Es sind zwei Stunden, die die Gerichtsreporterin Annette Ramelsberger erzählt, über ihre Biographie, aber vor allem zum NSU-Prozess, darüber, was ein Prozess wie dieser mit Zuhörenden macht und verändert und wie der Staat konsequent versagt hat – aber auch über ihre eigenen Fehler als Journalistin.
Ramelsbergers persönliche Eindrücke zum NSU-Prozess sind Schilderungen, die unsereins den kalten Schauer über den Rücken jagen lassen. Es sind Erzählungen über die Nazis, die ihr im Gerichtssaal buchstäblich im Genick saßen, über die Angehörigen der Opfer und wie der fünf Jahre andauernde Prozess, den Ramelsberger zu den wichtigsten der deutschen Nachkriegsgeschichte zählt, sie ganz persönlich verändert hat. Ramelsberger schildert ihre Motivation für die konsequente Prozessbegleitung als Versuch einer Art von Wiedergutmachung von vorhergehenden Versäumnissen, nach dem Motto: Diesmal schauen wir nicht weg, diesmal beobachten wir ganz genau, wie der Staat mit diesen Morden umgeht!
Ramelsberger erzählt von ihrer Zeit in der DDR, wo sie ihre journalistische Karriere gestartet hatte und wie sie später zur Gerichtsreporterin avancierte. Sie begleitete viele große Prozesse, immer wieder auch mit dem Fokus auf Rechtsextremismus und Neonazismus. Sie war ebenfalls in Norwegen bei dem Prozess gegen den Rechtsterroristen und Massenmörder Anders Behring Breivik.
Ramelsberger spricht viel von den Versäumnissen der staatlichen Institutionen, deren Fehlbewertungen – in selbstkritischer Manier, aber durchaus auch von den eigenen, vom Wegschauen und Nicht-Wahrhaben-Wollen. Ihre Einschätzung, dass der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke die deutsche Gesellschaft und Politik wachgerüttelt habe, weil es einen „Biodeutschen“ erwischt hätte, kann nicht vorbehaltlos geteilt werden, weil auch bei diesem Mord die Reaktionen – vor allem aus Lübckes eigener Partei, der CDU, anfangs durchaus zögerlich kamen. Wir erinnern uns an das Erstaunen von Rechtsextremismusexpert*innen, dass selbst hier ein umgehender Aufschrei ausgeblieben ist und das Entsetzen erst Schritt für Schritt kam.
Ein Muster ist auch bei den NSU-Morden erkennbar: Beate Zschäpe hatte den Auftrag im Falle einer Aufdeckung von Böhnhard und Mundlos, die letztlich nach einem Banküberfall gestellt worden waren, Bekennervideos von den Mordtaten, die der NSU selbst angefertigt hatte – zum Teil mit Bildern ihrer sterbenden Opfer – publik zu machen, um auszudrücken: Seht her, wir waren es! Es war ein Geständnis, um die Wahrnehmung der (vor allem medialen) Öffentlichkeit mit dem eigenen Narrativ posthum zu steuern. Ramelsberger, nachdem dieses Video im Gerichtssaal gezeigt wurde: „Das hältst du nicht aus … An solchen Tagen musste ich wirklich rausgehen und viele Male um den Block, um frische Luft zu kriegen.“
Das kennen wir von den Attentaten in Oslo/Utøya, Christchurch, El Paso, Halle und Hanau: Hinterlassenschaften der Mörder in Form von Bekennerschreiben und Manifesten bis zu den Livevideos, die heute noch auf diversen Plattformen als Heldenerzählungen kursieren.
Ramelsberger erzählt erschütternde Details über die menschenverachtende Kaltblütigkeit der Täter*innen, aber auch über die Wahrnehmung der Opfer und welche traumatisierenden Auswirkungen der Unwille, die Unfähigkeit der staatlichen Institutionen und der Medien, mit den Morden umzugehen, auf sie gezeitigt haben.
Hat Deutschland daraus gelernt? Vielleicht etwas, aber sicher nicht genug.