Martin Grubinger: Dem Kanzler fehlt Entscheidendes
Herbert Lackner interviewt Martin Grubinger für profil Nr. 29 vom 16.7.2018.
profil: Die neue Regierung begeistert Sie nicht sonderlich. Einige Zitate aus Ihren Postings der letzten Wochen: „Unser Bundeskanzler versucht permanent, sich auf Kosten anderer Staaten und deren Führer zu profilieren.” Oder: „Im Streben nach Wählermaximierung haben CSU und ÖVP ihre christlich-sozialen Wurzeln verkauft.”
Grubinger: Genau. Wo sind denn da noch Werte wie Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Menschlichkeit — egal ob man das aus einer humanistischen Position sieht oder aus der christlich-sozialen Tradition? Es waren doch entscheidende Errungenschaften, dass wir uns an die Menschenrechtskonvention halten, dass wir Verträge einhalten, dass wir ein Mindestmaß an Mitgefühl mitbringen. Recht und Gesetze müssen in jeder Hinsicht gelten. Die genannten Errungenschaften haben uns 70 Jahre Frieden in Europa gebracht. Sebastian Kurz sagt, er gründet die „Achse Berlin-Wien-Rom”, und als er auf die böse historische Belastung dieses Begriffs hingewiesen wird, meint er, er lasse sich diesen Begriff nicht nehmen. Ein Kanzler braucht Geschichtsbewusstsein. Wenn er das nicht mitbringt, dann fehlt ihm Entscheidendes. Wir in Österreich haben eine besondere Verantwortung, und deshalb muss ein Bundeskanzler mit der Sprache sorgsam umgehen.
profil: Was allerdings für seinen Wahlsieg nicht von großer Bedeutung war.
Grubinger: Durchaus. Aber die ÖVP und Kurz könnten nach ihrem fulminanten Wahlsieg auch eine andere Politik machen. Kurz wählt den für Österreich und Europa falschen Weg.
profil: ÖVP und FPÖ hatten bei den Wahlen gemeinsam etwa 58 Prozent und liegen in den derzeitigen Umfragen etwa immer noch bei diesem Wert. Wie erklären Sie sich das?
Grubinger: Unter anderem damit, dass die Sozialdemokratie, zu der ich mich bekenne, Fehler gemacht hat. Ich lebe auf dem Land, im Hausruckviertel. Und selbstverständlich spüren wir Veränderungen in der täglichen Versorgung anders als die Menschen in den Städten. Da gibt es Orte, in denen der Hausarzt in Pension geht und die Gesundheitsversorgung nicht mehr gesichert ist. Das einzige Geschäft ist weg, der Zug bleibt nicht mehr stehen, das Internet ist langsam, es gibt keine gute Kinderbetreuung. Die Menschen fühlen sich abgehängt. Das alles sind auch sozialdemokratische Themen, aber ich sehe bei uns eigentlich nie Sozialdemokraten. Die SPÖ muss verstehen lernen, dass Österreich nicht an der Wiener Westausfahrt endet.
profil: ÖVP und FPÖ legten besonders dort zu, wo es gar keine Flüchtlinge gibt. Wie erklären Sie sich das?
Grubinger: Mit zu wenig Aufklärungsarbeit auf dem Land. Es wurde den Menschen das Gefühl gegeben, sie lebten in Unsicherheit. Die Antwort muss sein: Rausgehen und argumentieren, vorbei an den großen Boulevardblättern, damit die Menschen wieder die Proponenten der Sozialdemokraten kennenlernen – nicht auf den großen Märkten, sondern in den kleinen Ortschaften.
Wolfgang Ambros: Viele braune Haufen in der FPÖ
Ehrlich gesagt, so kennen wir den Wolfgang Ambros bisher noch nicht. So klar und geradlinig, wie er in einem Interview mit der „Süddeutschen“ über die FPÖ und Kanzler Kurz urteilte.
SZ: In Österreich regiert seit Dezember 2017 eine Koalition aus FPÖ und ÖVP, Letztere stellt mit Sebastian Kurz den Kanzler. Was genau macht Ihnen Sorge?
W.A.: Schauen Sie sich das letzte Dreivierteljahr doch an. Fast jede Woche gibt es einen kleinen oder größeren Hammer in Verbindung mit FPÖ-Personal. Damit meine ich nicht nur den Skandal über das Burschenschaftler-Liedbuch, in dem von Judenvergasungen die Rede war.
SZ: Heinz-Christian Strache, der FPÖ-Chef und Vizekanzler, beteuert, gegen Extremismus und vor allem Antisemitismus zu sein.
W.A.: Ich glaub dem kein Wort. Ich bin mir sicher, dass es viele braune Haufen in der FPÖ gibt. Weil die Regierung die ganze Zeit nur über Ausländer redet, fällt vielen Österreichern gar nicht auf, wohin die Reise geht. Die Pläne dieser Regierung bekommen nicht nur die Flüchtlinge zu spüren, sondern bald auch ärmere Österreicher. Neulich hat die FPÖ-Sozialministerin Beate Hartinger-Klein behauptet, von 150 Euro im Monat könne man leben. Das ist doch irrsinnig! Als die Regierung gebildet wurde, war abzusehen, dass die FPÖ sich auf jeder Ebene nicht staatstragend verhält. Nicht abzusehen war aber, dass unser Herr Bundeskanzler skandalöse Aussagen der FPÖ unkommentiert lässt. Der schweigt immer, wenn es unangenehm wird.
SZ: Können Sie erklären, warum Kurz trotzdem so populär ist?
W.A.: Er sagt immer das Richtige, weil er inhaltlich nix sagt. Auf die Leute wirkt das angenehm.
SZ: Inhaltsarmes Reden, das wirft man manchmal auch Angela Merkel vor. Wieso wird das bei Kurz nicht kritisiert?
W.A.: Er ist halt jung, fesch und geschmeidig. Deshalb fällt das vielen Leuten nicht so auf. Mit Strache hat er den Mann fürs Grobe. Dem und seiner rechtsradikalen Truppe lässt Kurz einfach alles durchgehen. Von einem Kanzler erwarte ich, dass er auf den Tisch haut, wenn der Koalitionspartner sich danebenbenimmt.

Elizabeth T. Spira: Ich mag weder Kurz noch Strache
In einem Gespräch mit dem Standard äußerte sich Elizabeth T. Spira nicht nur zu einer möglichen Fortsetzung ihres Quotenhits „Liebesg’schichten und Heiratssachen“. Der Standard” vom 13.07.2018
Eine Entscheidungshilfe könnte der Regisseurin die Zusammensetzung der künftigen ORF-Spitze liefern. Schwarz-Blau bastelt an einem neuen ORF-Gesetz, das statt eines Alleingeschäftsführers einen Vierervorstand an der Spitze des ORF bringen könnte. Käme die FPÖ mit ihren Personalwünschen zum Zug und würden die Blauen in der neuen Konstellation den ORF-Chef stellen, möchte Spira nicht nur fix mit Liebesg’schichten und Heiratssachen aufhören, sondern möglicherweise sogar auswandern, sagt sie zum STANDARD: „Wahrscheinlich würde ich nach Deutschland gehen, weil ich von der Heimat die Nase voll habe.“ Wäre ihre ORF-Karriere dann endgültig vorbei? „Schon, ich wüsste auch nicht, mit wem ich zu reden habe. Ich brauche keinen FPÖler als ORF-Chef. Obwohl mir die Partei eigentlich wurscht ist, aber ich bin Jüdin und ich bin links. Ich bin nicht hier geboren, sondern in England, weil man uns in der Heimat verfolgt hat. Die Heimat ist nicht immer das Angenehmste. Man muss sie zur Kenntnis nehmen, weil man sie nicht aussuchen kann.“
Sorge um den ORF
Für den ORF arbeitet Spira seit dem Jahr 1973: „Wir haben immer schon aufpassen müssen, vor allem bei politischen Geschichten.“ Die Attacken der FPÖ auf ORF-Mitarbeiter hätten eine neue Dimension erreicht: „Bei mir persönlich ist es wurscht. Da die Herrschaften aber nicht die Feinsten und Klügsten sind und deswegen gar nicht feststellen können, wie viele gute Mitarbeiter es im ORF gibt, fürchte ich um den ORF.“
Bereits vor einem Jahr hat Spira in einem Kurier-Interview kein gutes Haar an Sebastian Kurz gelassen, damals Außenminister, heute ÖVP-Chef und Kanzler. Ob sich ihr Befund, dass Kurz ein „Blender“ sei, in der Zwischenzeit geändert habe? „Nein, wirklich nicht. Weder für den einen noch für den Vizekanzler. Ich mag weder Kurz noch Strache, aber das ist meine persönliche Meinung.“ Warum? „Kurz hat wenig Ahnung. Manchmal hat er Holler geredet, dass ich mich geschämt habe, dass das ein Bundeskanzler sein soll, der noch dazu über die österreichische Geschichte aber wirklich gar nichts weiß. Sie haben nur schöne, eng geschnittene Anzüge, das muss man sagen.“