Die sogenannte Muchitsch-Kommission war derzeit die letzte Gruppe, die einen Bericht zum Zustand des HGM geliefert hat. Ihre Aufgabe war es, den gesamten Ausstellungsbereich unter die Lupe zu nehmen. Die Bewertung fiel ähnlich schlecht aus wie schon jene zum zeitgeschichtlichen Saal. Stefan Weiss fasst im Standard die zahllosen Kritikpunkte so zusammen:
Kurz gefasst, dass „die Ansprüche der Darstellung einer modernen Militärgeschichte über weite Strecken nicht gegeben sind”. Konkret sei keine durchgängige Erzählung, kein roter Faden, kein Gesamtkonzept erkennbar, neue wissenschaftliche Erkenntnisse seien „kaum berücksichtigt”, in vielen Bereichen stünden „Ruhm und Ehre” des Hauses Habsburg im Vordergrund, der Inhalt von Bildern und Objekten werde ungenügend erklärt und in Kontext gestellt, Bezüge zur Gegenwart und Zukunft fehlten, es finde Heeresgeschichte „aus der Perspektive des Feldherrenhügels” statt.”
Generell wird eine Verengung auf Militär- und Waffengeschichte kritisiert. So fehlten Bezüge zur politischen, sozialen und kulturellen Geschichte, auch die Kriegsfolgen seien nicht sichtbar.
„Das HGM präsentiert sich im Wesentlichen als Museum für Fachleute, die bereits über entsprechende Kenntnis der historischen Zusammenhänge verfügen und diese für sich mit den gezeigten Objekten verknüpfen können”, schreiben die Historiker. Salopp gesagt heißt das, dass sich in dem Haus jeder Besucher seine Auffassung der Geschichte selbst zusammenreimen kann. Und genau daran knüpfte sich ein Teil der Kritik, hatten sich doch zuletzt verstärkt Rechtsextremisten zu dem Museum hingezogen gefühlt.
Der Militärhistoriker Michael Hochedlinger, der beruflich im Staatsarchiv residiert, ist – wie schon früher auch – mit einem wilden Verteidigungsritt für den seit über 15 Jahren amtierenden Direktor Ortner vorstellig geworden. Er beklagt „das Fehlen einer konservativen Kultur- und Geschichtspolitik“, wodurch „sich der diskursbeherrschende linksliberale Mainstream ungehindert durch unsere eintönige Kultur- und Geisteslandschaft“ bewege und „in seinen geschichtspolitischen Ausläufern die ernste Gefahr gesellschaftlicher Neurotisierung“ berge. Dieser befürchteten Neurotisierung scheint Hochedlinger selbst anheim gefallen zu sein, denn seine Befunde werden noch kühner: „In die Vergangenheit verlängert, führt randgruppen- und opferzentrierte Identitätspolitik nämlich zu einer besonders rabiaten Form des Selbst- und Geschichtshasses. Die retrospektive Autoaggression verbeißt sich mittlerweile an so gut wie allen Relikten vergangener Jahrhunderte.“ (derstandard.at, 12.2.21)
Hochedlinger, der (fast) einsame kompetente Rufer in der Wüste der Inkompetenten – so bezeichnet er die „Muchitsch-Kommission“ als „provinziell“ und ohne „echten Militärhistoriker“ aufgestellt – erklärt in einem Aufwaschen das „Haus der Geschichte“ zur „Gerümpelsammlung auf dem Heldenplatz“ und das Tiroler Landesmuseum zum „Museumsflohmarkt“. Folgerichtig dräut an Hochedlingers Horizont Furchtbares, nämlich ein Umbaue des HGM in ein „Antikriegsmemorial, drastische Kriegsgräuel-Inszenierung inklusive“.
Der Historiker Peter Pirker, einer aus jener Garde des „linken Mainstreams“, dessen hegemoniales Wirken Hochedlinger so fürchtet, wirft in einer Replik auf den „letzte[n] Militärhistoriker Michael Hochedlinger“ einen Blick zurück in die Zeit nach dem Nationalsozialismus, in der im HGM „braune Eier“ gelegt worden seien. Eines davon war der 1957 ernannte HGM-Direktor Heinz Zatschek.
Zatschek, in Wien residierender Sudetendeutscher, war ein überzeugter Nationalsozialist, der, vom Chef des Reichssicherheitshauptamts, Reinhard Heydrich, protegiert, 1941 an der germanisierten Universität Prag eine Professur für Mittelalterliche Geschichte erhalten hatte und nach Heydrichs Ermordung durch tschechische Widerstandskämpfer in der „Reinhard-Heydrich-Stiftung” mit der Frage der Eindeutschung der Tschechen befasst war. (…)
Auch Zatscheks Nachfolger, der ehemalige Wehrmachtsoffizier Johann Christoph Allmayer-Beck, war nicht imstande, sich von der Wehrmacht zu lösen. Klar, Veteranen suchten Sinn im offensichtlich Katastrophalen und fanden ihn im Museum bei der stillen Betrachtung von sauberen Uniformen und polierten Waffen. Sie wollten keine Kommentare lesen. Der Katholik Allmayer-Beck realisierte das Prinzip der Identifizierung auch in der Geschichtsschreibung, indem er die Wehrmacht austrifizierte.
Er stellte die Waffentaten der Ostmärker umstandslos in eine Kontinuität von 300 Jahren edlen österreichischen Soldatentums und ließ weg, was nicht dazupasste. (…) Als das Verteidigungsministerium sich in den 1960er-Jahren mit der Neubenennung von Kasernen beschäftigte, schlug Allmayer-Beck vor, den Fliegerhorst Langenlebarn nach Alexander Löhr zu benennen – jenem Löhr, der als Befehlshaber der deutschen Luftwaffe 1941 Belgrad in Grund und Boden bombardieren ließ.
Pirkers Kritik an Zatschek und Allmayer-Beck rief schließlich Manfried Rauchensteiner, Vorgänger von Christian Ortner als Direktor des HGM, auf den Plan. Rauchensteiner hatte sich zuvor – im Gegensatz zu Ortner – der Kritik am HGM gestellt und durchaus Versäumnisse und Fehlentwicklungen eingeräumt.
Rauchensteiner meint in seinem Standard-Kommentar, weder der Beitrag von Hochedlinger noch jener von Pirker sei geeignet,
zur Versachlichung beizutragen (…). Noch viel weniger weiterführend ist es, wenn frühere Direktoren angepatzt werden, wie Johann Christoph Allmayer-Beck, dessen Bedeutung als Wissenschafter, Museumsgestalter und Mensch wegen seiner Offizierslaufbahn in der deutschen Wehrmacht in Zweifel gezogen wird.
Nun wäre zu erwarten, dass Rauchensteiner seine Allmayer-Beck-Verteidigung auch argumentieren würde, tut er jedoch nicht – er belässt es beim Diktum, frühere Direktoren dürften nicht angepatzt werden. Stattdessen brauche es für eine Neuausrichtung des HGM „ausschließlich den Willen, etwas Neues zu schaffen und damit einem einzigartigen Gedächtnisort seinen Fortbestand zu sichern“. Eine bemerkenswert ahistorische Sicht eines Historikers!
Richtiggehend skurril ist die Presseaussendung mit dem Titel „Hände weg vom Heeresgeschichtlichen Museum!“ aus einer Ecke, von der vieles zu erwarten ist, aber keine Stellungnahme zum HGM. Franz Hörl (ÖVP), der Tiroler Schutzpatron aller Seilbahnbetreiber, hat am 10. März, als der fürs HGM desaströse Rechnungshofbericht im zuständigen parlamentarischen Ausschuss diskutiert wurde, beschlossen, seine schützende Hand nun auch von den Seilbahnpfosten in Richtung HGM zu verlängern.
Die Veröffentlichung des Rechnungshofberichts zum Heeresgeschichtlichen Museum (HGM) hatte im Herbst letzten Jahres hysterisch skandalisierende Medienberichte zur Folge, die aus Sicht des ÖVP-Abgeordneten Franz Hörl nicht den Tatsachen entsprechen. „Gravierende Mängel oder Missstände im HGM sind im Bericht nicht zu finden“, so Hörl. (…) „Das Heeresgeschichtliche Museum ist eines der international bedeutendsten Militärmuseen, die Direktion Christian Ortners ist eine Erfolgsgeschichte. Laufend steigende Besucherzahlen trotz geringen Personalstandes, sehr schlechter Verkehrsanbindung und fortwährender böswilliger politischer und medialer Angriffe sind Beleg für den erfolgreichen Kurs des Hauses“, betont Hörl.
Zur „Erfolgsgeschichte” mit den „laufend steigenden Besucherzahlen” ist anzumerken, dass diese, wie bereits erörtert wurde, auch dadurch erreicht werden, indem Personen, die an Außenveranstaltungen wie dem jährlich stattfindendem Adventsmarkt teilnehmen, bei ihren WC-Gängen durchs Drehkreuz des Museums geschleust werden. Jeder WC-Besuch trägt also zur „Erfolgsgeschichte” bei. Für das Jahr 2019 wurden laut Eigenangaben des HGM 265 036 Personen im Haupthaus gezählt, davon seien nur 85.184 zahlende Besucher*innen gewesen. Auf eine parlamentarische Anfrage der SPÖ nach der Zusammensetzung der nicht zahlenden Besucher*innen (Zusammenhang des kostenlosen Besuchs und Datum) antwortet Verteidigungsministerin Claudia Tanner: „Derartige Detailinformationen, wann und in welchem Zusammenhang die unbezahlten Besuche stattfanden, liegen nicht auf.” Was für eine Erfolgsgeschichte!