Über den Populismus und seine Steigbügelhalter

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Der Popu­lis­mus als Kampf- oder Schimpf­be­griff, um miss­lie­bi­ge poli­ti­sche Posi­tio­nen zu denun­zie­ren, ist sehr geläu­fig, hat aber mit einem wis­sen­schaft­lich fun­dier­ten Popu­lis­mus­be­griff wenig bis gar nichts gemein. Auch die in Öster­reich gebräuch­li­che Ver­nied­li­chung ras­sis­ti­scher und völ­ki­scher Posi­tio­nen zu einem smar­ten Rechts­po­pu­lis­mus ist pro­ble­ma­tisch. Jan-Wer­ner Mül­ler („Was ist Popu­lis­mus“, edi­ti­on suhr­kamp) ist einer der weni­gen Wis­sen­schaf­ter, die den schon ziem­lich abge­dro­sche­nen Begriff noch inhalt­lich auf­la­den und so für eine Ana­ly­se nutz­bar machen können.

Wenn die einen (etwa die deut­sche Sozi­al­de­mo­kra­tie) höhe­re Min­dest­löh­ne for­dern, um damit Popu­lis­mus bekämp­fen zu wol­len und die ande­ren die­se For­de­rung als popu­lis­tisch wer­ten, dann lie­gen bei­de dane­ben. Wenn im media­len Dis­kurs in Öster­reich der „Ras­sem­blem­ent Natio­nal“ von Mari­ne Le Pen und die Lega von Matteo Sal­vi­ni in der Regel als rechts­extrem ein­ge­stuft wer­den, wäh­rend die FPÖ fast immer als rechts­po­pu­lis­tisch eti­ket­tiert wird, dann muss man sich wohl die Fra­ge stel­len, aus wel­chen Grün­den die­se Par­tei­en so unter­schied­lich bewer­tet werden.

Kern einer wis­sen­schaft­li­chen Popu­lis­mus­de­fi­ni­ti­on ist der anti­plu­ra­lis­ti­sche Ansatz, und es sind nicht die ein­fa­chen (zumeist aber fal­schen) Lösun­gen oder Paro­len. Popu­lis­ten sehen sich als die Ver­tre­ter eines homo­gen ima­gi­nier­ten Vol­kes im Kampf gegen eine Eli­te. Der deut­sche Thea­ter­wis­sen­schaf­ter und poli­ti­sche Akti­vist („Auf­ste­hen“), Bernd Ste­ge­mann, liegt daher mit sei­ner Vor­stel­lung von „libe­ra­lem“ Popu­lis­mus, den er bei Ange­la Mer­kel (CDU) und Robert Habeck (Grü­ne) rea­li­siert sieht, weil sie ihre angeb­lich alter­na­tiv­lo­sen Wahr­hei­ten so gut ver­kau­fen, kata­stro­phal dane­ben. Stegemann:

Wer den Anschein erweckt, das, was er sage, sei die rei­ne, alter­na­tiv­lo­se Wahr­heit, den kann man nicht mehr wirk­lich kri­ti­sie­ren. Das ist der Imprä­gnie­rungs­ef­fekt, von dem die Grü­nen und Frau Mer­kel momen­tan pro­fi­tie­ren. Wer sie kri­ti­siert, kippt auf die mora­lisch böse Sei­te.“ (NZZ, 8.1.19)

Ganz anders dage­gen Jan-Wer­ner Mül­ler, eben­falls in der NZZ (11.6.19):

Das Ent­schei­den­de – und Gefähr­li­che – am Popu­lis­mus ist also nicht das Ver­dachts­mo­ment gegen­über Eli­ten (jeder Bür­ger darf die Mäch­ti­gen kri­ti­sie­ren – was nicht heisst, dass sol­che Kri­tik immer gerecht­fer­tigt ist). Pro­ble­ma­tisch ist der Anti­plu­ra­lis­mus, die Ten­denz, ande­re aus­zu­schlies­sen. Das geschieht offen­sicht­lich auf der Ebe­ne der Par­tei­po­li­tik und weni­ger offen­sicht­lich, wenn Popu­lis­ten Tei­le des Vol­kes – mit Vor­lie­be auch ohne­hin schon ver­letz­li­che Min­der­hei­ten – für «unecht» (oder gar gleich zu Volks­ver­rä­tern) erklä­ren.“

Mül­ler geht aber noch einen ganz ent­schei­den­den Schritt wei­ter: „Fatal ist nun die weit­ver­brei­te­te Schluss­fol­ge­rung, die Wäh­ler von popu­lis­ti­schen Par­tei­en sei­en auch alle not­wen­di­ger­wei­se Anti­plu­ra­lis­ten.“

Damit greift Mül­ler die zen­tra­le The­se popu­lis­ti­scher Poli­ti­ker an, wonach es eine abso­lu­te Über­ein­stim­mung zwi­schen ihren Posi­tio­nen und denen des von ihnen ver­tre­te­nen „Vol­kes“ gäbe. Am Bei­spiel der AfD belegt Mül­ler durch Umfra­gen, dass bis zu 50 Pro­zent ihrer Wäh­le­rIn­nen die Par­tei aus Pro­test wäh­len und vie­le ihr nicht ein­mal bei ihrem Lieb­lings­the­ma Flücht­lin­ge Lösungs­kom­pe­tenz zubilligen.

Wer also die Wäh­le­rIn­nen rechts­po­pu­lis­ti­scher oder ‑extre­mer Par­tei­en gleich­setzt mit ihren Chefs, sie eben­so abwer­tet, ihnen nicht ein­mal ein Mini­mum an Wert­schät­zung zubil­ligt, liegt nicht nur in der Ana­ly­se falsch, son­dern beför­dert sogar das Geschäft der Rechts­po­pu­lis­ten. Mül­ler illus­triert das sehr gut an den kata­stro­pha­len Aus­sa­gen von Hil­la­ry Clin­ton über die Trump-WählerInnen:

Man wirft Hil­la­ry Clin­ton bis heu­te vor, sie habe Donald Trump eine Steil­vor­la­ge gelie­fert (und die The­se von der Arro­ganz der libe­ra­len Eli­te aufs Unschöns­te bestä­tigt), als sie zumin­dest eini­ge sei­ner Anhän­ger als «erbärm­lich» bezeich­ne­te. Das eigent­lich Skan­da­lö­se an ihrer Rede war aber die Aus­sa­ge de haut en bas, die­se Leu­te sei­en schlicht «nicht zu ret­ten». Man darf Trump-Wäh­ler durch­aus mit har­ten Ban­da­gen kri­ti­sie­ren; zutiefst unde­mo­kra­tisch ist jedoch die Hal­tung, wonach eini­ge Leu­te halt ein­fach abge­schrie­ben wer­den müss­ten. Sicher­lich ist es naiv, zu mei­nen, man kön­ne letzt­lich mit jedem einen pro­duk­ti­ven Dis­kurs füh­ren – aber zumin­dest pro­bie­ren muss man es immer wie­der. Von der Annah­me, dass jeder sein poli­ti­sches Urteil auch wie­der ändern kann (und Min­der­hei­ten zu Mehr­hei­ten wer­den kön­nen und umge­kehrt), lebt die Demo­kra­tie.“

Sehr ähn­li­che Aus­sa­gen trifft übri­gens die Regis­seu­rin der der­zeit in den öster­rei­chi­schen Kinos lau­fen­den Doku „Inland“, Ulli Gla­dik, im „pro­fil“ (28.4.19):

„pro­fil: Sie leh­nen nur rechts­po­pu­lis­ti­sche Poli­ti­ker ab, nicht aber ihre Wähler?
Gla­dik: Ich leh­ne die ab, die aus die­ser Poli­tik Nut­zen zie­hen. Die Res­sen­ti­ments schü­ren, Lügen ver­brei­ten, Öl ins Feu­er gie­ßen. Das sind die Geg­ner.“

Der Auf­stieg der Rechts­po­pu­lis­ten und Rechts­extre­men ist nicht unauf­halt­sam, so Mül­ler. Wirk­lich gefähr­lich wird es dann, wenn die ver­meint­li­che poli­ti­sche Mit­te kippt, den Steig­bü­gel­hal­ter gibt oder rote Lini­en zieht, die dann immer wie­der ver­scho­ben werden:

Wo Kon­ser­va­ti­ve und Christ­lich­de­mo­kra­ten sich dezi­diert gegen eine sol­che Kol­la­bo­ra­ti­on ent­schie­den, konn­ten die Rechts­po­pu­lis­ten auch nicht tri­um­phie­ren – man den­ke an die für vie­le über­ra­schen­de Nie­der­la­ge des volks­tüm­lich-jun­gen Nor­bert Hofer gegen den in die Jah­re gekom­me­nen grü­nen Wirt­schafts­pro­fes­sor Alex­an­der Van der Bel­len bei der öster­rei­chi­schen Bun­des­prä­si­den­ten­wahl 2016. Es war die ers­te wich­ti­ge poli­ti­sche Ent­schei­dung nach Trumps Wahl­sieg, und bereits hier trat der von vie­len erwar­te­te Domi­no­ef­fekt nicht ein.

Das Gefähr­li­che für die Demo­kra­tie ist nicht, dass über­all Mehr­hei­ten plötz­lich für Rechts­po­pu­lis­ten optie­ren. Es ist die Tat­sa­che, dass ver­meint­lich gemäs­sig­te Mit­te-rechts-Akteu­re kei­ne Gren­zen mehr ken­nen und mit den Popu­lis­ten kol­la­bo­rie­ren oder auch ein­fach deren Inhal­te kopie­ren. Der CSU-Mann Man­fred Weber hat sich im Euro­pa­wahl­kampf als heroi­scher anti­po­pu­lis­ti­scher Kämp­fer dar­ge­stellt. Fakt ist, dass es dem euro­päi­schen Pio­nier der rechts­po­pu­lis­tisch Regie­rungs­kunst, Vik­tor Orban, ohne Webers Unter­stüt­zung nicht so leicht gelun­gen wäre, die unga­ri­sche Demo­kra­tie sys­te­ma­tisch zu demon­tie­ren. Weber zog in den ver­gan­ge­nen Jah­ren immer wie­der «rote Lini­en», über wel­che Orban dann locker hin­weg­schritt.

Das kom­plet­te Refe­rat von Jan-Wer­ner Mül­ler „Was ist am Popu­lis­mus so gefähr­lich?“ ist hier abruf­bar. Mit den Metho­den des Popu­lis­mus hat sich eine Doku­men­ta­ti­on des ZDF auseinandergesetzt.