Wiener Neustadt: Hitler wird doch nicht geliebt

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Am Lan­des­ge­richt Wie­ner Neu­stadt fand am 19.und 20.3. eine Ver­hand­lung wegen Wie­der­be­tä­ti­gung gegen zwei Ange­klag­te statt, die – so der Vor­wurf der Ankla­ge – zwi­schen Jän­ner und Mai 2018 in Wie­ner Neu­stadt und Umge­bung zahl­rei­che Objek­te mit ras­sis­ti­schen und NS-Paro­len bzw. ‑Sym­bo­len beschmiert haben. Der Bericht von der Ver­hand­lung aus Wie­ner Neu­stadt ermög­licht uns eine dif­fe­ren­zier­te Ein­schät­zung (wir suchen für vie­le Stand­or­te von Lan­des­ge­rich­ten Kor­re­spon­den­tIn­nen, die uns von Ver­hand­lun­gen wegen NS-Wie­der­be­tä­ti­gung oder Ver­het­zung usw. berichten).

M. und R. O., ein Brü­der­paar Jahr­gang 1998 bzw. 2000, inter­es­siert sich für den Natio­nal­so­zia­lis­mus. Im Inter­net infor­miert sich M., der Älte­re der bei­den, über die „Welt­herr­schaft der Juden“ und bestellt und liest zahl­rei­che ein­schlä­gi­ge Bücher wie „Pla­net Roth­schild“, neben Hit­lers „Mein Kampf“ und Ver­öf­fent­li­chun­gen David Dukes, des ver­mut­lich pro­mi­nen­tes­ten Neo­na­zis und Holo­caust­leug­ners der USA.

antisemitische Verschwörungstheorie New World Order ("NWO")

anti­se­mi­ti­sche Ver­schwö­rungs­theo­rie New World Order („NWO”)

Mit sei­nem jün­ge­ren Bru­der dis­ku­tiert er die Idee der jüdi­schen Welt­herr­schaft und, man kann es kaum glau­ben, die Fra­ge, ob die Erde eine Schei­be sei. 

Verschwörungstheorie "Flat Earth"

Ver­schwö­rungs­theo­rie „Flat Earth”

Im Zuge ihrer Recher­chen kom­men sie zu der Über­zeu­gung, dass die­se Erkennt­nis­se der Mensch­heit all­ge­mein zugäng­lich gemacht wer­den soll­ten und beschlie­ßen, dies mit Hil­fe von Spray­do­sen durch­zu­füh­ren: grün für Posi­ti­ves wie Heil Hit­ler, Hap­py bir­th­day etc., rot für Nega­ti­ves wie Jew World Order, Kykes etc. Im Zeit­raum April/Mai 2018 besprü­hen sie zahl­rei­che Objek­te im Raum Wr. Neu­stadt, Win­zen­dorf, Guten­stein, Sem­me­ring mit ein­schlä­gi­gen Sym­bo­len und Sprü­chen: Haken­kreu­ze 1,5 X 1,5 m, „Ich lie­be Hit­ler“, „Jew World Order“, „Heil“ u.ä. Zu die­sem Ankla­ge­punkt sind bei­de Brü­der voll­in­halt­lich gestän­dig. Ein spon­ta­ner Besuch im KZ Maut­hau­sen eini­ge Mona­te nach der Haus­durch­su­chung und Ankla­ge habe sie aller­dings geläu­tert und ihnen klar­ge­macht, dass sie auf einem fal­schen Weg waren.

Erschwe­rend kom­men zwei wei­te­re Ankla­ge­punk­te hin­zu: Kör­per­ver­let­zung (M.), Ein­bruchs­dieb­stahl (R.). Che­mie­la­bo­rant M., der­zeit nach ein­ver­nehm­li­cher Auf­lö­sung sei­nes Lehr­ver­hält­nis­ses letz­ten Som­mer ohne Lehr­stel­le, hat eine lan­ge Lei­dens­ge­schich­te hin­ter sich auf­grund einer ange­bo­re­nen Lip­pen-Kie­fer-Gau­men­spal­te, und eine dies­be­züg­li­che Hän­se­lei drei­er Bur­schen lässt ihn zuschla­gen – eine Kopf­nuss. Da die drei betrof­fe­nen Bur­schen in einer betreu­ten WG leben und ihren Betreu­er ver­stän­di­gen, kommt es zur Anzeige.

Etwas kom­pli­zier­ter ist das Ver­ge­hen des HTL-Schü­lers R. zu beur­tei­len: Ein­bruchs­dieb­stahl beim Mann­li­cher Euro­pa Schieß­zen­trum Wie­ner Neu­stadt. Hier blei­ben eini­ge Fra­gen offen. R. erläu­tert, dass er auf der Suche nach Waf­fen (Neu­gier, Lan­ge­wei­le) nachts einen Con­tai­ner auf­ge­bro­chen hät­te – nach­dem die selbst­ge­bas­tel­ten Böl­ler ver­sagt hat­ten, hät­te er in einer nahe gele­ge­nen Werk­statt eine Flex gefun­den, damit den Con­tai­ner geöff­net und zwei Schach­teln Muni­ti­on ent­wen­det, die er auf einer nahe gele­ge­nen Wie­se ver­steckt habe. Ein ein­ver­nom­me­ner Zeu­ge, Ver­ant­wort­li­cher des Schieß­zen­trums, erklär­te aller­dings, dass bei der Über­prü­fung nach Mel­dung des Ein­bruchs durch einen Mit­ar­bei­ter 20 Packun­gen Muni­ti­on zu je 250 Stück im Wert von je 60.- gefehlt hät­ten, die unmög­lich von einer Per­son auf einem Fahr­rad trans­por­tiert hät­ten wer­den kön­nen. Es wur­de auch kein auf­ge­bro­che­nes Schloss am Tat­ort gefun­den. Die auf der Wie­se sicher­ge­stell­te Muni­ti­onspa­ckung sei ganz hin­ten im begeh­ba­ren Con­tai­ner gela­gert gewe­sen, die feh­len­den 20 Packun­gen sei­en in der ers­ten Rei­he gela­gert gewe­sen. Da nicht hun­dert­pro­zen­tig sicher fest­ge­stellt wer­den konn­te, ob die erwähn­te Über­prü­fung ord­nungs­ge­mäß durch­ge­führt wur­de, wur­de die­se Fra­ge jedoch aus der Beweis­füh­rung genom­men. Wo der Ange­klag­te besag­te Flex zur Ver­wen­dung ange­schlos­sen hat­te, wur­de eben­falls nicht hin­ter­fragt. Das Werk­zeug wur­de nicht am Tat­ort gefun­den oder in der Werk­statt vermisst.

Neben Lan­ge­wei­le und Alko­hol („Wir waren am Wochen­en­de immer rela­tiv mit­tel­mä­ßig stark betrun­ken“) wird vom Ver­tei­di­ger vor allem der Vater der Ange­klag­ten als Ver­ur­sa­cher ihrer Irre­lei­tun­gen bezich­tigt. Als Pazi­fist sei er kei­ne geeig­ne­te Ansprech­per­son für sei­ne Söh­ne gewesen! 

Die Geschwo­re­nen ent­schei­den ein­stim­mig in allen Punk­ten: Da die Ange­klag­ten voll gestän­dig sind und man den jun­gen Erwach­se­nen den Weg in eine posi­ti­ve Zukunft nicht ver­bau­en möch­te, wird der Erst­an­ge­klag­te M. O. zu sechs Mona­ten, der Zweit­an­ge­klag­te R. O. zu 5 Mona­ten, bedingt auf drei Jah­re, ver­ur­teilt. Nicht rechtskräftig.

Bei­de jun­ge Män­ner bekom­men zudem Bewäh­rungs­hil­fe zur Sei­te gestellt, wer­den zu Psy­cho­the­ra­pie ver­pflich­tet, eben­so natür­lich zur finan­zi­el­len Wie­der­gut­ma­chung des ange­rich­te­ten Scha­dens. Ca. 1500.- sind sofort zu bezah­len, der Rest wird auf den Zivil­rechts­weg ver­wie­sen. Allein die ÖBB bezif­fert den Scha­den mit 9000.-, von diver­sen Gemein­den lie­gen noch kei­ne Schät­zun­gen vor.