Die Zutaten scheinen eigentlich wenig spektakulär: Ein Linzer Gemeinderat, Manfred Pühringer postet das Foto einer ÖBB-Werbung auf seinem Facebook-Account. Zu sehen sind: Zwei Männer, darunter einer mit einer dunkleren Hautfarbe und ein Baby. Beworben wird die Family-Card der ÖBB, zu deren Vorzügen es zählt, dass sie Erwachsene – egal in welcher Konstellation – benützen können, solange ein Kind mitfährt. Gute Aktion, es geht schließlich darum, möglichst viele Personen dazu zu animieren, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Die ÖBB bieten eine Reihe von diversen Ermäßigungen für Gruppen an, die Family-Card ist eine davon.
Sehr unwahrscheinlich ist, dass Pühringer dieses Foto, garniert mit den Worten „Ist doch schön oder ?“, deshalb postete, um seiner Freude über das gelungene ÖBB-Sujet Ausdruck zu verleihen. So dauerte es auch nicht lange, bis die Kommentare – Pühringer hat 2.300 FB-„Friends“ – eintrudelten. In der Tonalität vermutlich in der von Pühringer intendierten Art und Weise. Dazu ein Mitglied der Watchdog-Plattform FPÖ-Fails im Chat-Interview: „Wir haben gesehen, dass Pühringer dieses Foto gepostet hat, und uns war klar, dass er damit eine Reihe von negativen Reaktionen Richtung ÖBB auslösen würde. Wir konnten praktisch live beobachten, wie die empörten Kommentare fast im Minutentakt gepostet wurden. Wir erleben das oft so, dass seitens der FPÖ provokante Sujets gepostet werden und die erwartbaren Reaktionen wie vom Pawlow’schen Hund daherkommen.“
Dass es nun einem amtierenden FPÖ-Funktionär, dem Wohnungsstadtrat von Amstetten, vorbehalten bleibt, hier das Lowlight in einer Serie von tiefen Kommentaren zu setzen, indem er eine wüste homophobe und rassistische Beschimpfung absonderte, auf deren Wiedergabe wir hier verzichten, ist durchaus bemerkenswert. Es dürfte die ÖBB nun wenig treffen, dass Stadtrat Weber seine Vorteilscard nun nicht mehr verlängern und die ÖBB boykottieren will. Im Grunde hat sie durch den Vorfall Zuspruch erhalten und die Gelegenheit auch genützt, um ihr Angebot zu bewerben:
Schön, dass ihr über unsere VC Family sprecht. Die Karte ist für Mamas, Papas, Opas, Omas, Tanten, Onkel oder FreundInnen, die mit Kindern unterwegs sind.
Familien gibt es in unterschiedlichsten Konstellationen und das ist gut so ❤️
Gleich bestellen: ???? https://t.co/SQsqLIGW4f pic.twitter.com/5OCa4104c8— ÖBB (@unsereOEBB) 16. August 2018
Stadtrat Weber hat offenbar mit dem auf ihn einprasselnden Shitstorm nicht gerechnet, man(n) fühlte sich schließlich im nicht öffentlichen Posting des Linzer Gemeinderats quasi unter sich. Aber 2.300 potentiell Mitlesende übersteigen den privaten Rahmen deutlich, denn der Straftatbestand der Verhetzung, so definiert es das Gesetz, ist bereits ab einer Öffentlichkeit von 30 Personen gegeben. Weber ist mit seinen politischen Funktionen eine öffentliche Person und muss daher davon ausgehen, dass er als solche wahrgenommen und beurteilt wird. Weber ist nicht nur Stadtrat der FPÖ Amstetten, sondern auch so etwas, was die FPÖ bei anderen Parteien wohl als Ämterkumulierer bezeichnen würde.
Reaktionen gibt es inzwischen unzählige: SPÖ, Grüne und ÖVP in Amstetten fordern Webers Rücktritt, auf Landesebene ebenfalls die NEOS. Und auch der Präsident der Israeltischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, findet scharfe Worte: „’Ein Rücktritt ist fällig’, meinte IKG-Präsident Oskar Deutsch am Donnerstag, und zwar ‚ohne Rückkehrrecht’. Antisemitismus, Rassismus und Homophobie seien ‚keine ‚Meinung’, sondern ‚ein Verbrechen an der Menschlichkeit’.“
Und die FPÖ? Weber hat eine Entschuldigung veröffentlicht, das sei passiert, weil er ein konservativer Familienvater sei, dem das „traditionelle Familienbild“ wichtig ist. Um seiner Entschuldigung Nachdruck zu verleihen, will Weber 1.500.- an „in Not geratene Kinder“ spenden. Seine Amstettner Parteichefin sieht das ganze etwas anders: „’Er ist halt ehrlich’, verteidigt die Amstettner FPÖ-Obfrau Brigitte Kashofer den blauen Stadtrat. ‚In Österreich darf jeder seine Meinung sagen’, meint sie. Mehr sei dazu nicht zu sagen. Rücktrittsaufforderungen wären ‚lächerlich’.“ Nicht überraschend, denn Kasdorfer findet ja auch, dass Frauenhäuser Ehen zerstören.
Wie heftig das Feuer am Dach der FPÖ lodert, zeigt, dass selbst der FPÖ-Generalsekretär und der Klubobmann des blauen Parlamentsklubs – beide aus Niederösterreich – ausgeritten sind, um die Wogen zu glätten. Sie haben mit Weber das Gespräch gesucht, von Rosenkranz setzte es angeblich auch einen schriftlichen Verweis.
Den Vogel schießt aber eindeutig Norbert Hofer als zuständiger Ressortminister für die ÖBB ab: Er verweist darauf, dass das inkriminierte ÖBB-Sujet ohnehin keine Kampagne sei, sondern es sich nur um fünf Aufsteller in den Bahnhöfen Linz und Graz handle, die überdies bald verschwinden würden. Und: „Einen Seitenhieb in Richtung der Marketingabteilung der ÖBB konnte sich das Ministerium allerdings nicht verbeißen, denn rein aus fachlicher Sicht stelle sich die Frage, ob das betroffene Sujet einen „großen Verkaufs-Turbo” anwerfen könne. Die Haupt-Zielgruppe seien wohl ohnehin überwiegend Eltern mit Kindern, Oma/Opa mit Enkelkindern sowie alleinerziehende Mütter und Väter mit Kindern. Die am heiß diskutierten Plakat abgebildete Situation sei in Österreich daher wohl eher im Promillebereich anzusiedeln, so das Ministerium.“ Die „abgebildete Situation“ also – um es deutlich auszudrücken, zwei vielleicht schwule Männer, die mit einem Baby reisen – ist im Promillebereich anzusiedeln. Die blaue Welt von Gestern (frei nach Stefan Zweig) könnte damit vielleicht gerettet werden. Die Welt des Noch-Stadtrats Weber wird jedoch vorerst in Unordnung bleiben, denn da es sich bei seiner Wortmeldung um Verhetzung handle, hat die Amstettner Polizei das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung eingeschaltet. Für Weber wird der Kommentar vermutlich also ein juristisches Nachspiel haben. Auch wenn sich die Kritik nun an Weber fokussiert: Pühringer trägt die Mitverantwortung an den inakzeptablen Kommentaren, denn er hat sie nicht nur indirekt provoziert, sondern erst dann gelöscht, als die Kritik lautstark losbrach. Eine Distanzierung oder Entschuldigung seinerseits ist uns nicht bekannt. Aber das war von Pühringer auch nicht zu erwarten, denn er ist kein unsbeschriebenes Blatt, wie dieser Beitrag aus dem Jahr 2014 belegt.
Merke FPÖ: Homophobie gepaart mit Rassismus geht auch in Österreich nicht mehr. Und das ist sehr gut so!
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