Im Namen aller Preisträger bedanke ich mich ganz herzlich für diesen uns ehrenden Preis. Meiner Ehefrau Dagmar, die mich seit 33 Jahren begleitet, unterstützt und ermutigt, spreche ich meinen besonderen Dank aus. Ohne sie würde ich nicht hier stehen.
Als im November 1996 mein erstes Buch „Nicht immer ganz bequem“ im Parlamentsklub der GRÜNEN vorgestellt wurde und Simon Wiesenthal die Laudatio hielt, konnte sich niemand vorstellen, dass in Österreich ein Preis nach ihm benannt wird und ich die große Ehre habe, ihn zu erhalten.
Bei meiner Ankunft in Österreich vor 71 Jahren wurde ich mit der Erklärung empfangen, Heimkehrer sind diejenigen, die in der Wehrmacht oder bei der Waffen-SS waren. Ich war nur ein Rückkehrer und hatte kein Recht auf die Unterstützung des Staates. Infolge dessen war meine erste Adresse im Asyl der Stadt Wien in der Meldemannstraße, in einem Schlafsaal mit 49 anderen Männern. Die wenigen zurückgekehrten Juden mussten erkennen, dass der tief verwurzelte Judenhass, den es schon lange vor der nationalsozialistischen Herrschaft gab, nicht verschwunden war.
Sagen wir es ganz offen, keine Partei, keine gesellschaftliche Kraft dieses Landes kann von sich behaupten, den Antisemitismus in allen seinen Formen nach 1945 immer konsequent bekämpft zu haben und wenn man diesen überhaupt wahrgenommen hat, dann in erster Linie beim politischen Gegner.
Heute begreift man, dass Judenhass ein Problem der ganzen Gesellschaft ist. Dass ich heute hier stehe und diesen Preis erhalte, zeigt dass sich seit meiner Rückkehr einiges geändert hat. Diese Änderung merke ich als Zeitzeuge in Schulen. Die Republik strengt sich an, damit hier die Werte der Demokratie den Schülern beigebracht werden. Die Kinder hören interessiert zu, wenn ich spreche und oft merke ich auch Betroffenheit und Empathie.
Aloys Blumauer schrieb vor 240 Jahren in den „Beobachtungen über Österreichs Aufklärung“ „Das Verlernen von Dingen, die einmal fest in den Kopf gehämmert sind, fordert viel mehr Zeit als das Lernen“. Aberglaube und Vorurteil, denen die österreichischen Aufklärer damals entgegentraten sind so wie Judenhass, der aus der Mitte der Gesellschaft kommt, noch immer vorhanden. Mit Geduld und Verstand lassen sich diese zurückdrängen. Daran wollen wir weiterarbeiten, denn wie es bereits in den Sprüchen der Väter steht, „Es ist nicht an Dir das Werk zu vollenden, aber Du bist auch nicht befugt, nichts zu tun“.
* Hauptpreis für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und für Aufklärung über den Holocaust:
Lily Ebert
Lily Ebert wurde 1923 in Ungarn geboren und 1944 ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert, wo ihre Mutter, ihr jüngerer Bruder und eine Schwester ermordet wurden. Mit zwei weiteren Schwestern kam Ebert nach vier Monaten zur Zwangsarbeit in eine Munitionsfabrik bei Leipzig, wo sie von US-Truppen befreit wurde. Über die Schweiz und Israel gelangte sie 1967 mit drei Kindern nach England. Heute betreibt ihr Urenkel Dov Forman für Lily Ebert einen Tiktok-Account mit über 1,6 Millionen FollowerInnen und hat mit ihr gemeinsam auch ein Buch herausgebracht.
Zwi Nigal
Geboren 1923 in Wien, flüchtete Zwi Nigal 1939 nach Palästina und kämpfte in der britischen Armee gegen Nazideutschland. Sein Vater wurde im Holocaust ermordet. 1946 kehrte Nigal als britischer Soldat nach Wien zurück, wollte dort aber nicht mehr leben. Er schloss sich der paramilitärischen Untergrundorganisation Hagana an und kämpfte 1948 im israelischen Unabhängigkeitskrieg. Seit seiner Pensionierung hält er als Zeitzeuge Vorlesungen vor jährlich durchschnittlich etwa 1.500 Schülerinnen und Schülern in Deutschland und Österreich.
Karl Pfeifer
Karl Pfeifer wurde 1928 in Baden bei Wien geboren und floh 1938 mit seinen Eltern nach Ungarn. Ihm gelang die Flucht nach Palästina, 1951 kehrte er nach Österreich zurück. Pfeifer ist journalistisch tätig und war Redakteur der „Gemeinde”, des offiziellen Organs der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Bis 2005 arbeitete er als Wiener Korrespondent des israelischen Radios und als freier Journalist für Magazine. Er setzt sich in seiner Arbeit aktiv gegen Antisemitismus ein.
Liliana Segre
Liliana Segre wurde am 10. September 1930 in Mailand geboren. Im Alter von 13 Jahren wurde sie 1944 als eines von 776 italienischen Kindern nach Auschwitz deportiert. Nur 25 überlebten. Bis heute ist Segre als Zeitzeugin in Fernsehen, Theatern und Schulen aktiv. Sie wurde zu einer der wichtigsten moralischen Autoritäten Italiens. Segre ist Präsidentin des Sonderausschusses gegen Intoleranz, Rassismus und Antisemitismus sowie Mitglied im Parlamentsausschuss für das Kinder- und Jugendalter. Außerdem ist sie Autorin und Koautorin zahlreicher Artikel und Bücher. Die Kommunikation mit Kindern und Jugendlichen liegt ihr besonders am Herzen.
Preis für zivilgesellschaftliches Engagement für Aufklärung über den Holocaust:
Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz
1998 wurde die Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz mit dem Ziel gegründet, mit der Erfassung und Erschließung der Akten der Staatsanwaltschaften und Gerichte die Auseinandersetzung der österreichischen Justiz mit den NS-Verbrechen zu dokumentieren. Sie soll zur Sicherung dieses Teils des europäischen Rechtskulturerbes beitragen und die historische Erfahrung in die Auseinandersetzung mit Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen der Gegenwart einbringen. Ihre Arbeit ist dabei jener von Simon Wiesenthal inhaltlich besonders nahe und steht auch ähnlichen Schwierigkeiten gegenüber.
Preis für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus:
Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus
2008 wurde das von Levi Salomon initiierte Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) mit der Unterstützung von Lala Süsskind und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gegründet. Es soll das demokratische Staatswesen stärken, interreligiösen und interkulturellen Austauschs fördern sowie politisch, rassistisch oder religiös Verfolgten helfen. Hierzu gehört der Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus. Neben Bildungs‑, Öffentlichkeits- und Kulturarbeit führt das JFDA ein unabhängiges Monitoring durch und erfasst und bewertet antisemitische Vorfälle und Tendenzen sowie andere gegen das Grundgesetz und die Menschenrechte gerichtete Vorkommnisse.