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Die „Wutoma“ mit der braunen Vergangenheit

Spät sei sie erwacht, die „Wut­o­ma“ aus Vor­arl­berg, die seit eini­ger Zeit öffent­lich und laut­stark für Ver­bes­se­run­gen im Pen­si­ons­sys­tem für vor 1955 gebo­re­ne Frau­en mit Kin­dern ein­tritt – so die media­le Erzäh­lung über Ger­traud Burtscher (74) aus Vor­arl­berg. Jetzt stellt sich her­aus, dass Ger­traud Burtscher schon Jahr­zehn­te zuvor ein ers­tes und durch­aus lang­wir­ken­des Erwe­ckungs­er­leb­nis hatte: […]

1. Sep 2017

Die „Wie­ner Zei­tung“ berich­tet in ihrer heu­ti­gen Aus­ga­be über die „Oma von rechts“, die frü­her nicht Burtscher, son­dern Orlich bzw. Kölbl hieß. Als Ger­traud Orlich war sie eine der wich­tigs­ten Frau­en in der öster­rei­chi­schen Neo­na­zi-Sze­ne in den 80er- und begin­nen­den 90er-Jah­ren. Orlich fun­gier­te zunächst als zwei­te Lan­des­spre­che­rin der NDP Vor­arl­berg und war auch in der Bun­des­lei­tung der NDP des Nor­bert Bur­ger ver­tre­ten. 1983 wech­sel­te sie zu einer Abspal­tung der NDP, der „Öster­rei­chi­schen Bür­ger­par­tei“ (ÖBP), wo sie die Lei­te­rin des Lan­des­ver­ban­des Vor­arl­berg und die Stell­ver­tre­te­rin des Obman­nes Wal­ter Nepras wurde.

Nor­bert Bur­ger und die NDP

Ihren Wech­sel und ihre Kan­di­da­tur für die ÖBP erklär­te Ger­traud Orlich ali­as Burtscher so: „Ich kan­di­die­re für die ÖBP, weil ich nicht mehr mit­an­se­hen kann, wie in Öster­reich der eige­ne unge­bo­re­ne Nach­wuchs getö­tet wird und die feh­len­den Arbeits­kräf­te dann ganz ein­fach durch Aus­län­der ersetzt wer­den. Dies kommt zwei­fel­los einem Selbst­mord unse­re Hei­mat gleich.“

Die­ses Zitat von Orlich stammt aus der Arbeit von Franz Valan­dro über den „Rechts­extre­mis­mus in Vor­arl­berg nach 1945“, die als Print und kos­ten­lo­ser Down­load bei der Johann-August-Malin-Gesell­schaft erhält­lich bzw. abruf­bar ist.
Gegen­über der NDP-Publi­ka­ti­on „Klar­text“ begrün­de­te Ger­traud Orlich ihre Kin­der­zahl (Orlich hat­te damals schon sechs Kin­der) ideologisch:

Die NDP ist die ein­zi­ge Par­tei, die ohne Wenn und Aber die Fris­ten­lö­sung ablehnt. Für mich war das mit ein Grund, mich die­ser Bewe­gung anzu­schlie­ßen. (…) Poli­ti­ker, die heu­te noch glau­ben, Zukunfts­pro­ble­me durch Redu­zie­rung der Kin­der­zahl lösen zu kön­nen, han­deln wie gewis­sen­lo­se Ver­bre­cher. Ihnen gehört das Hand­werk gelegt. Die Zukunft darf nicht ver­hü­tet wer­den, son­dern wir müs­sen sie meis­tern. Grund­la­ge dafür war und ist eine genü­gend gro­ße Zahl gesun­der Kinder.

Jen­seits ihrer Akti­vi­tä­ten für die NDP des Süd­ti­rol-Ter­ro­ris­ten Nor­bert Bur­ger und die weit­ge­hend bedeu­tungs­lo­se ÖBP fun­gier­te Orlich aber als „zeit­wei­li­ges Bin­de­glied zwi­schen Rechts­extre­mis­ten in Vor­arl­berg und den ande­ren Bun­des­län­dern“ (Valan­dro, Rechts­extre­mis­mus in Vor­arl­berg, S. 48). Wolf­gang Purtschel­ler, einer der bes­ten Ken­ner der öster­rei­chi­schen Neo­na­zi-Sze­ne der 1990er-Jah­re, orte­te in einem Inter­view mit den „Vor­arl­ber­ger Nach­rich­ten“ im Dezem­ber 1994 in „einer sehr kin­der­rei­chen Frau in Nüzi­ders“ die­se Schar­nier­funk­ti­on und oute­te gleich­zei­tig einen ihrer Söh­ne als Akti­vist von Küs­sels Volks­treu­er Außer­par­la­men­ta­ri­scher Oppo­si­ti­on (VAPO).

Mit ihren vie­len Kin­dern und der feh­len­den Aner­ken­nung von Kin­der­er­zie­hungs­zei­ten im Pen­si­ons­sys­tem bei Frau­en, die vor 1955 gebo­ren wur­den, begrün­de­te Burtscher ali­as Orlich auch ihre Erzäh­lung von der „spät Erwach­ten“, die jetzt die „Oma-Revol­te“ (Vor­arl­ber­ger Nach­rich­ten) und die „Müt­ter­pen­si­on“ auf die Stra­ße trägt.

Seit März die­ses Jah­res ist Ger­traud Burtscher für die­ses Anlie­gen öffent­lich und mit gro­ßer media­ler Sym­pa­thie unter­wegs. Die selbst­ge­strick­te, aber ziem­lich unvoll­stän­di­ge Erzäh­lung von der alten Frau mit dem spä­ten Erwe­ckungs­er­leb­nis hat über­all ver­fan­gen. Nie­mand frag­te genau­er nach, auch nicht wegen der ziem­lich „eigen­ar­ti­gen” Paro­len. Im Mai die­ses Jah­res orga­ni­sier­te die „Wut­o­ma“ eine Demo in Bre­genz, an der 200 Per­so­nen teil­nah­men. Burtscher mar­schier­te mit dem Trans­pa­rent „Herd­prä­mie = Müt­ter­ge­halt . Wert­schät­zung Fami­li­en­ar­beit . Was brau­chen Kin­der wirk­lich?“ (Vor­arl­ber­ger Nach­rich­ten, 10.8.2017).

Von der „Wie­ner Zei­tung“ wur­de Ger­traud Burtscher befragt, wie sie es heu­te mit dem Holo­caust hält. Im Jahr 1990 hat­te sie näm­lich als Ger­traud Orlich dem Doku­men­ta­ti­ons­ar­chiv (DÖW) einen Text über „Davir, der Wei­se, ein ori­en­ta­li­sches Mär­chen, frei erfun­den von Ger­traud Orlich, gewid­met Herrn Prof. Fau­ris­son und Herrn Major Lachout“ geschickt. Fau­ris­son und Lachout sind als Holo­caust­leug­ner bzw. „Revi­sio­nis­ten“ bekannt. „Das Mär­chen strotzt von neo­na­zis­ti­schen Codes“, urteilt die Wie­ner Zei­tung und bringt dazu ein län­ge­res Zitat, in dem Ger­traud Burtscher Orlich den Holo­caust als „Bade­häu­ser­mor­de“ tarnt, über die es kei­nen ein­zi­gen Sach­be­weis gebe.

Von der „Wie­ner Zei­tung“ auf den Text ange­spro­chen, will sich Burtscher nicht mehr dar­an erin­nern. Die Fra­ge der Redak­teu­rin, wie sie heu­te den Holo­caust sieht, beant­wor­tet die Juris­tin so: „Selbst­ver­ständ­lich. Das wird schon alles so sein. Ich beschäf­ti­ge mich nicht damit.“ Heu­te fin­det in Wien eine Demo der „Wut­o­ma“ und ihrer Unter­stüt­ze­rIn­nen statt.

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