch-mora­li­schen Bank­rott­erklä­rung“, beschimpf­te er sein heu­ti­ges Idol in einer Pres­se­aus­sendung vom 26.6.2005 und füg­te dann Sät­ze hin­zu, die, wenn man Hai­der durch Kickl und BZÖ durch FPÖ ersetzt, tat­säch­lich in die Zukunft weisen:

Hai­der sol­le zur Kennt­nis neh­men, daß inzwi­schen jeder ver­nünf­ti­ge Mensch erkannt habe, daß er mit sei­nen Abqua­li­fi­zie­run­gen und Ver­un­glimp­fun­gen weit mehr über sich selbst und sei­ne jewei­li­gen Befind­lich­kei­ten ver­ra­te als über jene, die er damit ver­un­glimp­fen wol­le, aber nicht kön­ne, sag­te Kickl. Mit sei­nen ver­ba­len Aus­rit­ten wer­de Hai­der jeden­falls die rasan­te Tal­fahrt des BZÖ wei­ter beschleu­ni­gen.

Gin­ge doch mit der Wahr­heit, Herr Kickl!

Presseaussendung von Kickl über Haider: „Letztklassig, grotesk und eigentlich tragisch – ein weiteres Kapitel einer politisch-moralischen Bankrotterklärung"
Pres­se­aus­sendung von Kickl über Hai­der: „Letzt­klas­sig, gro­tesk und eigent­lich tra­gisch – ein wei­te­res Kapi­tel einer poli­tisch-mora­li­schen Bankrotterklärung”
Keine Beiträge mehr verpassen: Email-Benachrichtigung aktivieren
abgelegt unter: Dokumentation