„Die Grenzen der Demokratie”: nicht vergnügungssteuerpflichtig

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Wie reagiert die öster­rei­chi­sche Gesell­schaft auf rechts­extre­me Posi­tio­nen? Wel­che Bedeu­tung haben sie und wie gehen die Abge­ord­ne­ten im Natio­nal­rat damit um? Eine Ant­wort auf die­se Fra­gen gibt der Wie­ner Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Mat­thi­as Fal­ter in sei­ner als Buch erschie­ne­nen über­ar­bei­te­ten Dis­ser­ta­ti­on über die „Gren­zen der Demo­kra­tie“. Ver­gnü­gungs­steu­er muss­te er nicht bezah­len für die müh­sa­me Auf­ar­bei­tung der Aus­ein­an­der­set­zun­gen um Rechts­extre­mis­mus im öster­rei­chi­schen Natio­nal­rat. Rezen­si­on von Harald Walser.

Sein Befund erschreckt näm­lich eher, was den und die gelernte/n Österreich*innen aber lei­der nicht zu über­ra­schen ver­mag: Rechts­extre­me Posi­tio­nen sind bei uns sowohl in der Gesell­schaft als auch in der Poli­tik kein Rand­phä­no­men, son­dern in der viel­be­schwo­re­nen „Mit­te“ zu finden.

Fal­ters Unter­su­chungs­ge­biet sind die Aus­ein­an­der­set­zun­gen über Rechts­extre­mis­mus im öster­rei­chi­schen Natio­nal­rat von 1999 bis 2013. Sein zen­tra­ler Befund: Im öster­rei­chi­schen Natio­nal­rat wur­de nicht nur hef­tig über Rechts­extre­mis­mus dis­ku­tiert, son­dern die Volks­ver­tre­tung war und ist auch „eine Are­na der Aus­ein­an­der­set­zung mit extrem rech­ten Poli­ti­kern“ (S. 249).

Der Autor beschränkt sich nicht auf jene For­men des Rechts­extre­mis­mus, die sich etwa durch Leug­nung des Holo­caust oder Gewalt­ta­ten expli­zit gegen Geset­ze und Nor­men der Zwei­ten Repu­blik wen­den, son­dern beschäf­tigt sich mit der poli­tisch wesent­lich inter­es­san­te­ren „ange­pass­ten“ Vari­an­te rechts­extre­mer Poli­tik und Gesin­nung. Er erin­nert in die­sem Zusam­men­hang an die „Wald­heim-Affä­re“ und vor allem an die Dis­kus­si­on um das „NS-Ver­bots­ge­setz“, aber auch an den „par­tei­för­mi­gen Rechts­extre­mis­mus: Die Frei­heit­li­che Par­tei Öster­reichs (FPÖ)“ (S. 111–121).

Die Aus­ein­an­der­set­zung mit und über die FPÖ ist für Fal­ter daher zen­tral. Im Unter­su­chungs­zeit­raum waren die Frei­heit­li­chen von zu Beginn des Jahr­hun­derts ja Teil der Regie­rung. Damals attes­tier­te ihr sogar ein von der EU ein­ge­setz­ter „Wei­sen­rat“ eine „rechts­po­pu­lis­ti­sche Par­tei mit radi­ka­len Ele­men­ten“ zu sein. Als dama­li­ges Mit­glied des Natio­nal­ra­tes erhielt ich im Novem­ber 2011 aller­dings trotz­dem einen Ord­nungs­ruf für die Aus­sa­ge, dass „vie­le hier sit­zen­de Abge­ord­ne­te sel­ber als Rechts­extre­mis­ten zu bezeich­nen sind“ und dass der dama­li­ge Drit­te Natio­nal­rats­prä­si­dent Mar­tin Graf das Par­la­ment sogar zu einem „Tum­mel­platz für den orga­ni­sier­ten Rechts­extre­mis­mus“ gemacht hat (S. 175).

Martin Graf und Harald Walser mit Protest-T-Shirt: "Eure Schande heißt Martin Graf" (Foto mit freundlicher Genehmigung von Matthias Cremer)

Mar­tin Graf und Harald Wal­ser mit Pro­test-T-Shirt: „Eure Schan­de heißt Mar­tin Graf” (Foto mit freund­li­cher Geneh­mi­gung von Mat­thi­as Cremer)

Der FPÖ und ihren Exponent*innen im Natio­nal­rat ist es in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten immer gelun­gen, sich soweit an die vor­ge­ge­be­nen Rah­men­be­din­gun­gen anzu­pas­sen, dass sie sich im Rah­men der ver­fas­sungs­mä­ßig gewähr­leis­te­ten Mei­nungs­frei­heit bewegt haben. Gleich­zei­tig aber hat sie ein wesent­li­ches Ziel erreicht: Die Ver­schie­bung des poli­tisch-gesell­schaft­li­chen Dis­kur­ses nach rechts (Kapi­tel 4.3.). Die ohne gro­ßen Auf­schrei ver­tre­te­nen Posi­tio­nen von Bun­des­kanz­ler Sebas­ti­an Kurz – etwa in der Flücht­lings­fra­ge – sind aus mei­ner Sicht ein deut­li­ches Bei­spiel dafür.

Am inten­sivs­ten war die Aus­ein­an­der­set­zung über Rechts­extre­mis­mus natur­ge­mäß in den Natio­nal­rats­sit­zun­gen der ers­ten schwarz-blau­en Regie­rung zwi­schen 1999 und 2003. Wie prä­sent das The­ma in der öster­rei­chi­schen Volks­ver­tre­tung aber im gesam­ten Unter­su­chungs­zeit­raum war, erstaunt dann doch: In 39 Pro­zent der Sit­zun­gen gab es Aus­ein­an­der­set­zun­gen zum The­ma Rechts­extre­mis­mus oder zumin­dest ent­spre­chen­de Zwi­schen­ru­fe „oft­mals unab­hän­gig von den jewei­li­gen Tagesordnungspunkten“.

Immer wie­der war die Wahl eines FPÖ-Abge­ord­ne­ten zum Zwei­ten (Tho­mas Prinz­horn) oder Drit­ten (Mar­tin Graf) Natio­nal­rats­prä­si­den­ten Anlass für hef­ti­ge Dis­kus­sio­nen. Im Okto­ber 1999 bei­spiels­wei­se führ­ten die von Prinz­horn im Wahl­kampf gemach­ten Äuße­run­gen zu einer hef­ti­gen Debat­te über Ras­sis­mus und Rechts­extre­mis­mus, weil die­ser behaup­tet hat­te, „Aus­län­de­rin­nen“ bekä­men mit staat­li­cher Unter­stüt­zung frucht­bar­keits­stei­gern­de Hor­mon­prä­pa­ra­te. Die Dis­kus­si­on bekam auch eine ver­gan­gen­heits­po­li­ti­sche Kom­po­nen­te, denn der Kon­zern des Indus­tri­el­len war zu Beginn der NS-Zeit in Ari­sie­run­gen ver­wi­ckelt (S. 131 f.).

Fal­ter rekon­stru­iert vier zen­tra­le argu­men­ta­ti­ve Frames – also Deu­tungs­ras­ter – und ana­ly­siert ihre jewei­li­gen Effek­te auf die Aus­ein­an­der­set­zung mit Rechts­extre­mis­mus. Dazu gehö­ren geschichts­po­li­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen über Natio­nal­so­zia­lis­mus und Rechts­extre­mis­mus genau­so wie der „ord­nungs­lo­gi­sche Frame“ – gemeint ist der Rechts­extre­mis­mus als Abwei­chung von der öffent­li­chen Ord­nung und damit von der poli­ti­schen Nor­ma­li­tät. Iden­ti­täts­po­li­ti­scher und demo­kra­tie­po­li­ti­scher Frame sind die bei­den wei­te­ren argu­men­ta­ti­ven Frames: Die de fac­to Beschwö­rung eines „natio­na­len Schul­ter­schlus­ses“ im Zusam­men­hang mit den „Sank­tio­nen“ der EU im Zusam­men­hang mit der ers­ten schwarz-blau­en Regie­rung wird dabei eben­so unter­sucht wie die Fra­ge, was den heut­zu­ta­ge ange­mes­se­ner „öster­rei­chi­schen Patrio­tis­mus“ sei.

Mat­thi­as Fal­ters Buch ist eine Fund­gru­be für all jene, die sich über den Umgang mit rechts­extre­men Posi­tio­nen und Orga­ni­sa­tio­nen zu Beginn die­ses Jahr­hun­derts inter­es­sie­ren. Scha­de, dass das Buch ohne Namens- und Orts­re­gis­ter erschie­nen ist. Das hät­te es für vie­le Leser*innen auch als Nach­schlag­werk umso wert­vol­ler gemacht.

Die Demo­kra­tie ver­lan­ge „die nach­hal­ti­ge inhalt­li­che Abgren­zung und Sen­si­bi­li­sie­rung gegen­über Rechts­extre­mis­mus und einzelne(n) konstitutive(n) Ideo­lo­gien“ (S. 257), ver­langt der Autor. Dass es damit in der öster­rei­chi­schen poli­ti­schen Kul­tur nicht weit her ist, erfah­ren wir lei­der fast tagtäglich.

Cover Matthias Falter: Die Grenzen der Demokratie

Cover Mat­thi­as Fal­ter: Die Gren­zen der Demokratie

Fal­ter, Mat­thi­as: Die Gren­zen der Demo­kra­tie. Poli­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen um Rechts­extre­mis­mus im öster­rei­chi­schen Natio­nal­rat. Baden-Baden 2019