Als „Gefährder“ gilt für die deutschen Sicherheitsbehörden eine extremistische Person, der man zutraut, jederzeit einen Anschlag zu begehen oder zu planen. Unter den geschätzten 12.700 Rechtsextremisten in Deutschland soll es nur eine Zahl von 43 „Gefährdern“ geben, während die Zahl der islamistischen Gefährder im jihadistisch-salafistischen Spektrum (rund 12.000 Personen) auf 700 geschätzt wird. Dass das Gewaltpotenzial bei den Rechtsextremisten so gravierend niedriger ist als bei den Jihadisten, das glaubt selbst das BKA nicht wirklich und will sich deshalb jetzt mit einem „Radar rechts“ auf die Suche nach den rechten Terroristen bzw. Gefährdern machen.
Den österreichischen Sicherheitsbehörden ist der (rechtsextreme) Gefährder bislang überhaupt unbekannt. Im BVT-Verfassungssschutzbericht für 2018 wird der Begriff ein einziges Mal ohne nähere Erklärung und Bedeutung in einem Fachbeitrag über die Gülen-Bewegung in der Türkei erwähnt (S. 52), und das aus der Perspektive der türkischen Behörden. Terrorismus wird explizit nur im islamistischen Spektrum verortet, dem „Cyber Security Center“ im BVT werden Aufgaben wie die Abwehr von Bedrohungen bzw. Angriffen auf öffentliche Einrichtungen und Infrastruktur zugeschrieben.
Dabei, das zeigen die jüngsten rechtsextremen Terroranschläge (München, Christchurch, Poway, El Paso, Halle) deutlich, wäre es wichtig, sich intensiv mit dem virtuell vernetzten Rechtsterrorismus auseinanderzusetzen, der sich nicht primär in den großen sozialen Netzwerken, sondern in Messenger-Diensten wie Telegram, Gamerplattformen wie Steam und Discord, Imageboards wie 4chan, Kohlchan, EndChan, iFunny und 8chan (mittlerweile vom Netz genommen) oder auf Encyclopedia Dramatica abspielt.
Dort gibt es Foren, in denen sich eine brutalisierte Amok-Fanszene über Attentate, deren Planung und Mittel und auch über deren „Erfolg“ oder „Misserfolg“ austauscht. Wie die „taz“ und auch das Magazin Frontal 21 im ZDF berichten, wurde der Attentäter von Halle ziemlich unmittelbar nach der Tat in diesen braunen Keller-Foren vorwiegend kritisiert: „Seine Tat sei zu dilletantisch gewesen“ (taz) oder „Juden zu erschießen, ist eine großartige Idee, nur die Ausführung war etwas armselig“.
Das „Antifaschistische Info-Blatt“ (AIB Nr. 124) beschäftigt sich in einem ausgezeichneten und kenntnisreichen Beitrag, der wenige Tage vor Halle publiziert wurde, mit dem virtuell vernetzten Rechtsterrorismus und schreibt dazu:
Auf ‚Encyclopedia Dramatica’ (ED) gibt es Highscore-Tabellen für Amoktäter, Attentäter und Terroristen. Die Tabelle ‚First Person Shooter(FPS)/Single Player’ wird von Breivik mit Platz 1 angeführt. Brenton Tarrant belegt Platz 4. Beide Rechtsterroristen haben ausführliche Einträge, in denen deren Propagandamaterial wie Manifeste, Fotos und Videos weiter verbreitet werden.
Im deutschsprachigen wikipedia-Eintrag wird ED als „werbefinanziertes englischsprachiges Satirewiki“ verharmlost. Das liest sich dann so: „Solche potentiell beleidigenden, verletzenden oder schockierenden Inhalte sind dabei ein zentraler Aspekt, da ihre humoristische Wirkung mitunter aus der Schadenfreude über wütendende (sic!) Reaktionen erboster Leser resultiert.“
Fakt ist, dass die Beiträge auf ED nur so strotzen von homophoben, rassistischen, antisemitischen und sexistischen Beleidigungen und dieser Dreck dann als „Satire“ verkauft wird. Das „AIB“ dazu:
Nach dem Anschlag von München verfasste William Atchison als Admin in dem Wikipedia nachempfundenen Szenen-Wiki ‚Encyclopedia Dramatica’ einen lobenden Eintrag über Sonboly. Im Jahr darauf, am 7. Dezember 2017, ermordete der 21-jährige Atchison bei einem Schulattentat an der High School in Aztec (New Mexico/USA) zwei Schüler hispano-amerikanischer Herkunft. Sein Plan, ein größeres Blutbad anzurichten, scheiterte. Nach Ankunft der Polizei erschoss er sich selbst.
Stephan B., der Attentäter von Halle, hat seine politische Radikalisierung offensichtlich weitgehend in diesen Internet-Foren vollzogen. Die „taz“:
Auch in Sicherheitskreisen wird beteuert, dass Stephan B. politisch bisher nicht auffällig gewesen und in keiner Datei gelistet worden sei. Es bleibt: ein Abiturient, abgebrochenes Chemiestudium, ein Einzelgänger. Sein Vater sagt der Bild, sein Sohn habe immer gehadert und anderen die Schuld gegeben. „Der Junge war nur online.“
Das ZDF-Magazin „Frontal 21” vom 15.10. hat zwar eine Spur von Stephan B. zu einem von der NPD organisierten Rechtsrock-Konzert in Leipzig entdeckt, aber das ist nur ein Indiz dafür, dass er nicht ausschließlich in den virtuellen Räumen antisemitisch und rechtsextrem unterwegs war, sondern auch im real life. Eine andere Spur von „Frontal 21“ wäre vermutlich ergiebiger. Demnach hat Stephan B. seine Terrorattacke zwar über die Gamer-Plattform Twitch live gestreamt, aber wesentliche Vorbereitungsarbeiten sowie seine Schusswaffen-Baupläne in ein Subforum der Plattform meguca.org gestellt und vermutlich dort auch diskutiert. Der Betreiber von meguca.org hat mittlerweile seine Website vom Netz genommen. Ob die deutschen Sicherheitsbehörden Kenntnis von diesem Forum hatten oder zumindest nach dem Attentat die Daten gesichert haben, wurde dem Magazin nicht beantwortet.
Die bisherige Ignoranz gegenüber den braunen Kellerforen hatte tödliche Folgen. Es wäre daher höchste Zeit, diese Foren zu schließen, ihnen die Infrastruktur zu entziehen. Hallo EU, wo bist Du?