Rassismus – Biologismus II
Manchmal variiert Karin Kneissl ihr biologistisches Hauptmotiv auch ein bisschen in Richtung Demographie (und Rassismus): So behauptet sie etwa 2016 in den Salzburger Nachrichten, der Hauptgrund für die arabischen Revolutionen sei die dortige „Bevölkerungsexplosion“ gewesen.
Zur Biologie kommt also ergänzend die Demographie dazu. Damit scheint die Weltformel gefunden zu sein, insbesondere bezüglich der „Flüchtlingswelle“. Der demographische Aspekt (der „Männerüberschuss“ bei Flüchtlingen) und die biologistische Behauptung (Testosteron als eigentlicher Antrieb) machen das Furchtbild perfekt: Die hormongesteuerten Männerhorden überfluten uns. Der Einfachheit halber verschwindet alles, was bezüglich dieses Themas tatsächlich zählt – z.B. gesellschaftliche Verhältnisse, politische Zusammenhänge, Krieg, Terror, kulturelle Prägungen und ökonomische Bedingungen – völlig aus dem Blickfeld: Es bleiben nur biologische Tatsachen und demographische Entwicklungen. Das macht die Analyse einfach und den Ausblick düster. So orakelt Kneissl 2016 in der Presse: Deutschland stehe aufgrund der Flüchtlingskrise „an der Kippe“ (was immer das heißen mag); „privat organisierte Sicherheitstrupps“ könnten wachsen; China könnte „seinen Männerüberschuss als Kanonenfutter in einem Kriegsgang im pazifischen Raum wieder loswerden“. Diese schauerlichen Vorhersagen (based on absolutely nothing), verdichten sich schließlich zur Prophezeiung des Zusammenbruchs: „Es ist schon eine Ironie der Geschichte, wie Deutschland zum dritten Mal binnen eines Jahrhunderts Europa in den Zerfall führt.“ Mit diesem Satz endet der Artikel in der Presse, und Kneissl lässt ihn feigerweise von „einer englischen Bekannten“ sagen, womöglich damit ihr die infame Gleichsetzung der gegenwärtigen deutschen Asylpolitik mit dem Nationalsozialismus später nicht in den Mund gelegt werden kann. Diese Spitze der Geschmacklosigkeit unterbietet das übliche FPÖ-Niveau beinahe. Niveau Marke Mölzer, könnte man sagen.

Auch in ihrem neuen Buch „Wachablöse“ (2017) – das bei dem obskuren Stronach-Verlag „Frank&Frei“ erschienen ist – spielt sie auf dieser Klaviatur. Diesmal geht es um China und das Buch endet mit ein paar „Empfehlungen“. So plädiert sie bezüglich der Stärkung von geopolitischem Handeln und Denken dafür, sich wieder mehr auf „Geographie und Biologie“ (S. 103) zu besinnen, denn diese seien keine „Konstrukte, die es zu zerlegen gelte“ (ebd.), wie man uns seit 1968 weis machen will. Vielmehr müssten an unseren Schulen wieder „Geschichtsgrundlagen, frei von ideologischer Verbrämung“ (ebd.) gelehrt werden. Das ist ein toxischer Mix aus Anklängen und latenten Bezugnahmen: Ein bisschen Geschichtsrevisionismus, ein bisschen Biologismus, eine Prise Ressentiment gegen das Schlagwort 68 – alles nicht so ganz ausformuliert, aber die Botschaft kommt wohl trotzdem an (siehe dazu auch bei Mosaik-Blog).
Zionismus als „Blut- und Bodenideologie“
In ihrem Buch „Mein Naher Osten“ (2014) beschreibt Kneissl den Zionismus, wie ihn sich „Israels ‚Gründungsvater’ David Ben-Gurion erträumt hatte“ (S. 48), mit folgenden Worten: „Die gleichsam an den deutschen Nationalismus angelehnte Blut-und-Boden-Ideologie sollte also auch hier [in Israel] einen Homo novus, einen neuen Menschen, schaffen.“ (ebd.)
In einem Interview mit dem ORF-Report grenzt Kneissl sich von dem naheliegenden Vorwurf, sie vergleiche den Zionismus mit dem Nationalsozialismus ab. Denn sie habe eigentlich vom „deutschen Nationalismus des 19. Jahrhunderts“ gesprochen, nicht vom NS-Nationalismus, ihre Aussage werde aus dem Zusammenhang gerissen. Das ist ein schales Ausweichmanöver und v.a. immer noch falsch, denn der deutsche Nationalismus des 19. Jahrhunderts bildet eben die völkische und antisemitische Voraussetzung für den Nationalsozialismus. Der staatsbegründende Zionismus von Ben Gurion (auf den Kneissl ihre Aussage ja explizit bezieht) war an Theodor Herzls Vision eines bürgerlichen „Musterstaates“ orientiert und klar säkular, liberal und universalistisch ausgerichtet (vgl. dazu ausführlich Brenner 2016, 128–144) – also weder völkisch noch rassistisch noch „ethnozentrisch“ in irgendeiner Form (siehe etwa mena-watch.com, oder Thomas Schmidinger im Standard).

An die Behauptung, der israelische Zionismus sei eine „Blut-und-Boden-Ideologie“ – und nicht vielmehr eine durch den NS-Vernichtungswahn erzwungene Bewegung eben genau dagegen – fügt Kneissl diesen Satz: „Was ist bloß im letzten langen blutigen 20. Jahrhundert alles in die Brüche gegangen? Kulturen gingen auf so vielfache Weise unter.“ (ebd.) Diese Aussage knüpft in infamer und NS-relativierender Manier an ihre falsche Behauptung an; nach dem Motto: Was ist nicht alles Schlimmes passiert? Zuerst die Shoah und dann auch noch der Zionismus! Kneissls pathetischer Weltschmerz ist ein Paradebeispiel für projektive Schuldabwehr: Zuerst die deutsche Blut-und-Boden-Ideologie, dann die jüdische Blut-und-Boden-Ideologie; was ist nicht alles in die Brüche gegangen!
Ein wohlgesonnener Presse-Artikel im Gefolge ihres Amtsantritts bezeichnet Kneissl als ideologisches „Mischwesen“. Sie selbst bezeichne sich als „konservativen Freigeist“. In die Arme der FPÖ sei sie schließlich durch einen Shitstorm getrieben worden – weil sie im Kontext der Flüchtlingskrise auf den wichtigen Aspekt des Testosterons hingewiesen habe. Ein genauerer Blick zeigt aber ganz klar, dass Kneissl auch vor dem Shitstorm schon gut zur FPÖ gepasst hätte.
Literatur:
Brenner, Michael (2016): Israel. Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates. Von Theodor Herzl bis heute. München: C.H.Beck
Kneissl, Karin (2017): Wachablöse. Auf dem Weg in eine chinesische Weltordnung. Wien: Frank&Frei
Kneissl, Karin (2014): Mein Naher Osten. Wien: Braumüller
Kneissl, Karin (2012): Testosteron Macht Politik. Wien: Braumüller