Schleichende Normalisierung des Rechtsextremismus

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Am 13. Jän­ner fand in Wien ein Hin­ter­grund­ge­spräch zum The­ma „Schlei­chen­de Nor­ma­li­sie­rung des Rechts­extre­mis­mus in der öffent­li­chen und poli­ti­schen Dis­kus­si­on und in den Hal­tun­gen der Bevöl­ke­rung“ statt, das von den Wis­sen­schaf­te­rIn­nen Ruth Wod­ak (Uni­ver­si­ty of Lan­cas­ter), Judith Götz (Uni­ver­si­tät Wien), Mar­ti­na Zan­do­nella (SORA Wien) und Jörg Fle­cker (Uni­ver­si­tät Wien) geführt wur­de. Wir doku­men­tie­ren hier den schrift­li­chen Input von Ruth Wod­ak, die auch Mit­glied des wis­sen­schaft­li­chen Bei­rats von „Stoppt die Rech­ten“ ist, mit ihrer Erlaub­nis und bes­tem Dank!

Ruth Wod­ak

„Schamlose Normalisierung“: Diskursive Ausprägungen von Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit

Der­zeit erle­ben wir einen star­ken Rechts­ruck, inner­halb der EU Mit­glied­staa­ten und auch glo­bal. Die Nor­ma­li­sie­rung betrifft einer­seits die Über­nah­me rechts­extre­mer Inhal­te, ideo­lo­gi­scher Ver­satz­stü­cke und Argu­men­ta­tio­nen wie auch unde­mo­kra­ti­scher Prak­ti­ken durch die Main­stream Par­tei­en. Ande­rer­seits sind rechts­ra­di­ka­le und rechts­extre­me Par­tei­en (far-right) im Main­stream ange­kom­men, stel­len in man­chen Län­dern die Regie­rung oder sind Teil einer Koali­ti­on. Um mit dem Deut­schen Kul­tur­wis­sen­schaft­ler Jür­gen Link zu spre­chen, die ‚Nor­ma­li­täts­gren­zen‘ haben sich ver­scho­ben, ‚Anor­ma­les‘ ist ‚nor­mal‘ gewor­den, schon rein sta­tis­tisch gese­hen. Wesent­li­che Dis­kurs­ver­schie­bun­gen und neue/alte Praktiken:

1) Eine signi­fi­kan­te Dis­kurs­ver­schie­bung betrifft ein Ver­hal­ten, das ich als „scham­lo­se Nor­ma­li­sie­rung“ bezeich­ne: Vie­le bestehen­den Kon­ven­tio­nen wur­den und wer­den in der poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung immer häu­fi­ger über Bord gewor­fen. Dazu zäh­len sexis­ti­schen, anti­se­mi­ti­sche und anti-mus­li­mi­sche wie auch homo­pho­be Äuße­run­gen, die Angrif­fe auf Poli­ti­ke­rin­nen und Jour­na­lis­tin­nen, die vie­len lan­cier­ten Lügen und Unwahr­hei­ten, sowohl über tra­di­tio­nel­le Medi­en wie auch online und über Social Media: ‚Any­thing goes‘. Fak­ten wer­den zu Mei­nun­gen degra­diert. Man bewegt sich in ver­schie­de­nen, von­ein­an­der völ­lig abge­grenz­ten Dis­kurs­wel­ten, in denen signi­fi­kant unter­schied­li­che Nor­men und Regeln gelten.

2) Die geball­ten Angrif­fe auf die jeweils arbi­trär defi­nier­ten Eli­ten fin­den ver­mehrt posi­ti­ve Reso­nanz, im Sin­ne: „end­lich traut sich jemand, das zu sagen, was sich alle den­ken“ (vgl. Hai­der, Kickl und Kurz Wahl­pla­ka­te Sep­tem­ber 2019). Dabei kommt einem Stroh­mann-Argu­ment gro­ße Bedeu­tung zu: man wehrt sich gegen eine fik­ti­ve „Sprach­po­li­zei“, gegen eine als Zen­sur erleb­te „Poli­ti­cal Cor­rect­ness“ (obwohl Mei­nungs­frei­heit herrscht, solan­ge nicht gegen bestimm­te Geset­ze ver­sto­ßen wird).

3) Die Gren­zen des Sag­ba­ren haben sich signi­fi­kant ver­scho­ben; der­art kommt und kam es zu einer Nor­ma­li­sie­rung von und Gewöh­nung an rechts­extre­me, ehe­mals tabui­sier­te Inhal­te und Begrif­fe. Inten­tio­na­le Pro­vo­ka­tio­nen und Tabu­brü­che von Politiker*innen wie Ver­het­zung, anti­se­mi­ti­sche und anti-mus­li­mi­sche Äuße­run­gen, Anspie­lun­gen auf Nazi-Jar­gon bzw. des­sen Euphe­mi­sie­rung füh­ren trotz ent­spre­chen­der Empö­rung zu einem Gewöh­nungs­ef­fekt (z.B.„Aus­rei­se­zen­trum“, „Rück­kehr­zen­trum“, „Siche­rungs­haft“ usw.).

4) Sor­os, Sil­ber­stein und Roth­schild die­nen als anti­se­mi­ti­sche Feind­bil­der, auf die alle Pro­ble­me pro­ji­ziert wer­den kön­nen. Hin­zu kommt, dass anti­mus­li­mi­sche Vor­ur­tei­le mit anti­se­mi­ti­schen ver­knüpft wer­den (z.B. Sor­os ste­he hin­ter der soge­nann­ten „Inva­si­on“ soge­nann­ter „ille­ga­ler Migran­ten“ in die USA und nach Europa).

5) Die Aus­höh­lung demo­kra­ti­scher Insti­tu­tio­nen, die schlei­chen­de, aber häu­fi­ge und sys­te­ma­ti­sche Umde­fi­nie­rung bzw. sogar Ableh­nung demo­kra­ti­scher Pro­ze­du­ren (wie etwa die Nicht­be­ant­wor­tung par­la­men­ta­ri­scher Anfra­gen, das Ver­nach­läs­si­gen von Gut­ach­ten zu Geset­zes­ent­wür­fen, Ein­schüch­te­rungs­ver­su­che und ein Unter­gra­ben der Pres­se­frei­heit sowie Atta­cken auf die unab­hän­gi­ge Justiz)

"Einer, der unsere Sprache spricht" Haider 1999, hier Kickl und Kurz 2019

„Einer, der unse­re Spra­che spricht” Hai­der 1999, hier Kickl und Kurz 2019

Ruth Wod­ak ist eme­ri­tier­te distin­gu­is­hed Pro­fes­sor für Dis­kurs­for­schung an der Lan­cas­ter Uni­ver­si­ty (UK) und für Ange­wand­te Lin­gu­is­tik an der Uni­ver­si­tät Wien. Sie hat 1974 an eben die­ser pro­mo­viert und 1980 habi­li­tiert. Sie ist Trä­ge­rin des Witt­gen­stein Prei­ses für Eli­te­wis­sen­schaft­ler (1996), des Gro­ßen Sil­ber­nen Ehren­kreuz für Ver­diens­te um die Repu­blik Öster­reich (2011); 2010 erhielt sie ein Ehren­dok­to­rat der Uni­ver­si­tät Öre­b­ro (Schwe­den). 2018 wur­de sie mit dem Lebens­werk Preis des Frau­en­mi­nis­te­ri­ums aus­ge­zeich­net. Zahl­rei­che Gast­pro­fes­su­ren (z.B., in den USA, Schwe­den, UK, Malay­si­en). 2017 hat­te sie den Wil­li Brandt Chair (Mal­mö) inne; 2019 war sie seni­or fel­low am IWM. Sie ist Mit­glied der Aca­de­mia Euro­paea und der Bri­tish Aca­de­my of Social Sci­en­ces. Ihre For­schungs­tä­tig­kei­ten umfas­sen kri­ti­sche Dis­kurs­for­schung, Spra­che und Poli­tik (Popu­lis­mus­for­schung), Iden­ti­täts- und Ver­gan­gen­heits­po­li­tik, Gen­der Stu­dies, Migra­ti­ons­for­schung und lin­gu­is­ti­sche Vor­ur­teils­for­schung zu Ras­sis­mus sowie Antisemitismus.

Ausgewählte Publikationen zum Thema:

Wod­ak, Ruth (2015a): Poli­tics of Fear: What Right-Wing Popu­list Dis­cour­ses Mean. Lon­don, UK: Sage (auf Deutsch 2016: Poli­tik mit der Angst: Zur Wir­kung rechts­po­pu­lis­ti­scher Dis­kur­se. Berlin/Wien: Konturen).
Wod­ak, Ruth (2015b): Nor­ma­li­sie­rung nach Rechts: Poli­ti­scher Dis­kurs im Span­nungs­feld von Neo­li­be­ra­lis­mus, Popu­lis­mus und Kri­ti­scher Öffent­lich­keit. Lin­gu­is­tik Online Jg.73/4, S. 27–44.
Wod­ak, Ruth (2017a): The ‘Estab­lish­ment’, the ‘Éli­tes’, and the ‘Peo­p­le’: Who’s who? Jour­nal of Lan­guage and Poli­tics Jg. 16/4, S. 471–484.
Wod­ak, Ruth (2017b): Vom Rand in die Mit­te – „Scham­lo­se Nor­ma­li­sie­rung“. Poli­ti­sche Vier­tel­jah­res­schrif­ten Jg. 59/2, S. 323–336.
Wod­ak, Ruth (2019): Ente­ring the ‘Post-Shame Era’ – the Rise of Illi­be­ral Demo­cra­cy, Popu­lism and Neo-Aut­ho­ri­ta­ria­nism in EU-rope: The case of the tur­quoi­se-blue govern­ment in Aus­tria 2017/2018. Glo­bal Dis­cour­se. Jg. 9/1, S. 195–213, doi:10.1332/204378919X15470487645420
Beve­lan­der, Pieter/Wodak, Ruth (Hrsg.) (2019): Euro­pe at the Cross­roads. Göte­borg: Nordicum