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Mit der Wahrheit lügen

„Man macht einen Dis­kurs stark, näm­lich Ängs­te und Neid zu schü­ren, und behaup­tet dann, die­se Ängs­te und die­ser Neid machen es not­wen­dig, die Flücht­lings­po­li­tik zu ver­schär­fen.“ Ein Inter­view mit Andre­as Peham vom „Doku­men­ta­ti­ons­ar­chiv des Öster­rei­chi­schen Wider­stan­des“. Von Kers­tin Kel­ler­mann. Zur Wahl am 15. Okto­ber: Ver­wen­det Neue Volks­­­par­­tei-Spi­t­­zen­­kan­­di­­dat Sebas­ti­an Kurz das Flücht­lings­the­ma nur so stark, um […]

13. Okt 2017

Zur Wahl am 15. Okto­ber: Ver­wen­det Neue Volks­par­tei-Spit­zen­kan­di­dat Sebas­ti­an Kurz das Flücht­lings­the­ma nur so stark, um Stim­men von den Frei­heit­li­chen abzu­zie­hen? Wird ein Kurz an der Macht nicht mehr mit bedroh­li­chen Flücht­lin­gen argumentieren? 

Ich glau­be nicht, dass der Scha­den wie­der gut­zu­ma­chen sein wird. Die Agi­ta­ti­on — Stich­wort Ein­wan­de­rung in unser Sozi­al­sys­tem — die nach FPÖ-Obmann Stra­che klingt, wird nach der Wahl wie­der zurück­ge­fah­ren, aber die Poli­tik gegen Flücht­lin­ge wird noch ver­schärft wer­den. Ich sehe weni­ger einen Bruch in der Kon­ti­nui­tät die­ser Par­tei­a­gi­ta­ti­on, son­dern eher Inter­es­sens­über­schnei­dun­gen bei den drei Groß­par­tei­en. Das zeig­te ja auch die Ver­schär­fung des Asyl­rechts 2005 unter Schwarz-Blau, mit den Stim­men der SPÖ – aus der Oppo­si­ti­on her­aus. Das darf man nie ver­ges­sen. Man erhofft sich Zustim­mung der Bevöl­ke­rung. Man macht einen Dis­kurs stark, näm­lich Ängs­te und Neid zu schü­ren, und behaup­tet dann, die­se Ängs­te und die­ser Neid machen es not­wen­dig, die Flücht­lings­po­li­tik zu ver­schär­fen. So dreht sich die Eska­la­ti­ons-Spi­ra­le seit den 90er Jah­ren wei­ter. Erst war das Phä­no­men arbeits­tei­lig: Die FPÖ ver­schärft die Het­ze und die SPÖ zieht nach, Stich­wort Geset­ze statt Het­ze. Aber ange­sichts der Tat­sa­che, dass dann immer ein­stim­mig beschlos­sen wur­de, wie im Jah­re 2005, hat­te man wirk­lich den Ein­druck von einer Arbeits­tei­lung. Bei Sebas­ti­an Kurz scheint das Neue zu sein: Er macht bei­des. Die SPÖ hat frü­her die FPÖ het­zen las­sen und ant­wor­te­te mit Geset­zen. Kurz wird zum Kon­kur­ren­ten der FPÖ in der Agi­ta­ti­on, und anschlie­ßend zum Exe­ku­tor der Stim­mun­gen, die er vor­her geschürt hat. 

Woher hat­te Kurz schon als Inte­gra­ti­ons­staats­se­kre­tär die­se Ableh­nung von Flücht­lin­gen? Sei­ne Eltern nah­men sogar Flücht­lin­ge zuhau­se auf, wäh­rend ihr Sohn immer mehr Rich­tung Par­tei­aka­de­mie ver­schwand, wie eine Home­sto­ry in einer Tages­zei­tung berichtete. 

Kurz steht in die­sem Zusam­men­hang lei­der ganz in der Tra­di­ti­on von Lue­ger. Das ist kal­tes Kal­kül. Er weiß, dass er damit Stim­men macht. Ich wür­de das wirk­lich als eine Instru­men­ta­li­sie­rung von Emo­tio­nen bezeich­nen. Kurz wech­selt damit, wie man in Öster­reich so schön sagt, poli­ti­sches Klein­geld. Was nicht heißt, dass in sei­nem Inne­ren kein Kern von christ­li­cher Nächs­ten­lie­be steckt. Man ver­än­dert sich natür­lich auch in der Agi­ta­ti­on, aber am Anfang war das rein stra­te­gi­sches Kalkül. 

Zu Beginn wur­de der jun­ge Kurz von sei­nen migran­ti­schen Bera­tern groß gemacht.

Am Anfang mach­te Kurz sich in der NGO-Sze­ne durch das Inte­gra­ti­ons­mi­nis­te­ri­um vie­le Freun­de, die sei­nen Kurs­wech­sel nun nicht ver­ste­hen. Ich bin froh, dass wir bei der EU sind, denn daher kön­nen so Leu­te wie Kurz und Stra­che nicht ganz so wie sie wol­len, zum Bei­spiel im Aus­land leben­den Kin­dern das Kin­der­geld ent­zie­hen. Das Pro­blem ist aber, dass es immer mehr Vik­tor Orb­ans gibt. Was tun wir, wenn die­ser Block ein­mal so stark ist, dass der die Mehr­heit hat? Frank­reich und Deutsch­land wer­den wei­ter­hin in der EU das Sagen haben. Aber auch die Mehr­heits­ver­hält­niss in der EU kön­nen sich ver­schie­ben. Momen­tan ver­las­se ich mich auf die EU, aber das muss nicht bis in alle Ewig­keit so bleiben. 

Die Rechts­extre­men sind in der Öffent­lich­keit unter­ge­gan­gen. Der­zeit steht nur noch der angeb­li­che Anti­sem­tis­mus aller ein­ge­wan­der­ten mus­li­mi­schen Flücht­lin­ge am Pran­ger. Wie schätzt du die der­zei­ti­ge Zurück­hal­tung von FPÖ-Obmann Stra­che ein?

Das staats­män­ni­sche Ver­hal­ten ist das, was Stra­che glaubt, aus dem Hofer-Wahl­kampf gelernt zu haben. Aber Hofer ist ein ganz ande­rer Typ, zu Stra­che passt es ein­fach nicht. Viel­leicht gewinnt die FPÖ ein paar Pro­zent­punk­te bei den Frau­en unter fünf­zig Jah­ren, aber dafür ver­liert sie genau so viel bei den zor­ni­gen, jun­gen Män­nern. Das wer­fe ich der FPÖ vor: Sie sagt immer, dass sie den rech­ten Rand zivi­li­sie­ren wür­de. Sie mobi­li­sie­re den rech­ten Rand zur Wahl, aber ob das schon Aus­druck einer demo­kra­ti­schen Gesin­nung ist? Nur was nicht erwähnt und beschrie­ben wird, ist die fol­gen­de Frus­tra­ti­on, näm­lich dass auch die FPÖ nur mit Was­ser kocht. Dann gehen die­se zor­ni­gen Män­ner noch ein­mal radi­ka­ler zurück in das Lager der Nicht­wäh­ler – mit einer völ­li­gen Demokratie-Ablehnung.
Zum angeb­li­chen Anti­se­mi­tis­mus bei den Mus­li­men: Ich hal­te den tat­säch­lich für eine Insze­nie­rung der FPÖ und für Pro­jek­ti­on. Wie zur Bestä­ti­gung der The­se, dass der eige­ne Anti­se­mi­tis­mus ver­drängt wird — nicht alles, aber Pro­jek­ti­on ist ein sehr belieb­ter Abwehr­me­cha­nis­mus. Was sich sozu­sa­gen anschickt, durch die Ver­drän­gung durch­zu­kom­men, wird auf ande­re pro­ji­ziert. In dem Fall der Anti­se­mi­tis­mus, den man bei sich leug­net und bei Mus­li­men ver­folgt. Wie zur Bestä­ti­gung fand ich fol­gen­de Epi­so­de: Im Juli, als wir vom Doku­men­ta­ti­ons­ar­chiv des Öster­rei­chis­cehn Wider­stan­des aus den Hüb­ner-Anti­se­mi­tis­mus-Skan­dal haben hoch­ge­hen las­sen, war Stra­che auf Ibi­za im Urlaub und schwieg zuerst, was er in sol­chen Fäl­len immer tut. Was pos­te­te Stra­che dazu als Ein­zi­ges auf face­book? „Der Anti­se­mi­tis­mus geht heu­te von Mus­li­men aus.“ Die Ein­tra­gung war zeit­nah und man kann es auf face­book nachlesen.

Stra­che hat die „brau­ne Kacke“ am Damp­fen und sagt, die Mus­li­me sind die Anti­se­mi­ten! Auf­fäl­li­ger geht es nicht mehr. Die­ses Mus­ter nen­ne ich „mit der Wahr­heit lügen“. Es gibt Anti­se­mi­tis­mus unter Mus­li­men, das ist die Wahr­heit, aber Stra­che lügt mit die­ser Wahr­heit. Zur Lüge wird es, weil er die­se Wahr­heit sozu­sa­gen miss­braucht, um den eige­nen Anti­se­mi­tis­mus zuzu­de­cken. Abge­se­hen von den Ver­all­ge­mei­ne­run­gen dahin­ter, denn für Stra­che sind ja qua­si alle Mus­li­me per se antisemitisch. 

Was sich ja wie­der mit sei­ner Freund­lich­keit gegen­über ser­bi­schen Kriegs­ver­bre­chern trifft, die im Krieg so vie­le Mus­li­me umge­bracht haben. Es bricht gera­de viel auf an Ver­drän­gung, denn die­se Toten wur­den nie betrau­ert.

Stra­che hat mit dem wohl wider­lichs­ten ser­bi­schen Zünd­ler und Het­zer Vojs­law Seselj ein Bünd­nis getrof­fen. Lei­der wur­de Vojs­law Seselj in Den Haag frei­ge­spro­chen. Mitt­ler­wei­le ist aber der ser­bi­sche Natio­na­lis­mus gespal­ten. Damals saß Seselj in Den Haag in Unter­su­chungs­haft und genau zu die­sem Zeit­punkt such­te die FPÖ mit sei­ner Par­tei das Bünd­nis. Es war wohl genau der Kampf gegen den Islam die ver­bin­den­de Klammer. 

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