Die Staatsanwaltschaft hatte im sogenannten „Wehrhahn“-Prozess lebenslange Haft wegen zwölffachen versuchten Mordes gefordert. Das Landgericht Düsseldorf hat allerdings in dem Prozess gegen Ralf S. (51), Neonazi, Waffennarr und Militariahändler, entschieden, dass der Angeklagte trotz einer „Vielzahl von Indizienbeweisen“ und trotz seiner zahlreichen Lügen vor Gericht vom Vorwurf der Anklage freizusprechen sei.
Schon kurz nach dem Anschlag vom 27. Juli 2000 galt der Neonazi Ralf S. als Hauptverdächtiger, kam aber „durch das Schweigen wichtiger Zeugen aus seinem Umfeld“ und – wie der Kölner Stadtanzeiger im Vorjahr schrieb, durch massive Drohungen gegen seine damalige Lebensgefährtin und eine Bekannte ungeschoren davon.
Obwohl die Opfer des Anschlags, Zuwanderer aus der früheren Sowjetunion, unter ihnen sechs jüdische, von Anfang an die Schlussfolgerung nahelegten, dass es sich um einen rechtsextrem motivierten Anschlag gehandelt hatte, wurde über eine „Beziehungstat“, Drogendealer, russische Profigangster usw. gemutmaßt und ermittelt.
„Im Sommer 2000 machten Rechtsaußen-Parteien wie die Republikaner gegen die ‚jüdische Einwanderung’ in einem vermeintlichen ‚Zustrom aus Osteuropa’ durch russische ‚Kontingent-Flüchtlinge’ mobil – Ralf S., damals 34, ehemaliger Zeitsoldat, Rechtsextremer, Waffennarr und wenig erfolgreicher Militaria-Händler aus Düsseldorf-Wehrhahn hatte ihre Schriften in seiner Wohnung liegen, als die Polizei sie nach der Tat durchsuchte“, beschreibt „Belltower“ das politische Klima damals und die allzu späte Hausdurchsuchung bei Ralf S., dem die Polizei damals attestierte, über kein Täterwissen zu verfügen. Auch dass es sich bei Ralf S. um einen Neonazi handelt, wurde bestritten.
Schon 1999 hatte die Düsseldorfer Stadtzeitung „Terz“ allerdings unter der Rubrik „Neues aus der Naziszene“ über Ralf S berichtet, der als „durchgeknallter, rassistischer Amokläufer“ galt.
„Belltower“: „Im Jahr 1999 äußerte Ralf S. seine rechtsextreme Gesinnung durch das Anpöbeln und Bedrohen von Menschen, die ihm nicht gefielen, wie Migrant*innen, Punks und Obdachlose, und durch das Verkleben rechtsextremer Aufkleber. Er besaß einen Rottweiler, der auf das Wort „Asylant“ abgerichtet war, und pflegte Kontakte zur „Kameradschaft Düsseldorf“ um Sven Skoda. Und er fand keinen Gefallen an einer Sprachschule für russische Geflüchtete, die schräg gegenüber von seinem Militaria-Geschäft am S‑Bahnhof Wehrhahn eröffnete.
S. ermutigte zwei befreundete Neonazis mit Hunden, die russischen Sprachschüler*innen einzuschüchtern und zu bedrohen, in der Hoffnung, die aus Russland zugewanderten Männer und Frauen aus seinem „Revier“ zu vertreiben.“
Als Ralf S. 2014 eine Haftstrafe verbüßt, offenbart er sich einem Mithäftling gegenüber „als der Attentäter, der „an einem Bahnhof“ mit „Sprengstoff die Kanaken weggesprengt“ hätte. Gemeint waren offenbar die Sprachschüler aus den ehemaligen GUS-Staaten. Überdies erwähnte Ralf S., dass er dabei eine Fernzündung benutzt habe“ (Kölner Stadtanzeiger).
Daraufhin starteten neuerlich Ermittlungen gegen Ralf S., die – im Unterschied zu 2000 – diesmal auch zu verwertbaren Beweisen führten (siehe „Kölner Stadtanzeiger“). Im Jänner 2018 begann dann der Prozess gegen Ralf S., bei dem schon zwischendurch das Gericht mit der Entlassung von Ralf S. aus der U‑Haft signalisierte, dass es einen Freispruch fällen werde. Ende Juli erfolgte dann tatsächlich der Freispruch. Die mobile Beratung gegen Rechtsextremismus und die Opferberatung, die den Prozess begleitet haben, kommentierten das Urteil so:
„Erst die milden Urteile für NSU-Unterstützer_innen, dann der Freispruch im Wehrhahnprozess:
‚Rechtsterroristische Kreise, wie die beispielsweise kürzlich aufgedeckte Organisation ‚Combat18’, werden sich jetzt bestärkt sehen’, kritisiert Dominik Schumacher von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus.
‚Nachdem erst vor zwei Wochen das EXIF-Netzwerk eine internationale rechtsterroristische Organisation enttarnt hat, werden militante Neonazis das Urteil nun als Ermutigung verstehen’, befürchtet Schumacher.“
Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Revision gegen den Freispruch eingelegt. Das letzte Wort ist also – 18 Jahre nach der Mordtat – noch nicht gesprochen.