Schon am 10. Februar war im „Standard“ ein Interview mit dem eher konservativen Grazer Historiker Dieter Binder zu lesen, dessen Kritik an der derzeitigen Museumsgestaltung durchaus deutlich ausfiel – hier ein Auszug:
STANDARD: Der Politikwissenschafter Walter Manoschek meint, man müsste das HGM in seiner aktuellen Form sofort zusperren. Sehen Sie das auch so dramatisch?
Binder: Ich halte das für überzogen. Allerdings müssen in einer ersten Revision missverständliche Ausstellungsstücke entfernt und kontroversielle Objekte nachdrücklich mit Tafeln kontextualisiert werden.
STANDARD: Sie wollen mehr Einordnung. Aktuell kann sich jeder Museumsbesucher seine Geschichte selbst zusammenreimen?
Binder: Selbstverständlich kann es nicht sein, dass man den Eindruck erweckt, jeder Besucher kann sich seine Geschichte selbst erzählen, und dieser Subjektivismus ist Ausdruck der Ausstellungsmacher. Hier hat das Museum in seiner doppelten Funktion als klassisches Museum und Ort der Traditionspflege des Bundesheeres klar Stellung zu nehmen.
Eine Woche später kam ein sehr informativer Beitrag im „kulturMontag“ auf ORF 2, der leider nicht mehr online verfügbar ist. Hier wurde erstmals auch der HGM-Direktor Christian Ortner zu den massiven Vorwürfen befragt. Ortner räumte durchaus Versäumnisse ein, schob jedoch jegliche Verantwortung dafür von sich.
Wenige Tage später richtete Eva Blimlinger, Nationalratsabgeordnete der Grünen, eine parlamentarische Anfrage zum Heeresgeschichtlichen Museum an die Verteidigungsministerin, die sich bis spätestens 20. April eine Antwort überlegen muss.
In der Begründung der Anfrage werden bisher wenig bekannte Punkte wie etwa die Verleihung eines Museumsgütesiegels an das HGM durch einen Vorsitzenden jener Kommission angeführt, die das HGM jetzt überprüfen soll.
Wir dokumentieren hier deshalb die Begründung der Anfrage:
Kurz nach dem Bekanntwerden der rechtsextremen Umtriebe im Heeresgeschichtlichen Museum (HGM) richtete der damalige Verteidigungsminister Thomas Starlinger zwei Kommissionen ein, die zum einen den zeitgeschichtlichen Saal – inzwischen erweitert auf alle Schauräume – prüfen soll, zum anderen den Museumsshop.
Das HGM hat vom Präsidenten des Museumsbundes Wolfgang Muchitsch, der zugleich Leiter der erstgenannten Kommission ist, ein Museumsgütesiegel verliehen bekommen; Kriterien für die Verleihung des Gütesiegels sind u.a., dass die BesucherInnen eine qualitätsvolle Präsentation erwarten können und definierte „Ethische Richtlinien für Museen“ eingehalten werden.
Der Kunsthistoriker und Museumsexperte Gottfried Fliedl reiht das HGM unter zehn gelisteten „schlechtesten Museen Österreichs” an erster Stelle:„Veraltet, schwer veraltet! Hinsichtlich der militärgeschichtlichen Forschung, hinsichtlich der Museumstechnik- und Gestaltung, hinsichtlich des heutigen Wissens- und Forschungsstandes der Geschichtswissenschaften, hinsichtlich der gesellschaftlichen Interessen und Ansprüche an ein solches Museum, hinsichtlich der militaristischen Ideologie. Zeitgemäß bloß hinsichtlich seiner Funktion als Wärmestube für Militaria-Fetischisten uam. Kann man nur sagen: Sofort schließen!“
Auch in der Veranstaltung „HGMneudenken“ am 24.1.20 haben mehr als 30 Fachleute aus Wissenschaft, Kunst und Kultur großteils so fundamentale Kritik an der Gesamtkonzeption des Museums geübt, dass die Frage zu stellen ist, wie es zur Verleihung des Gütesiegels kommen konnte:„Das Museum biete heute mehr denn je eine ‚Projektionsfläche für Militaristen, Monarchisten und Rechtsextreme’, so Öllinger. Worin das grundsätzliche Problem des HGM besteht, darin waren sich alle Tagungsteilnehmer einig: Eine riesige Menge an historisch zweifellos hochinteressanten Objekten werde großteils völlig unkontextualisiert präsentiert. (…) ‚Die Objekte wirken wie die Requisiten eines Stücks, dessen Text nicht vorgegeben ist’, lautet ein vielzitierter Befund zum Zustand des Hauses. (…) Die frühere Chefkuratorin des Jüdischen Museums, Felicitas Heimann-Jelinek, und der Politologe Walter Manoschek zeigten sich bei der Tagung ‚entsetzt’ und ‚schockiert’ nach ihren Rundgängen durch das HGM: Es sei ‚eine Parallelwelt’, ‚ein Skandal’ – von der Forschung, die in den letzten 30 Jahren passiert ist, finde sich ‚null’. ‚In Deutschland würde so etwas nach ein paar Monaten zugesperrt’, so Manoschek.“
Eine dritte Kommission wurde eingesetzt, nachdem der Rechnungshof das Museumsdepot in der Kaserne Zwölfaxing geprüft und festgestellt hatte, „dass in einem versteckten Bunker auf dem Gelände historische Ersatzteile, Panzerketten und Werkzeugsätze von Mitarbeitern privat gelagert worden waren. Es waren Stücke, die in den letzten fünf Jahren oder sogar länger vom Heereslogistikzentrum des Bundesheeres ausgeschieden worden waren und, auf welchen verschlungenen Wegen auch immer, nach und nach in die Privatsammlung der HGM-Panzerliebhaber gewandert waren.”
Eine vierte Kommission wurde im Zuge eines §-17-Verfahrens nach dem Ausschreibungsgesetz vom derzeitigen Direktor des HGM, Christian Ortner, einberufen, nachdem BM a.D. Starlinger an Direktor Ortner eine Mitteilung über dessen Nichtweiterbestellung geschickt haben soll. Ortners Vertrag ist mittlerweile ausgelaufen, über eine etwaige Weiterbestellung oder Nachbesetzung ist in Bälde zu entscheiden. Die Weiterbestellungskommission soll mittels eines Gutachtens feststellen, inwieweit eine Person „insbesondere hinsichtlich der fachlichen Qualifikation, der Fähigkeit zur Menschenführung und der organisatorischen Fähigkeiten und die Eignung zur weiteren Ausübung der Funktion” geeignet ist.
Die komplette Anfrage ist hier abrufbar.
Den Beitrag „Ein Museum ohne Verantwortung?“ von Bianca Kämpf im FIPU-Blog, der am 4. März 20 erschienen ist, empfehlen wir ohne jede Einschränkung zur Lektüre.