Zur Wahl am 15. Oktober: Verwendet Neue Volkspartei-Spitzenkandidat Sebastian Kurz das Flüchtlingsthema nur so stark, um Stimmen von den Freiheitlichen abzuziehen? Wird ein Kurz an der Macht nicht mehr mit bedrohlichen Flüchtlingen argumentieren?
Ich glaube nicht, dass der Schaden wieder gutzumachen sein wird. Die Agitation — Stichwort Einwanderung in unser Sozialsystem — die nach FPÖ-Obmann Strache klingt, wird nach der Wahl wieder zurückgefahren, aber die Politik gegen Flüchtlinge wird noch verschärft werden. Ich sehe weniger einen Bruch in der Kontinuität dieser Parteiagitation, sondern eher Interessensüberschneidungen bei den drei Großparteien. Das zeigte ja auch die Verschärfung des Asylrechts 2005 unter Schwarz-Blau, mit den Stimmen der SPÖ – aus der Opposition heraus. Das darf man nie vergessen. Man erhofft sich Zustimmung der Bevölkerung. Man macht einen Diskurs stark, nämlich Ängste und Neid zu schüren, und behauptet dann, diese Ängste und dieser Neid machen es notwendig, die Flüchtlingspolitik zu verschärfen. So dreht sich die Eskalations-Spirale seit den 90er Jahren weiter. Erst war das Phänomen arbeitsteilig: Die FPÖ verschärft die Hetze und die SPÖ zieht nach, Stichwort Gesetze statt Hetze. Aber angesichts der Tatsache, dass dann immer einstimmig beschlossen wurde, wie im Jahre 2005, hatte man wirklich den Eindruck von einer Arbeitsteilung. Bei Sebastian Kurz scheint das Neue zu sein: Er macht beides. Die SPÖ hat früher die FPÖ hetzen lassen und antwortete mit Gesetzen. Kurz wird zum Konkurrenten der FPÖ in der Agitation, und anschließend zum Exekutor der Stimmungen, die er vorher geschürt hat.
Woher hatte Kurz schon als Integrationsstaatssekretär diese Ablehnung von Flüchtlingen? Seine Eltern nahmen sogar Flüchtlinge zuhause auf, während ihr Sohn immer mehr Richtung Parteiakademie verschwand, wie eine Homestory in einer Tageszeitung berichtete.
Kurz steht in diesem Zusammenhang leider ganz in der Tradition von Lueger. Das ist kaltes Kalkül. Er weiß, dass er damit Stimmen macht. Ich würde das wirklich als eine Instrumentalisierung von Emotionen bezeichnen. Kurz wechselt damit, wie man in Österreich so schön sagt, politisches Kleingeld. Was nicht heißt, dass in seinem Inneren kein Kern von christlicher Nächstenliebe steckt. Man verändert sich natürlich auch in der Agitation, aber am Anfang war das rein strategisches Kalkül.
Zu Beginn wurde der junge Kurz von seinen migrantischen Beratern groß gemacht.
Am Anfang machte Kurz sich in der NGO-Szene durch das Integrationsministerium viele Freunde, die seinen Kurswechsel nun nicht verstehen. Ich bin froh, dass wir bei der EU sind, denn daher können so Leute wie Kurz und Strache nicht ganz so wie sie wollen, zum Beispiel im Ausland lebenden Kindern das Kindergeld entziehen. Das Problem ist aber, dass es immer mehr Viktor Orbans gibt. Was tun wir, wenn dieser Block einmal so stark ist, dass der die Mehrheit hat? Frankreich und Deutschland werden weiterhin in der EU das Sagen haben. Aber auch die Mehrheitsverhältniss in der EU können sich verschieben. Momentan verlasse ich mich auf die EU, aber das muss nicht bis in alle Ewigkeit so bleiben.
Die Rechtsextremen sind in der Öffentlichkeit untergegangen. Derzeit steht nur noch der angebliche Antisemtismus aller eingewanderten muslimischen Flüchtlinge am Pranger. Wie schätzt du die derzeitige Zurückhaltung von FPÖ-Obmann Strache ein?
Das staatsmännische Verhalten ist das, was Strache glaubt, aus dem Hofer-Wahlkampf gelernt zu haben. Aber Hofer ist ein ganz anderer Typ, zu Strache passt es einfach nicht. Vielleicht gewinnt die FPÖ ein paar Prozentpunkte bei den Frauen unter fünfzig Jahren, aber dafür verliert sie genau so viel bei den zornigen, jungen Männern. Das werfe ich der FPÖ vor: Sie sagt immer, dass sie den rechten Rand zivilisieren würde. Sie mobilisiere den rechten Rand zur Wahl, aber ob das schon Ausdruck einer demokratischen Gesinnung ist? Nur was nicht erwähnt und beschrieben wird, ist die folgende Frustration, nämlich dass auch die FPÖ nur mit Wasser kocht. Dann gehen diese zornigen Männer noch einmal radikaler zurück in das Lager der Nichtwähler – mit einer völligen Demokratie-Ablehnung.
Zum angeblichen Antisemitismus bei den Muslimen: Ich halte den tatsächlich für eine Inszenierung der FPÖ und für Projektion. Wie zur Bestätigung der These, dass der eigene Antisemitismus verdrängt wird — nicht alles, aber Projektion ist ein sehr beliebter Abwehrmechanismus. Was sich sozusagen anschickt, durch die Verdrängung durchzukommen, wird auf andere projiziert. In dem Fall der Antisemitismus, den man bei sich leugnet und bei Muslimen verfolgt. Wie zur Bestätigung fand ich folgende Episode: Im Juli, als wir vom Dokumentationsarchiv des Österreichiscehn Widerstandes aus den Hübner-Antisemitismus-Skandal haben hochgehen lassen, war Strache auf Ibiza im Urlaub und schwieg zuerst, was er in solchen Fällen immer tut. Was postete Strache dazu als Einziges auf facebook? „Der Antisemitismus geht heute von Muslimen aus.“ Die Eintragung war zeitnah und man kann es auf facebook nachlesen.
Strache hat die „braune Kacke“ am Dampfen und sagt, die Muslime sind die Antisemiten! Auffälliger geht es nicht mehr. Dieses Muster nenne ich „mit der Wahrheit lügen“. Es gibt Antisemitismus unter Muslimen, das ist die Wahrheit, aber Strache lügt mit dieser Wahrheit. Zur Lüge wird es, weil er diese Wahrheit sozusagen missbraucht, um den eigenen Antisemitismus zuzudecken. Abgesehen von den Verallgemeinerungen dahinter, denn für Strache sind ja quasi alle Muslime per se antisemitisch.
Was sich ja wieder mit seiner Freundlichkeit gegenüber serbischen Kriegsverbrechern trifft, die im Krieg so viele Muslime umgebracht haben. Es bricht gerade viel auf an Verdrängung, denn diese Toten wurden nie betrauert.
Strache hat mit dem wohl widerlichsten serbischen Zündler und Hetzer Vojslaw Seselj ein Bündnis getroffen. Leider wurde Vojslaw Seselj in Den Haag freigesprochen. Mittlerweile ist aber der serbische Nationalismus gespalten. Damals saß Seselj in Den Haag in Untersuchungshaft und genau zu diesem Zeitpunkt suchte die FPÖ mit seiner Partei das Bündnis. Es war wohl genau der Kampf gegen den Islam die verbindende Klammer.