Nach dem NSU-Prozess noch ein Fehlurteil?

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Vor 18 Jah­ren wur­de in Düs­sel­dorf ein Spreng­stoff­an­schlag auf eine Grup­pe von Sprach­schü­le­rIn­nen aus Ost­eu­ro­pa ver­übt. Ein Blut­bad war die Fol­ge: Neun Men­schen erlit­ten teils schwers­te Ver­let­zun­gen, eine Frau ver­lor durch Split­ter ihr unge­bo­re­nes Kind. Erst vor einem Jahr, also nach 17 Jah­ren, wur­de ein mut­maß­li­cher Täter, Ralf S., iden­ti­fi­ziert und ange­klagt. Vor weni­gen Tagen wur­de der Neo­na­zi frei­ge­spro­chen. Ein wei­te­res Fehl­ur­teil nach denen gegen die Mit­an­ge­klag­ten im NSU-Prozess?

Die Staats­an­walt­schaft hat­te im soge­nann­ten „Wehrhahn“-Prozess lebens­lan­ge Haft wegen zwölf­fa­chen ver­such­ten Mor­des gefor­dert. Das Land­ge­richt Düs­sel­dorf hat aller­dings in dem Pro­zess gegen Ralf S. (51), Neo­na­zi, Waf­fen­narr und Mili­ta­ria­händ­ler, ent­schie­den, dass der Ange­klag­te trotz einer „Viel­zahl von Indi­zi­en­be­wei­sen“ und trotz sei­ner zahl­rei­chen Lügen vor Gericht vom Vor­wurf der Ankla­ge frei­zu­spre­chen sei.

Schon kurz nach dem Anschlag vom 27. Juli 2000 galt der Neo­na­zi Ralf S. als Haupt­ver­däch­ti­ger, kam aber „durch das Schwei­gen wich­ti­ger Zeu­gen aus sei­nem Umfeld“ und – wie der Köl­ner Stadt­an­zei­ger im Vor­jahr schrieb, durch mas­si­ve Dro­hun­gen gegen sei­ne dama­li­ge Lebens­ge­fähr­tin und eine Bekann­te unge­scho­ren davon.

Obwohl die Opfer des Anschlags, Zuwan­de­rer aus der frü­he­ren Sowjet­uni­on, unter ihnen sechs jüdi­sche, von Anfang an die Schluss­fol­ge­rung nahe­leg­ten, dass es sich um einen rechts­extrem moti­vier­ten Anschlag gehan­delt hat­te, wur­de über eine „Bezie­hungs­tat“, Dro­gen­dea­ler, rus­si­sche Pro­fi­gangs­ter usw. gemut­maßt und ermittelt.

Im Som­mer 2000 mach­ten Rechts­au­ßen-Par­tei­en wie die Repu­bli­ka­ner gegen die ‚jüdi­sche Ein­wan­de­rung’ in einem ver­meint­li­chen ‚Zustrom aus Ost­eu­ro­pa’ durch rus­si­sche ‚Kon­tin­gent-Flücht­lin­ge’ mobil – Ralf S., damals 34, ehe­ma­li­ger Zeit­sol­dat, Rechts­extre­mer, Waf­fen­narr und wenig erfolg­rei­cher Mili­ta­ria-Händ­ler aus Düs­sel­dorf-Wehr­hahn hat­te ihre Schrif­ten in sei­ner Woh­nung lie­gen, als die Poli­zei sie nach der Tat durch­such­te“, beschreibt „Bell­tower“ das poli­ti­sche Kli­ma damals und die all­zu spä­te Haus­durch­su­chung bei Ralf S., dem die Poli­zei damals attes­tier­te, über kein Täter­wis­sen zu ver­fü­gen. Auch dass es sich bei Ralf S. um einen Neo­na­zi han­delt, wur­de bestritten.

Ralf S. und die Flüchtlinge

Schon 1999 hat­te die Düs­sel­dor­fer Stadt­zei­tung „Terz“ aller­dings unter der Rubrik „Neu­es aus der Nazi­sze­ne“ über Ralf S berich­tet, der als „durch­ge­knall­ter, ras­sis­ti­scher Amok­läu­fer“ galt.

„Bell­tower“: „Im Jahr 1999 äußer­te Ralf S. sei­ne rechts­extre­me Gesin­nung durch das Anpö­beln und Bedro­hen von Men­schen, die ihm nicht gefie­len, wie Migrant*innen, Punks und Obdach­lo­se, und durch das Ver­kle­ben rechts­extre­mer Auf­kle­ber. Er besaß einen Rott­wei­ler, der auf das Wort „Asy­lant“ abge­rich­tet war, und pfleg­te Kon­tak­te zur „Kame­rad­schaft Düs­sel­dorf“ um Sven Sko­da. Und er fand kei­nen Gefal­len an einer Sprach­schu­le für rus­si­sche Geflüch­te­te, die schräg gegen­über von sei­nem Mili­ta­ria-Geschäft am S‑Bahnhof Wehr­hahn eröffnete.

S. ermu­tig­te zwei befreun­de­te Neo­na­zis mit Hun­den, die rus­si­schen Sprachschüler*innen ein­zu­schüch­tern und zu bedro­hen, in der Hoff­nung, die aus Russ­land zuge­wan­der­ten Män­ner und Frau­en aus sei­nem „Revier“ zu ver­trei­ben.

Als Ralf S. 2014 eine Haft­stra­fe ver­büßt, offen­bart er sich einem Mit­häft­ling gegen­über „als der Atten­tä­ter, der „an einem Bahn­hof“ mit „Spreng­stoff die Kana­ken weg­ge­sprengt“ hät­te. Gemeint waren offen­bar die Sprach­schü­ler aus den ehe­ma­li­gen GUS-Staa­ten. Über­dies erwähn­te Ralf S., dass er dabei eine Fern­zün­dung benutzt habe“ (Köl­ner Stadt­an­zei­ger).

Dar­auf­hin star­te­ten neu­er­lich Ermitt­lun­gen gegen Ralf S., die – im Unter­schied zu 2000 – dies­mal auch zu ver­wert­ba­ren Bewei­sen führ­ten (sie­he „Köl­ner Stadt­an­zei­ger“). Im Jän­ner 2018 begann dann der Pro­zess gegen Ralf S., bei dem schon zwi­schen­durch das Gericht mit der Ent­las­sung von Ralf S. aus der U‑Haft signa­li­sier­te, dass es einen Frei­spruch fäl­len wer­de. Ende Juli erfolg­te dann tat­säch­lich der Frei­spruch. Die mobi­le Bera­tung gegen Rechts­extre­mis­mus und die Opfer­be­ra­tung, die den Pro­zess beglei­tet haben, kom­men­tier­ten das Urteil so:

„Erst die mil­den Urtei­le für NSU-Unter­stüt­zer_in­nen, dann der Frei­spruch im Wehrhahnprozess:
‚Rechts­ter­ro­ris­ti­sche Krei­se, wie die bei­spiels­wei­se kürz­lich auf­ge­deck­te Orga­ni­sa­ti­on ‚Combat18’, wer­den sich jetzt bestärkt sehen’, kri­ti­siert Domi­nik Schu­ma­cher von der Mobi­len Bera­tung gegen Rechtsextremismus.
‚Nach­dem erst vor zwei Wochen das EXIF-Netz­werk eine inter­na­tio­na­le rechts­ter­ro­ris­ti­sche Orga­ni­sa­ti­on ent­tarnt hat, wer­den mili­tan­te Neo­na­zis das Urteil nun als Ermu­ti­gung ver­ste­hen’, befürch­tet Schumacher.“

Inzwi­schen hat die Staats­an­walt­schaft Revi­si­on gegen den Frei­spruch ein­ge­legt. Das letz­te Wort ist also – 18 Jah­re nach der Mord­tat – noch nicht gesprochen.