Drastische Zunahme antisemitischer Vorfälle 2021

Der Befund des Anti­semitismus­bericht­es für das Jahr 2021 ist alarmierend und deprim­ierend, aber auch nicht über­raschend. In der Krise bedi­enen sich wieder mehr am Sün­den­bock Juden­tum. Deprim­ierend daran ist unter anderem, dass sog­ar die neuer­liche Ver­bre­itung der Pro­tokolle der Weisen von Zion, anti­semi­tis­ch­er Urdreck, gläu­bige Abnehmer*innen find­et. Beson­ders alarmierend sind der Hass und die Gewalt, die in dem Bericht doku­men­tiert werden.

Gegenüber dem Vor­jahr 2020 stellt der Bericht der Anti­semitismus-Meldestelle der IKG für das Jahr 2021 einen Anstieg um rund 60 Prozent fest – in absoluten Zahlen von 585 auf 965 Vor­fälle. Dazu muss ange­merkt wer­den, dass es sich dabei „nur“ um Vor­fälle han­delt, die der IKG bekan­nt­ge­wor­den sind. Mit großer Gewis­sheit darf angenom­men wer­den, dass es genü­gend Eck­en und Gegen­den in Öster­re­ich gibt, wo die Bere­itschaft, anti­semi­tis­che Vor­fälle als solche zu erken­nen und an die Meldestelle der IKG zu bericht­en, eher gegen Null geht.

Die Wahrnehmungen von Anti­semitismus sind sehr unter­schiedlich und reichen bis zur Opfer-Täter-Umkehr (Frei­heitliche als „neue Juden“), der Instru­men­tal­isierung des Holo­caust („Juden­stern für „Ungeimpfte“) und dem zynisch-dreck­i­gen Sager des rus­sis­chen Außen­min­is­ters Lawrow (Hitler habe jüdis­ches Blut gehabt und die „eifrig­sten Anti­semiten sind oft selb­st Juden“).

Meldungen antisemitische Vorfälle 2008 bis 2021 (2018 keine Daten; Grafik SdR)

Mel­dun­gen anti­semi­tis­che Vor­fälle 2008 bis 2021 (2018 keine Dat­en; Grafik SdR)

Die IKG benutzt für die Def­i­n­i­tion von Anti­semitismus den ersten Absatz des Beschlusstextes der Inter­na­tion­al Holo­caust Remem­brance Alliance (IHRA), der da lautet:

Anti­semitismus ist eine bes­timmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden aus­drück­en kann. Der Anti­semitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdis­che oder nichtjüdis­che Einzelper­so­n­en und/oder deren Eigen­tum sowie gegen jüdis­che Gemein­de­in­sti­tu­tio­nen oder religiöse Ein­rich­tun­gen. Darüber hin­aus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdis­ches Kollek­tiv ver­standen wird, Ziel solch­er Angriffe sein.

Was an dieser knap­pen Def­i­n­i­tion noch unge­nau ist, wird durch die fol­gen­den Beispiele viel deutlicher:

Der Aufruf zur Tötung oder Schädi­gung von Juden im Namen ein­er radikalen Ide­olo­gie oder ein­er extrem­istis­chen Reli­gion­san­schau­ung sowie die Bei­hil­fe zu solchen Tat­en oder ihre Rechtfertigung. 

Falsche, ent­men­schlichende, dämon­isierende oder stereo­type Anschuldigun­gen gegen Juden oder die Macht der Juden als Kollek­tiv – ins­beson­dere aber nicht auss­chließlich die Mythen über eine jüdis­che Weltver­schwörung oder über die Kon­trolle der Medi­en, Wirtschaft, Regierung oder ander­er gesellschaftlich­er Insti­tu­tio­nen durch die Juden. 

Das Ver­ant­wortlich­machen der Juden als Volk für tat­säch­lich­es oder unter­stelltes Fehlver­hal­ten einzel­ner Juden, einzel­ner jüdis­ch­er Grup­pen oder sog­ar von Nicht-Juden. 

Das Bestre­it­en der Tat­sache, des Aus­maßes, der Mech­a­nis­men (z. B. der Gaskam­mern) oder der Vorsät­zlichkeit des Völk­er­mordes an den Juden durch das nation­al­sozial­is­tis­che Deutsch­land und seine Unter­stützer und Kom­plizen während des Zweit­en Weltkrieges (Holo­caust).

Der Vor­wurf gegenüber den Juden als Volk oder dem Staat Israel, den Holo­caust zu erfind­en oder über­trieben darzustellen. 

Der Vor­wurf gegenüber Juden, sie fühlten sich dem Staat Israel oder ange­blich beste­hen­den weltweit­en jüdis­chen Inter­essen stärk­er verpflichtet als den Inter­essen ihrer jew­eili­gen Heimatländer. 

Das Aberken­nen des Rechts des jüdis­chen Volkes auf Selb­st­bes­tim­mung, z. B. durch die Behaup­tung, die Exis­tenz des Staates Israel sei ein ras­sis­tis­ches Unterfangen. 

Die Anwen­dung dop­pel­ter Stan­dards, indem man von Israel ein Ver­hal­ten fordert, das von keinem anderen demokratis­chen Staat erwartet oder gefordert wird. 

Das Ver­wen­den von Sym­bol­en und Bildern, die mit tra­di­tionellem Anti­semitismus in Verbindung ste­hen (z.B. der Vor­wurf des Chris­tus­mordes oder die Rit­ual­mordle­gende), um Israel oder die Israelis zu beschreiben. 

Ver­gle­iche der aktuellen israelis­chen Poli­tik mit der Poli­tik der Nationalsozialisten. 

Das kollek­tive Ver­ant­wortlich­machen von Juden für Hand­lun­gen des Staates Israel.

Auch bei der Kat­e­gorisierung anti­semi­tis­ch­er Vor­fälle übern­immt die Meldestelle der IKG seit 2019 die von EUMC geschaf­fe­nen Kri­te­rien, was in der Zukun­ft eine inter­na­tionale Ver­gle­ich­barkeit erle­ichtern sollte. Der Ver­gle­ich der anti­semi­tis­chen Vor­fälle des Vere­inigten Kön­i­gre­ichs (UK, Eng­land, Schot­t­land, Wales und Nordir­land, 67 Mio. Einwohner*innen) mit denen des wesentlich kleineren Öster­re­ich (9 Mio) zeigt allerd­ings schon die drama­tis­che Entwick­lung in Öster­re­ich auf.

JahrÖster­re­ichUK
20195501805
20205851668
20219652055

 

Im Bericht für 2021 sind auch weit­ere Län­der ange­führt. Bay­ern mit seinen rund 13 Mil­lio­nen Einwohner*innen kommt auf 447 Vor­fälle, Ital­ien auf ins­ge­samt 226.

antisemitische Vorfälle Ö, Ita, Bayern und UK (Grafik Bericht IKG 2021, S. 21)

anti­semi­tis­che Vor­fälle Ö, Ita, Bay­ern und UK (Grafik Bericht IKG 2021, S. 21)

Die Reak­tio­nen der poli­tis­chen Parteien in Öster­re­ich auf die Zahlen des Anti­semitismus­berichts sind übri­gens sehr beze­ich­nend. Während sich SPÖ (Petra Bayr , Sabine Schatz), Grüne ( Eva Blim­linger) und Neos (Stephanie Krisper) zumin­d­est darin einig sind, dass „Han­deln“ das Gebot der Stunde sei, darüber hin­aus auch mehr Aufk­lärung und Präven­tion gefordert wird, strebt Innen­min­is­ter Ger­hard Karn­er (ÖVP) nur eine „enge Ver­net­zung aller Akteure“ , also polizeiliche Maß­nah­men, an. Bun­desmin­is­terin Edt­stadler (ÖVP) ver­weist in ihrer Presseaussendung in erster Lin­ie auf die unter ihrem Vor­sitz durchge­führten Maß­nah­men der „Nationalen Strate­gie gegen Anti­semitismus“ und lädt „hochrangige Vertreterin­nen und Vertreter“ zu ein­er europäis­chen Kon­ferenz gegen Anti­semitismus. Von der Partei, die sich im Zusam­men­hang mit anti­semi­tis­chen Vor­fällen am meis­ten ange­sprochen fühlen sollte, der FPÖ, kommt auch in diesem Jahr keine offizielle Stel­lung­nahme zu dem Thema.

Erfreulicher­weise han­deln nun Aktivist*innen aus der Zivilge­sellschaft. Die Ini­tia­tive PLATZ DA! startete gemein­sam mit den Jüdis­chen Öster­re­ichis­chen Hochschüler*innen (JöH) ab 16.5.22 mit Protestle­sun­gen gegen den Lueger-Platz und das Lueger-Denkmal: „Wir schließen an beste­hende Proteste an und wer­den so lange laut lesen und kom­men­tieren, bis das Abwarten been­det und der Platz umbe­nan­nt wird“, heißt es in der Presseaussendung der Uni­ver­sität für ange­wandte Kun­st Wien.

Lueger-Denkmal Schande (Dezember 2021; © SdR)

Lueger-Denkmal Schande (Dezem­ber 2021; © SdR)

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