„Ich war nur ein Rückkehrer“

Der Simon-Wiesen­thal-Preis 2021 ging an die Zeitzeug*innen Lily Ebert, Zwi Nigal, Karl Pfeifer und Lil­iana Seg­re*. Die Zen­trale öster­re­ichis­che Forschungsstelle Nachkriegsjus­tiz und das Jüdis­ches Forum für Demokratie und gegen Anti­semitismus wur­den eben­falls geehrt. Wir doku­men­tieren hier die Dankesrede von Karl Pfeifer (mit fre­undlich­er Genehmi­gung des Geehrten).

Im Namen aller Preisträger bedanke ich mich ganz her­zlich für diesen uns ehren­den Preis. Mein­er Ehe­frau Dag­mar, die mich seit 33 Jahren begleit­et, unter­stützt und ermutigt, spreche ich meinen beson­deren Dank aus. Ohne sie würde ich nicht hier stehen.

Als im Novem­ber 1996 mein erstes Buch „Nicht immer ganz bequem“ im Par­la­mentsklub der GRÜNEN vorgestellt wurde und Simon Wiesen­thal die Lau­da­tio hielt, kon­nte sich nie­mand vorstellen, dass in Öster­re­ich ein Preis nach ihm benan­nt wird und ich die große Ehre habe, ihn zu erhalten.

Buchvorstellung 1996 im Grünen Parlamentsklub: Karl Öllinger, Brigitte Bailer-Galanda, Karl Pfeifer, Simon Wiesenthal (Foto zur Verfügung gestellt von Karl Pfeifer)

Buchvorstel­lung 1996 im Grü­nen Par­la­mentsklub: Karl Öllinger, Brigitte Bail­er-Galan­da, Karl Pfeifer, Simon Wiesen­thal (Foto zur Ver­fü­gung gestellt von Karl Pfeifer)

Bei mein­er Ankun­ft in Öster­re­ich vor 71 Jahren wurde ich mit der Erk­lärung emp­fan­gen, Heimkehrer sind diejeni­gen, die in der Wehrma­cht oder bei der Waf­fen-SS waren. Ich war nur ein Rück­kehrer und hat­te kein Recht auf die Unter­stützung des Staates. Infolge dessen war meine erste Adresse im Asyl der Stadt Wien in der Melde­mannstraße, in einem Schlaf­saal mit 49 anderen Män­nern. Die weni­gen zurück­gekehrten Juden mussten erken­nen, dass der tief ver­wurzelte Juden­hass, den es schon lange vor der nation­al­sozial­is­tis­chen Herrschaft gab, nicht ver­schwun­den war.

Sagen wir es ganz offen, keine Partei, keine gesellschaftliche Kraft dieses Lan­des kann von sich behaupten, den Anti­semitismus in allen seinen For­men nach 1945 immer kon­se­quent bekämpft zu haben und wenn man diesen über­haupt wahrgenom­men hat, dann in erster Lin­ie beim poli­tis­chen Gegner.

Heute begreift man, dass Juden­hass ein Prob­lem der ganzen Gesellschaft ist. Dass ich heute hier ste­he und diesen Preis erhalte, zeigt dass sich seit mein­er Rück­kehr einiges geän­dert hat. Diese Änderung merke ich als Zeitzeuge in Schulen. Die Repub­lik strengt sich an, damit hier die Werte der Demokratie den Schülern beige­bracht wer­den. Die Kinder hören inter­essiert zu, wenn ich spreche und oft merke ich auch Betrof­fen­heit und Empathie.

Aloys Blumauer schrieb vor 240 Jahren in den „Beobach­tun­gen über Öster­re­ichs Aufk­lärung“ „Das Ver­ler­nen von Din­gen, die ein­mal fest in den Kopf gehäm­mert sind, fordert viel mehr Zeit als das Ler­nen“. Aber­glaube und Vorurteil, denen die öster­re­ichis­chen Aufk­lär­er damals ent­ge­gen­trat­en sind so wie Juden­hass, der aus der Mitte der Gesellschaft kommt, noch immer vorhan­den. Mit Geduld und Ver­stand lassen sich diese zurück­drän­gen. Daran wollen wir weit­er­ar­beit­en, denn wie es bere­its in den Sprüchen der Väter ste­ht, „Es ist nicht an Dir das Werk zu vol­len­den, aber Du bist auch nicht befugt, nichts zu tun“.

Haupt­preis für zivilge­sellschaftlich­es Engage­ment gegen Anti­semitismus und für Aufk­lärung über den Holocaust: 

Lily Ebert

Lily Ebert wurde 1923 in Ungarn geboren und 1944 ins Konzen­tra­tionslager Auschwitz deportiert, wo ihre Mut­ter, ihr jün­ger­er Brud­er und eine Schwest­er ermordet wur­den. Mit zwei weit­eren Schwest­ern kam Ebert nach vier Monat­en zur Zwangsar­beit in eine Muni­tions­fab­rik bei Leipzig, wo sie von US-Trup­pen befre­it wurde. Über die Schweiz und Israel gelangte sie 1967 mit drei Kindern nach Eng­land. Heute betreibt ihr Urenkel Dov For­man für Lily Ebert einen Tik­tok-Account mit über 1,6 Mil­lio­nen Fol­low­erIn­nen und hat mit ihr gemein­sam auch ein Buch herausgebracht.

Zwi Nigal

Geboren 1923 in Wien, flüchtete Zwi Nigal 1939 nach Palästi­na und kämpfte in der britis­chen Armee gegen Nazideutsch­land. Sein Vater wurde im Holo­caust ermordet. 1946 kehrte Nigal als britis­ch­er Sol­dat nach Wien zurück, wollte dort aber nicht mehr leben. Er schloss sich der paramil­itärischen Unter­grun­dor­gan­i­sa­tion Hagana an und kämpfte 1948 im israelis­chen Unab­hängigkeit­skrieg. Seit sein­er Pen­sion­ierung hält er als Zeitzeuge Vor­lesun­gen vor jährlich durch­schnit­tlich etwa 1.500 Schü­lerin­nen und Schülern in Deutsch­land und Österreich.

Karl Pfeifer

Karl Pfeifer wurde 1928 in Baden bei Wien geboren und floh 1938 mit seinen Eltern nach Ungarn. Ihm gelang die Flucht nach Palästi­na, 1951 kehrte er nach Öster­re­ich zurück. Pfeifer ist jour­nal­is­tisch tätig und war Redak­teur der „Gemeinde”, des offiziellen Organs der Israelitis­chen Kul­tus­ge­meinde Wien. Bis 2005 arbeit­ete er als Wiener Kor­re­spon­dent des israelis­chen Radios und als freier Jour­nal­ist für Mag­a­zine. Er set­zt sich in sein­er Arbeit aktiv gegen Anti­semitismus ein.

Lil­iana Segre

Lil­iana Seg­re wurde am 10. Sep­tem­ber 1930 in Mai­land geboren. Im Alter von 13 Jahren wurde sie 1944 als eines von 776 ital­ienis­chen Kindern nach Auschwitz deportiert. Nur 25 über­lebten. Bis heute ist Seg­re als Zeitzeu­g­in in Fernse­hen, The­atern und Schulen aktiv. Sie wurde zu ein­er der wichtig­sten moralis­chen Autoritäten Ital­iens. Seg­re ist Präsi­dentin des Son­der­auss­chuss­es gegen Intol­er­anz, Ras­sis­mus und Anti­semitismus sowie Mit­glied im Par­la­mentsauss­chuss für das Kinder- und Jugen­dal­ter. Außer­dem ist sie Autorin und Koau­torin zahlre­ich­er Artikel und Büch­er. Die Kom­mu­nika­tion mit Kindern und Jugendlichen liegt ihr beson­ders am Herzen.

Preis für zivilge­sellschaftlich­es Engage­ment für Aufk­lärung über den Holocaust: 

Zen­trale öster­re­ichis­che Forschungsstelle Nachkriegsjustiz

1998 wurde die Zen­trale öster­re­ichis­che Forschungsstelle Nachkriegsjus­tiz mit dem Ziel gegrün­det, mit der Erfas­sung und Erschließung der Akten der Staat­san­waltschaften und Gerichte die Auseinan­der­set­zung der öster­re­ichis­chen Jus­tiz mit den NS-Ver­brechen zu doku­men­tieren. Sie soll zur Sicherung dieses Teils des europäis­chen Recht­skul­turerbes beitra­gen und die his­torische Erfahrung in die Auseinan­der­set­zung mit Kriegsver­brechen und Men­schen­rechtsver­let­zun­gen der Gegen­wart ein­brin­gen. Ihre Arbeit ist dabei jen­er von Simon Wiesen­thal inhaltlich beson­ders nahe und ste­ht auch ähn­lichen Schwierigkeit­en gegenüber.

Preis für zivilge­sellschaftlich­es Engage­ment gegen Antisemitismus: 

Jüdis­ches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus

2008 wurde das von Levi Salomon ini­ti­ierte Jüdis­che Forum für Demokratie und gegen Anti­semitismus (JFDA) mit der Unter­stützung von Lala Süsskind und der Jüdis­chen Gemeinde zu Berlin gegrün­det. Es soll das demokratis­che Staatswe­sen stärken, inter­re­ligiösen und interkul­turellen Aus­tauschs fördern sowie poli­tisch, ras­sis­tisch oder religiös Ver­fol­gten helfen. Hierzu gehört der Kampf gegen Anti­semitismus und Ras­sis­mus. Neben Bildungs‑, Öffentlichkeits- und Kul­tur­ar­beit führt das JFDA ein unab­hängiges Mon­i­tor­ing durch und erfasst und bew­ertet anti­semi­tis­che Vor­fälle und Ten­den­zen sowie andere gegen das Grundge­setz und die Men­schen­rechte gerichtete Vorkommnisse.

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