Rechtsextremer Terror aus dem virtuellen Keller

Lesezeit: 5 Minuten

In Deutsch­land herrscht Zer­knir­schung bei den Sicher­heits­be­hör­den nach dem Ter­ror­at­ten­tat von Hal­le. Jetzt, aber jetzt wirk­lich, wür­de man den rechts­extre­men Ter­ror nicht län­ger unter­schät­zen, son­dern ener­gisch dage­gen vor­ge­hen wol­len. Die Plat­te wur­de schon oft abge­spielt in den letz­ten Jah­ren: nach der Ent­de­ckung des NSU (2011), nach dem Ter­ror­an­schlag im Olym­pia-Ein­kaufs­zen­trum Mün­chen (2016), nach dem Mord an Wal­ter Lüb­cke (2019) usw. Aktu­ell hat das Bun­des­kri­mi­nal­amt (BKA) eine neue Lage­be­wer­tung vor­ge­nom­men: 43 Rechts­extre­me wur­den als „Gefähr­der“ gelis­tet. Da sind aber die „vir­tu­el­len“ Ter­ro­ris­ten und vie­le ande­re Rechts­extre­me noch nicht dabei.

Als „Gefähr­der“ gilt für die deut­schen Sicher­heits­be­hör­den eine extre­mis­ti­sche Per­son, der man zutraut, jeder­zeit einen Anschlag zu bege­hen oder zu pla­nen. Unter den geschätz­ten 12.700 Rechts­extre­mis­ten in Deutsch­land soll es nur eine Zahl von 43 „Gefähr­dern“ geben, wäh­rend die Zahl der isla­mis­ti­schen Gefähr­der im jiha­dis­tisch-sala­fis­ti­schen Spek­trum (rund 12.000 Per­so­nen) auf 700 geschätzt wird. Dass das Gewalt­po­ten­zi­al bei den Rechts­extre­mis­ten so gra­vie­rend nied­ri­ger ist als bei den Jiha­dis­ten, das glaubt selbst das BKA nicht wirk­lich und will sich des­halb jetzt mit einem „Radar rechts“ auf die Suche nach den rech­ten Ter­ro­ris­ten bzw. Gefähr­dern machen.

Den öster­rei­chi­schen Sicher­heits­be­hör­den ist der (rechts­extre­me) Gefähr­der bis­lang über­haupt unbe­kannt. Im BVT-Ver­fas­sungs­s­schutz­be­richt für 2018 wird der Begriff ein ein­zi­ges Mal ohne nähe­re Erklä­rung und Bedeu­tung in einem Fach­bei­trag über die Gülen-Bewe­gung in der Tür­kei erwähnt (S. 52), und das aus der Per­spek­ti­ve der tür­ki­schen Behör­den. Ter­ro­ris­mus wird expli­zit nur im isla­mis­ti­schen Spek­trum ver­or­tet, dem „Cyber Secu­ri­ty Cen­ter“ im BVT wer­den Auf­ga­ben wie die Abwehr von Bedro­hun­gen bzw. Angrif­fen auf öffent­li­che Ein­rich­tun­gen und Infra­struk­tur zugeschrieben.

Dabei, das zei­gen die jüngs­ten rechts­extre­men Ter­ror­an­schlä­ge (Mün­chen, Christ­church, Poway, El Paso, Hal­le) deut­lich, wäre es wich­tig, sich inten­siv mit dem vir­tu­ell ver­netz­ten Rechts­ter­ro­ris­mus aus­ein­an­der­zu­set­zen, der sich nicht pri­mär in den gro­ßen sozia­len Netz­wer­ken, son­dern in Mes­sen­ger-Diens­ten wie Tele­gram, Gamer­platt­for­men wie Steam und Dis­cord, Image­boards wie 4chan, Kohl­chan, End­Chan, iFun­ny und 8chan (mitt­ler­wei­le vom Netz genom­men) oder auf Ency­clo­pe­dia Dra­ma­ti­ca abspielt.

Bekennerschreiben des Halle-Attentäters mit Präsentation seiner Waffen mit technischen Angaben (Screenshot Video Frontal 21)

Beken­ner­schrei­ben des Hal­le-Atten­tä­ters mit Prä­sen­ta­ti­on sei­ner Waf­fen mit tech­ni­schen Anga­ben (Screen­shot Video Fron­tal 21)

Dort gibt es Foren, in denen sich eine bru­ta­li­sier­te Amok-Fan­sze­ne über Atten­ta­te, deren Pla­nung und Mit­tel und auch über deren „Erfolg“ oder „Miss­erfolg“ aus­tauscht. Wie die „taz“ und auch das Maga­zin Fron­tal 21 im ZDF berich­ten, wur­de der Atten­tä­ter von Hal­le ziem­lich unmit­tel­bar nach der Tat in die­sen brau­nen Kel­ler-Foren vor­wie­gend kri­ti­siert: „Sei­ne Tat sei zu dil­le­tan­tisch gewe­sen“ (taz) oder „Juden zu erschie­ßen, ist eine groß­ar­ti­ge Idee, nur die Aus­füh­rung war etwas arm­se­lig“.

Rechtsextreme Kommentare zur Terrorattacke von Stephan B. (Screenshot Video Frontal 21)

Rechts­extre­me Kom­men­ta­re zur Ter­ror­at­ta­cke von Ste­phan B. (Screen­shot Video Fron­tal 21)

Das „Anti­fa­schis­ti­sche Info-Blatt“ (AIB Nr. 124) beschäf­tigt sich in einem aus­ge­zeich­ne­ten und kennt­nis­rei­chen Bei­trag, der weni­ge Tage vor Hal­le publi­ziert wur­de, mit dem vir­tu­ell ver­netz­ten Rechts­ter­ro­ris­mus und schreibt dazu:

Auf ‚Ency­clo­pe­dia Dra­ma­ti­ca’ (ED) gibt es High­score-Tabel­len für Amok­tä­ter, Atten­tä­ter und Ter­ro­ris­ten. Die Tabel­le ‚First Per­son Shooter(FPS)/Single Play­er’ wird von Brei­vik mit Platz 1 ange­führt. Bren­ton Tar­rant belegt Platz 4. Bei­de Rechts­ter­ro­ris­ten haben aus­führ­li­che Ein­trä­ge, in denen deren Pro­pa­gan­da­ma­te­ri­al wie Mani­fes­te, Fotos und Vide­os wei­ter ver­brei­tet werden.“

Im deutsch­spra­chi­gen wiki­pe­dia-Ein­trag wird ED als „wer­be­fi­nan­zier­tes eng­lisch­spra­chi­ges Sati­rewi­ki“ ver­harm­lost. Das liest sich dann so: „Sol­che poten­ti­ell belei­di­gen­den, ver­let­zen­den oder scho­ckie­ren­den Inhal­te sind dabei ein zen­tra­ler Aspekt, da ihre humo­ris­ti­sche Wir­kung mit­un­ter aus der Scha­den­freu­de über wüten­den­de (sic!) Reak­tio­nen erbos­ter Leser resultiert.“

antisemitische Einträge auf ED

anti­se­mi­ti­sche Ein­trä­ge auf ED

Fakt ist, dass die Bei­trä­ge auf ED nur so strot­zen von homo­pho­ben, ras­sis­ti­schen, anti­se­mi­ti­schen und sexis­ti­schen Belei­di­gun­gen und die­ser Dreck dann als „Sati­re“ ver­kauft wird. Das „AIB“ dazu:

Nach dem Anschlag von Mün­chen ver­fass­te Wil­liam Atchison als Admin in dem Wiki­pe­dia nach­emp­fun­de­nen Sze­nen-Wiki ‚Ency­clo­pe­dia Dra­ma­ti­ca’ einen loben­den Ein­trag über Son­bo­ly. Im Jahr dar­auf, am 7. Dezem­ber 2017, ermor­de­te der 21-jäh­ri­ge Atchison bei einem Schul­at­ten­tat an der High School in Aztec (New Mexico/USA) zwei Schü­ler his­pa­no-ame­ri­ka­ni­scher Her­kunft. Sein Plan, ein grö­ße­res Blut­bad anzu­rich­ten, schei­ter­te. Nach Ankunft der Poli­zei erschoss er sich selbst.“

Ste­phan B., der Atten­tä­ter von Hal­le, hat sei­ne poli­ti­sche Radi­ka­li­sie­rung offen­sicht­lich weit­ge­hend in die­sen Inter­net-Foren voll­zo­gen. Die „taz“:

Auch in Sicher­heits­krei­sen wird beteu­ert, dass Ste­phan B. poli­tisch bis­her nicht auf­fäl­lig gewe­sen und in kei­ner Datei gelis­tet wor­den sei. Es bleibt: ein Abitu­ri­ent, abge­bro­che­nes Che­mie­stu­di­um, ein Ein­zel­gän­ger. Sein Vater sagt der Bild, sein Sohn habe immer geha­dert und ande­ren die Schuld gege­ben. ‚Der Jun­ge war nur online.’“

Widerlicher Antisemitismus auf 4chan

Wider­li­cher Anti­se­mi­tis­mus auf 4chan

Das ZDF-Maga­zin Fron­tal 21 vom 15.10. hat zwar eine Spur von Ste­phan B. zu einem von der NPD orga­ni­sier­ten Rechts­rock-Kon­zert in Leip­zig ent­deckt, aber das ist nur ein Indiz dafür, dass er nicht aus­schließ­lich in den vir­tu­el­len Räu­men anti­se­mi­tisch und rechts­extrem unter­wegs war, son­dern auch im real life. Eine ande­re Spur von „Fron­tal 21“ wäre ver­mut­lich ergie­bi­ger. Dem­nach hat Ste­phan B. sei­ne Ter­ror­at­ta­cke zwar über die Gamer-Platt­form Twitch live gestreamt, aber wesent­li­che Vor­be­rei­tungs­ar­bei­ten sowie sei­ne Schuss­waf­fen-Bau­plä­ne in ein Sub­fo­rum der Platt­form meguca.org gestellt und ver­mut­lich dort auch dis­ku­tiert. Der Betrei­ber von meguca.org hat mitt­ler­wei­le sei­ne Web­site vom Netz genom­men. Ob die deut­schen Sicher­heits­be­hör­den Kennt­nis von die­sem Forum hat­ten oder zumin­dest nach dem Atten­tat die Daten gesi­chert haben, wur­de dem Maga­zin nicht beantwortet.

Die bis­he­ri­ge Igno­ranz gegen­über den brau­nen Kel­ler­fo­ren hat­te töd­li­che Fol­gen. Es wäre daher höchs­te Zeit, die­se Foren zu schlie­ßen, ihnen die Infra­struk­tur zu ent­zie­hen, den Saft abzu­dre­hen. Hal­lo EU, wo bist Du?

52.802 User nennen sich auf Steam "Hitler" (Tweet 16.10.19)

52.802 User nen­nen sich auf Steam „Hit­ler” (Tweet 16.10.19)