Natascha Strobl: Radikalisierter Konservatismus
Johannes, Schütz, Raj Kollmorgen und Steven Schäller (Hg.): Die neue Mitte?
Andreas Speit: Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus
Natascha Strobl: Radikalisierter Konservatismus
Es ist ein schmales, aber präzises Büchlein, das Natascha Strobl über den „Radikalisierten Konservatismus“ geschrieben hat. Sie analysiert damit problematische Entwicklungstendenzen von Parteien, die sich in der Vergangenheit als bürgerliche und konservative Mitte definierten, mittlerweile aber eine deutliche Entwicklung nach rechts eingeschlagen haben. Das kommt im bürgerlichen Feuilleton nicht gut an – man ist dort empört über Strobl und ihren Befund.
„Die staatstragenden Parteien einer gedachten Mitte hatten immer das Ziel, die Gesellschaft mit der in ihr gültigen Ordnung zu bewahren.“ (S. 53). So beschreibt Strobl den alten Konservatismus, der immer häufiger von einem radikalisierten abgelöst wird, der keine Berührungsängste vor dem Rechtsextremismus zeigt. Naheliegend, dass das am Beispiel der Kurz-ÖVP, ihrer Koalition mit der FPÖ und auch anhand der „Grand Old Party“ von Donald Trump beschrieben wird. Strobl könnte es auch mit Ungarn und Viktor Orbán oder mit Polens PiS-Partei untermauern. Wer auch nur kurz nachdenkt, wird noch auf etliche andere europäische Länder stoßen, wo vormals konservative Parteien nach rechts gekippt sind.
Stefan Mair, Rezensent von Strobls Buch in der ebenfalls nach rechts gekippten „Neuen Zürcher Zeitung“, fällt dazu nur ein, dass die CDU unter Angela Merkel ja nach links gerutscht sei. Strobl solle sich mehr darum oder auch um die Rechtsentwicklung der dänischen Sozialdemokratie kümmern. Die sanfte Öffnung der CDU durch Merkel wäre mit ihrem möglichem Nachfolger Merz schon demnächst wieder Geschichte. Auch Kurz und Trump sind – einstweilen – Geschichte., der radikalisierte Konservatismus dagegen nicht.
Die Auseinandersetzung mit Strobls Thesen wird auch im Feuilleton der liberalen „Süddeutschen Zeitung“ nicht besser und gehaltvoller. Dort konstatiert der Rezensent gleich zu Beginn, dass Strobl an einer schlüssigen linken Kritik des zeitgenössischen Konservatismus gescheitert sei und raunt dazu „Das ist kein Zufall.“ Warum? Der strenge Rezensent moniert, dass Strobl in ihrem Literaturverzeichnis mehr als 18 Seiten Online-Quellen auflistet, aber nur viereinhalb Seiten für die analoge wissenschaftliche Literatur. Außerdem fehle darin das Werk des griechischen Historikers Panajotis Kondylis. Wer jetzt Schuldgefühle oder Angstzustände bekommt: Muss niemand zwingend gelesen haben! Der 1998 verstorbene Schüler des reaktionären Staatsrechtlers und NS-Apologeten Carl Schmitt war der Meinung, der „Konservativismus“ als Weltbild des Adels sei mit diesem untergegangen. Dann fällt dem Rezensenten auch noch ein, dass für ihn Radikalisierung mit den Angriffen auf die britische Sozialwissenschafterin und Feministin Kathleen Stock verbunden ist. Was ein unerfreulicher wissenschaftlicher Disput um die Genderfrage mit der von Strobl beschriebenen Radikalisierung von konservativen Parteien zu tun haben könnte, verschweigt der Rezensent. Stattdessen sieht er „glitschige analytische Koordinaten“ bei Strobl, weil sie anhand einiger Beispiele darlegt, wie oft sich der radikalisierte Konservatismus schon rechtsextremer Parolen und Ideologie bediene, um Polarisierung und Aufregung zu generieren.
Für den Rezensenten der SZ ist es unzulässig, dass Strobl als einen Beleg dafür das von Rechtsextremen und Rechtsterroristen wie Breivik gepushte angebliche Nikolaus- Verbot anführt. Die Klage über das vermeintliche Nikolo-Verbot war jahrelang Domäne von FPÖ, BZÖ usw. (von denen Breivik die Fake-News übernommen hatte). 2016 griff sie Kurz auf und machte „Politiker der SPÖ Wien“ dafür verantwortlich. Ein Aprilscherz (!) der „Presse“ im Jahr 2015 über ein angebliches Panierverbot für das Schnitzel durch die EU versetzte nicht nur die FPÖ über Jahre hinweg in Schnappatmung, sondern auch den Ex-Kanzler Kurz, der das angebliche Panierverbot selbst noch 2019 als Beispiel für die angebliche EU-Überregulierung anführte. Das kam noch halblustig daher, bei der Ablehnung des UN-Migrationspakts durch die ÖVP-FPÖ-Regierung wurde es ziemlich bitter und dumpf. Die von den rechtsextremen Identitären angestoßene Kampagnisierung gegen den Pakt wurde von der FPÖ in die Regierung getragen und von der türkisen ÖVP unter Kurz bereitwillig übernommen.
Was die Stärke des Büchleins ausmacht, die Verdichtung ihrer Arbeitshypothesen durch viele aktuelle Beispiele und Fakten, der flotte und nicht künstlich hochgezüchtete Erzählstil und natürlich die politische Haltung, das missfällt den Rezensenten des bürgerlichen Feuilletons umso mehr: „Höllenwandmalerei“, heißt es in der „Süddeutschen“, „einseitig“, „diffus“ und von „linksliberalem Unverständnis“ geprägt, mosert die „Zeit“, „wenig differenziert“, jammert die „Neue Zürcher Zeitung“.
Wir können das Gejammere des bürgerlichen Feuilletons, das sich anscheinend bei seinen unanständigen Gedanken ertappt sieht, nicht teilen, sondern geben eine dringliche Empfehlung für Natascha Strobl, Radikalisierter Konservatismus. Suhrkamp 2021.
Was Natascha Strobl mit ihrer Etikettierung „Radikalisierter Konservatismus“ begrifflich zu fassen versucht, kommt zunächst als offene Frage im Titel „Die neue Mitte?“ daher, um dann im Untertitel des Sammelbandes „Ideologie und Praxis der populistischen und extremen Rechten“ bereits eine vorläufige Antwort zu finden. Der Vorteil, den Sammelbände bieten, nämlich verschiedene Zugänge und Positionen zu bieten, wird in diesem Druckwerk, das als Band 14 einer Schriftenreihe des Deutschen Hygiene-Museums Dresden vor kurzem erschienen ist, aber nur bedingt eingelöst.
Das liegt zum einen darin, dass die vielen Autor*innen des Sammelbandes zu wenig vorgestellt werden. Man möchte etwas mehr über sie wissen, weil unter den vielen nicht nur bekannte Namen auftauchen, sondern auch weniger bekannte, die aber dennoch, in teilweise sehr spezialisierten Arbeitsbereichen, spannende Arbeit leisten. Der Fokus des Sammelbandes liegt auf dem deutschen Rechtsextremismus, der Blick über die Grenzen findet nur am Rande statt. Das ist nicht unbedingt ein Mangel, denn es gibt auch so genug zu besprechen. Etwa wenn die Soziologin Silke van Dyk in einem Interview mit Johannes Schütz über ökonomische Deklassierung und Rassismus spricht und dazu rezente Forschungsergebnisse präsentiert.
Ärgerlich ist hingegen, was die Herausgeber in ihrer Einleitung so behaupten, etwa, wenn sie von einem „nach wie vor hegemonialen linksliberalen Lager“ sprechen, das den Begriff des oder der „Rechten“ nur zur Schmähung des politischen Gegners verwende: „Wer als eindeutig rechts bezeichnet wird, bewegt sich in diesem Diskursraum bereits am Rand des demokratischen Spektrums.“ Schon der erste Beitrag des Sammelbandes über die „Neue Rechte“ belegt, dass das mit dem Rand stimmt und die Grenzen sogar überschritten werden.
Dass dann aber in der Einleitung ausgerechnet für die AfD und die PiS-Partei in Polen eine Lanze gebrochen wird, „bei denen relevante Teile über parlamentarisch-demokratische Verfahren substanzielle Reformen des politischen Systems, nicht aber dessen strukturellen Umbau in Richtung einer Autokratie anstreben“, ist schon ein starkes Stück. Die Weißwaschung wird gleich mit untauglichen Mitteln fortgesetzt, wenn es ohne jegliche Substanz heißt: „Zu diesen angestrebten Reformen zählen etwa die Stärkung der nationalen Souveränität und eine Anreicherung der parlamentarischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse durch direktdemokratische Verfahren. Letzteres ist unter Teilen der intellektuellen Neuen Rechten hingegen verpönt.” (S. 19)
Das könnte so auch ein AfD-Apologet geschrieben haben. Es stimmt jedoch überhaupt nicht. Weder gibt es beherzte Vertreter*innen des Parlamentarismus „unter Teilen der intellektuellen Neuen Rechten“ noch eine dementsprechende politische Praxis. Marc Jongen, der Parteiintellektuelle der AfD, will die „Verschweizerung“ Deutschlands und die AfD selbst hat 2021 eine Gesetzesvorlage in den deutschen Bundestag eingebracht, mit der sie „weitreichende Gesetzesvorhaben und völkerrechtliche Verpflichtungen“ einer obligatorischen Volksabstimmung unterwerfen will. (In den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ findet sich schon 2017 ein ausgezeichneter Beitrag zum Demokratieverständnis der AfD.)
So ärgerlich die Einleitung ist, so anregend sind manche Beiträge. Etwa, wenn Liane Bednarz den Konservativismus in Abgrenzung zu rechts und rechten Strömungen zu definieren versucht (Liane Bednarz/Steven Schäller, Rechts und konservativ ist nicht dasselbe). Bednarz – das erfährt man leider nicht aus dem Sammelband – bezeichnet sich selbst als liberal-konservativ, ist Mitglied der CDU und hat zu AfD und rechten Christen publiziert. Was sie als konservativ definiert, ist gar nicht so unterschiedlich zu dem Konservatismus alter Ordnung bei Natascha Strobl. Problematisch wird es bei ihr dort, wo sie den Kipppunkt, also die Abgrenzung zu rechten Strömungen, zu fassen versucht. Da macht sie Merkel dafür verantwortlich, den – in ihren Worten – „sehr konservativen Flügel“ aus der CDU hinausgedrängt und so die Entwicklung der AfD befördert zu haben: „Da hat die CDU als Volkspartei leider versäumt, diese Personen zu integrieren – vielleicht wird das ja jetzt wieder besser.“ (S. 99)
Bednarz ist also der Ansicht, dass eine CDU die deutlich rechten Strömungen, die sie als „sehr konservativ“ beschreibt, einhegen sollte. Widerspruch kommt da vom Rechtsextremismusforscher Matthias Quent in seinem Beitrag „Was ist neu in der Mitte?“ zunächst mit einer paradoxen Intervention. Er widerspricht der These, wonach die politische Mitte nach rechts außen drifte, um unmittelbar anschließend festzuhalten, dass sie „entgegen offizieller Narrative, mit denen Antisemitismus und Rassismus zu Problemen eines extremistischen Randes erklärt wurden, nie ein Hort demokratischer Menschenfreundlichkeit“ war: „Die vielbeschworene Mitte beinhaltete immer auch rechtsradikale Positionen und trägt damit eine massive Spannung in sich.“ (S. 230)
Quent ist allerdings ein Vertreter des optimistischen Wissenschaftsdiskurses à la Steven Pinker, der weltweit liberale Werte im Vormarsch sieht, und führt als Beleg für den Rückgang von Elementen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit für Deutschland eine Langzeitstudie an, die allerdings 2018/19 endet, die neuerliche Radikalisierung in Folge der Covid-Maßnahmen also noch nicht erfasst. Aber Quent hat dafür zumindest ein Interpretationsangebot:
Rechtsradikale, also diejenigen, die soziale, ethnische und kulturelle Hierarchien rassistisch steigern und nach dem Motto „Wir zuerst“ einseitig auflösen, werden nicht radikaler, weil die Gesamtbevölkerung immer radikaler wird, sondern wegen des substanziellen Bedeutungsverlustes ihrer politischen Ideologien und programmatischen Politikangebote, kurz: aus abnehmender Macht. (S. 233)
Gilt das auch für die Corona-Maßnahmen-Gegnerschaft, wenn man in Betracht zieht, wie gerade die türkise ÖVP zeitweise vor ihr eingeknickt ist? Oder wie sich rechtsextreme Interpretationsmuster („illegale Flüchtlinge“, „soziale Hängematte“ usw.) quer durch die Gesellschaft ausgebreitet haben?
Der Position von Bednarz, den „sehr konservativen Flügel“ unbedingt in der CDU halten zu wollen, widerspricht Quent jedenfalls entschieden:
Es ist Ausdruck von Fortschritt, dass derartige Positionen heute in der Union und in der demokratischen Mitte weniger zustimmungsfähig sind als je zuvor“. Naja, wir werden sehen, wie Quent eine CDU mit Friedrich Merz an der Spitze beurteilen wird. Aber auch dafür hat Quent schon ein Erklärungsmuster: es komme in der Gesellschaft „immer wieder wellenförmig zum Aufbegehren der radikalen Rechten und zur Mobilisierung des latenten rechtsradikalen Potenzials. (S. 238)
Leider gibt Quent keine Hinweise, wie die rechtsextremen Wellen gebrochen werden können. Anregend ist sein Beitrag wie etliche andere ebenfalls dennoch.
Die neue Mitte? Ideologie und Praxis der populistischen und extremen Rechten. Herausgegeben von Johannes, Schütz, Raj Kollmorgen und Steven Schäller. Böhlau-Verlag 2021 (Schriften des Deutschen Hygiene-Museums Dresden Band 14)
Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus
Im Sammelband über die „Neue Mitte“ ist Andreas Speit mit einem Beitrag über die Identitären in Deutschland vertreten („Reaktionärer Klan“). In seinem Paperback über „Verqueres Denken“ beschäftigt er sich mit den alternativen Milieus, die in den letzten Monaten zunehmend bei den Demos der Corona-Maßnahmen-Gegner*innen anzutreffen waren und zu deren politischer Selbstdefinition nicht gehört: dass sie sich als Rechte oder gar Rechtsextreme bezeichnen würden. Natürlich gibt es auch da Ausnahmen – bei einzelnen Personen oder ganzen Gruppen (wie etwa der Siedlerbewegung rund um „Anastasia“).
Ziemlich systematisch und historisch arbeitet Speit verschiedene alternative Milieus auf und verschont dabei auch die Grünen nicht, die vor allem in ihren Anfängen – und da nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich – aus diesen Milieus Zulauf hatten. Thematisiert werden da Anthroposophie und Waldorfschulen, Vegan- und Tierrechtsbewegung und das breite Spektrum der Impfkritik und Alternativmedizin, wo zuletzt auch Madeleine Petrovic, die frühere Bundessprecherin der Grünen, mit seltsamen Grußworten bei einer Kundgebung der Impfgegner-Partei MFG aufgezeigt hat, nachdem sie schon vor über 25 Jahren auf den braunen Sektenguru Ryke Geerd Hamer reingefallen war. Seine „Germanische Neue Medizin“ hieß damals zwar noch relativ neutral „Neue Medizin“, aber sonst waren schon alle Elemente seiner okkulten Lehre („Fünf Biologische Naturgesetze“) vorhanden. Die „Germanische Neue Medizin“ kommt bei Speit nicht vor, auch einige esoterische Milieus kommen etwas zu kurz, aber insgesamt ist das Buch eine Empfehlung, auch wenn ein Schlagwortverzeichnis fehlt!
Andreas Speit: Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus. Ch. Links Verlag 2021