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„Ich war nur ein Rückkehrer“

Der Simon-Wie­­sen­­thal-Preis 2021 ging an die Zeitzeug*innen Lily Ebert, Zwi Nigal, Karl Pfei­fer und Lilia­na Seg­re*. Die Zen­tra­le öster­rei­chi­sche For­schungs­stel­le Nach­kriegs­jus­tiz und das Jüdi­sches Forum für Demo­kra­tie und gegen Anti­se­mi­tis­mus wur­den eben­falls geehrt. Wir doku­men­tie­ren hier die Dan­kes­re­de von Karl Pfei­fer (mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Geehr­ten). Im Namen aller Preis­trä­ger bedan­ke ich mich ganz herzlich […]

19. Mai 2022

Im Namen aller Preis­trä­ger bedan­ke ich mich ganz herz­lich für die­sen uns ehren­den Preis. Mei­ner Ehe­frau Dag­mar, die mich seit 33 Jah­ren beglei­tet, unter­stützt und ermu­tigt, spre­che ich mei­nen beson­de­ren Dank aus. Ohne sie wür­de ich nicht hier stehen.

Als im Novem­ber 1996 mein ers­tes Buch „Nicht immer ganz bequem“ im Par­la­ments­klub der GRÜNEN vor­ge­stellt wur­de und Simon Wie­sen­thal die Lau­da­tio hielt, konn­te sich nie­mand vor­stel­len, dass in Öster­reich ein Preis nach ihm benannt wird und ich die gro­ße Ehre habe, ihn zu erhalten.

Buchvorstellung 1996 im Grünen Parlamentsklub: Karl Öllinger, Brigitte Bailer-Galanda, Karl Pfeifer, Simon Wiesenthal (Foto zur Verfügung gestellt von Karl Pfeifer)
Buch­vor­stel­lung 1996 im Grü­nen Par­la­ments­klub: Karl Öllin­ger, Bri­git­te Bai­ler-Galan­da, Karl Pfei­fer, Simon Wie­sen­thal (Foto zur Ver­fü­gung gestellt von Karl Pfeifer)

Bei mei­ner Ankunft in Öster­reich vor 71 Jah­ren wur­de ich mit der Erklä­rung emp­fan­gen, Heim­keh­rer sind die­je­ni­gen, die in der Wehr­macht oder bei der Waf­fen-SS waren. Ich war nur ein Rück­keh­rer und hat­te kein Recht auf die Unter­stüt­zung des Staa­tes. Infol­ge des­sen war mei­ne ers­te Adres­se im Asyl der Stadt Wien in der Mel­de­mann­stra­ße, in einem Schlaf­saal mit 49 ande­ren Män­nern. Die weni­gen zurück­ge­kehr­ten Juden muss­ten erken­nen, dass der tief ver­wur­zel­te Juden­hass, den es schon lan­ge vor der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Herr­schaft gab, nicht ver­schwun­den war.

Sagen wir es ganz offen, kei­ne Par­tei, kei­ne gesell­schaft­li­che Kraft die­ses Lan­des kann von sich behaup­ten, den Anti­se­mi­tis­mus in allen sei­nen For­men nach 1945 immer kon­se­quent bekämpft zu haben und wenn man die­sen über­haupt wahr­ge­nom­men hat, dann in ers­ter Linie beim poli­ti­schen Gegner.

Heu­te begreift man, dass Juden­hass ein Pro­blem der gan­zen Gesell­schaft ist. Dass ich heu­te hier ste­he und die­sen Preis erhal­te, zeigt dass sich seit mei­ner Rück­kehr eini­ges geän­dert hat. Die­se Ände­rung mer­ke ich als Zeit­zeu­ge in Schu­len. Die Repu­blik strengt sich an, damit hier die Wer­te der Demo­kra­tie den Schü­lern bei­gebracht wer­den. Die Kin­der hören inter­es­siert zu, wenn ich spre­che und oft mer­ke ich auch Betrof­fen­heit und Empathie.

Aloys Blu­mau­er schrieb vor 240 Jah­ren in den „Beob­ach­tun­gen über Öster­reichs Auf­klä­rung“ „Das Ver­ler­nen von Din­gen, die ein­mal fest in den Kopf gehäm­mert sind, for­dert viel mehr Zeit als das Ler­nen“. Aber­glau­be und Vor­ur­teil, denen die öster­rei­chi­schen Auf­klä­rer damals ent­ge­gen­tra­ten sind so wie Juden­hass, der aus der Mit­te der Gesell­schaft kommt, noch immer vor­han­den. Mit Geduld und Ver­stand las­sen sich die­se zurück­drän­gen. Dar­an wol­len wir wei­ter­ar­bei­ten, denn wie es bereits in den Sprü­chen der Väter steht, „Es ist nicht an Dir das Werk zu voll­enden, aber Du bist auch nicht befugt, nichts zu tun“.

Haupt­preis für zivil­ge­sell­schaft­li­ches Enga­ge­ment gegen Anti­se­mi­tis­mus und für Auf­klä­rung über den Holocaust: 

Lily Ebert

Lily Ebert wur­de 1923 in Ungarn gebo­ren und 1944 ins Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Ausch­witz depor­tiert, wo ihre Mut­ter, ihr jün­ge­rer Bru­der und eine Schwes­ter ermor­det wur­den. Mit zwei wei­te­ren Schwes­tern kam Ebert nach vier Mona­ten zur Zwangs­ar­beit in eine Muni­ti­ons­fa­brik bei Leip­zig, wo sie von US-Trup­pen befreit wur­de. Über die Schweiz und Isra­el gelang­te sie 1967 mit drei Kin­dern nach Eng­land. Heu­te betreibt ihr Uren­kel Dov For­man für Lily Ebert einen Tik­tok-Account mit über 1,6 Mil­lio­nen Fol­lo­we­rIn­nen und hat mit ihr gemein­sam auch ein Buch herausgebracht.

Zwi Nigal

Gebo­ren 1923 in Wien, flüch­te­te Zwi Nigal 1939 nach Paläs­ti­na und kämpf­te in der bri­ti­schen Armee gegen Nazi­deutsch­land. Sein Vater wur­de im Holo­caust ermor­det. 1946 kehr­te Nigal als bri­ti­scher Sol­dat nach Wien zurück, woll­te dort aber nicht mehr leben. Er schloss sich der para­mi­li­tä­ri­schen Unter­grund­or­ga­ni­sa­ti­on Haga­na an und kämpf­te 1948 im israe­li­schen Unab­hän­gig­keits­krieg. Seit sei­ner Pen­sio­nie­rung hält er als Zeit­zeu­ge Vor­le­sun­gen vor jähr­lich durch­schnitt­lich etwa 1.500 Schü­le­rin­nen und Schü­lern in Deutsch­land und Österreich.

Karl Pfei­fer

Karl Pfei­fer wur­de 1928 in Baden bei Wien gebo­ren und floh 1938 mit sei­nen Eltern nach Ungarn. Ihm gelang die Flucht nach Paläs­ti­na, 1951 kehr­te er nach Öster­reich zurück. Pfei­fer ist jour­na­lis­tisch tätig und war Redak­teur der „Gemein­de”, des offi­zi­el­len Organs der Israe­li­ti­schen Kul­tus­ge­mein­de Wien. Bis 2005 arbei­te­te er als Wie­ner Kor­re­spon­dent des israe­li­schen Radi­os und als frei­er Jour­na­list für Maga­zi­ne. Er setzt sich in sei­ner Arbeit aktiv gegen Anti­se­mi­tis­mus ein.

Lilia­na Segre

Lilia­na Seg­re wur­de am 10. Sep­tem­ber 1930 in Mai­land gebo­ren. Im Alter von 13 Jah­ren wur­de sie 1944 als eines von 776 ita­lie­ni­schen Kin­dern nach Ausch­witz depor­tiert. Nur 25 über­leb­ten. Bis heu­te ist Seg­re als Zeit­zeu­gin in Fern­se­hen, Thea­tern und Schu­len aktiv. Sie wur­de zu einer der wich­tigs­ten mora­li­schen Auto­ri­tä­ten Ita­li­ens. Seg­re ist Prä­si­den­tin des Son­der­aus­schus­ses gegen Into­le­ranz, Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus sowie Mit­glied im Par­la­ments­aus­schuss für das Kin­der- und Jugend­al­ter. Außer­dem ist sie Autorin und Koau­to­rin zahl­rei­cher Arti­kel und Bücher. Die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Kin­dern und Jugend­li­chen liegt ihr beson­ders am Herzen.

Preis für zivil­ge­sell­schaft­li­ches Enga­ge­ment für Auf­klä­rung über den Holocaust: 

Zen­tra­le öster­rei­chi­sche For­schungs­stel­le Nachkriegsjustiz

1998 wur­de die Zen­tra­le öster­rei­chi­sche For­schungs­stel­le Nach­kriegs­jus­tiz mit dem Ziel gegrün­det, mit der Erfas­sung und Erschlie­ßung der Akten der Staats­an­walt­schaf­ten und Gerich­te die Aus­ein­an­der­set­zung der öster­rei­chi­schen Jus­tiz mit den NS-Ver­bre­chen zu doku­men­tie­ren. Sie soll zur Siche­rung die­ses Teils des euro­päi­schen Rechts­kul­tur­er­bes bei­tra­gen und die his­to­ri­sche Erfah­rung in die Aus­ein­an­der­set­zung mit Kriegs­ver­bre­chen und Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen der Gegen­wart ein­brin­gen. Ihre Arbeit ist dabei jener von Simon Wie­sen­thal inhalt­lich beson­ders nahe und steht auch ähn­li­chen Schwie­rig­kei­ten gegenüber.

Preis für zivil­ge­sell­schaft­li­ches Enga­ge­ment gegen Antisemitismus: 

Jüdi­sches Forum für Demo­kra­tie und gegen Antisemitismus

2008 wur­de das von Levi Salo­mon initi­ier­te Jüdi­sche Forum für Demo­kra­tie und gegen Anti­se­mi­tis­mus (JFDA) mit der Unter­stüt­zung von Lala Süss­kind und der Jüdi­schen Gemein­de zu Ber­lin gegrün­det. Es soll das demo­kra­ti­sche Staats­we­sen stär­ken, inter­re­li­giö­sen und inter­kul­tu­rel­len Aus­tauschs för­dern sowie poli­tisch, ras­sis­tisch oder reli­gi­ös Ver­folg­ten hel­fen. Hier­zu gehört der Kampf gegen Anti­se­mi­tis­mus und Ras­sis­mus. Neben Bildungs‑, Öffent­lich­keits- und Kul­tur­ar­beit führt das JFDA ein unab­hän­gi­ges Moni­to­ring durch und erfasst und bewer­tet anti­se­mi­ti­sche Vor­fäl­le und Ten­den­zen sowie ande­re gegen das Grund­ge­setz und die Men­schen­rech­te gerich­te­te Vorkommnisse.

https://www.wiesenthalpreis.at/preistraeger

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