Wie viele andere hohe Nazibonzen versuchte Höttl noch in den letzten Tagen des Nazi-Regimes, sich als Vertreter einer illegalen Bewegung bei den Schweizer Behörden, die den flüchtenden Höttl festnahmen, darzustellen – „und das nach elf Jahren bei der SS“ (News).
Der zuständige Schweizer Polizeiinspektor fiel nicht auf die Lügengeschichte Höttls herein, sondern merkte sarkastisch an:
Es ist nicht Aufgabe des Unterzeichneten (…) festzustellen, ob der SS-Obersturmbannführer Dr. Höttl als engster Mitarbeiter des SS-Gruppenführers Dr. Kaltenbrunner wirklich einer österreichischen Widerstandsbewegung angehört. Nach seinen Vorakten (…) könnte man sich nämlich (…) vorstellen, dass dieser (…) in der Schweiz Aufträge des derzeitigen Regimes in Deutschland zu erledigen hatte oder eventuell ein Doppelspiel treibt.” (News)
Der deutsche Historiker Ulrich Schlie, der neue Dokumente zu Höttl ausgewertet hat und die Ausstellung „Spione, Schwindler, Schatzsucher ‑Kriegsende im Ausseerland 1945” kuratiert, die im Kammerhofmuseum Bad Aussee von 1. Mai bis Ende Juli 2015 zu sehen sein wird, urteilt über Höttl: „Er konnte lügen wie gedruckt und war völlig skrupellos, wenn es darum ging, einen eigenen Vorteil zu ergattern.”
Wie Wilhelm Höttl nach seiner Nazi-und SS-Karriere, die ihn zu einem der engsten Vertrauten des Gestapo-Chefs Ernst Kaltenbrunner machte, seine zweite Karriere organisierte, ist in einem „profil“-Beitrag ziemlich genau nachzulesen. Nachdem sich Höttl den Amerikanern als Zeuge angedient hatte, verweigerte die US-Army nach Höttls Entlassung aus einem Straflager, dass er an ein österreichisches Volksgericht ausgeliefert wurde und war in den nächsten Jahren für den US-Militärgeheimdienst CIC tätig. In dessen Auftrag war er gemeinsam mit anderen Nazis wie Karl Kowarik und Erich Kernmayer mit der Errichtung antikommunistischer Untergrundzellen („Gladio“ bzw. „Stay behind“) befasst und nutzte die US-Ressourcen und den Schutz, den er dadurch genoss, um sein eigenes Projekt, die „politische Reintegration der österreichischen Nazis und den Aufbau des Verbandes der Unabhängigen (VdU), der Vorgängerorganisation der heutigen FPÖ“ voranzutreiben.
In einem Bericht der Organisation Gehlen des deutschen Bundesnachrichtendienstes hieß es 1948 über Höttl:
Als sein politisches Ziel bezeichnet Höttl die Herstellung eines tragbaren Verhältnisses zwischen der Regierung und der nationalen Opposition sowie zwischen Österreich und dem ‚deutschen Raum‘. Man müsse die ehemaligen Nationalsozialisten, sofern sie aufbauwillig sind, aus der sozialen Misere herausführen und sie wieder an den österreichischen Staat heranlassen. (profil)
Parallel zu seinen politischen Aktivitäten betrieb Höttl den Aufbau des Privatgymnasiums in Bad Aussee, in dem auch Jochen Rindt, André Heller und der ehemalige FPÖ-Abgeordnete und Industrielle Thomas Prinzhorn untergebracht waren. Heller schilderte seinen ersten Schultag im Höttl-Gymnasium dem „Standard“ so: Am ersten Schultag habe Höttl zu seinen Mitschülern gesagt: „Das ist der Heller, setzt euch nicht neben ihn, der hat böses Blut. Er meinte wohl meinen jüdischen Anteil an meinen Chromosomen.“ 1980 ging das Privatgymnasium in den Konkurs und wurde von der Republik als öffentliches Gymnasium weitergeführt.
1995 erhielt Höttl den schon erwähnten Orden — trotz heftigen Protests der Lagergemeinschaft Mauthausen, 1996 veröffentlichte er sein letztes Buch „Einsatz für das Reich“. Bei einer Buchpräsentation Ende Dezember in Bad Aussee gab es „heftigen Applaus“ für den Altnazi, schrieb die „Kleine Zeitung“ (17.12.1996).
Ziemlich mysteriös sind die Hintergründe einer anderen Meldung der „Kleinen Zeitung“, in der berichtet wird, dass Höttl vom Vorwurf des Verbrechens des schweren Diebstahls von Antiquitäten freigesprochen wurde. Die Anklage stammte zwar schon aus dem Jahr 1982, „jedoch war der Angeklagte aus gesundheitlichen Gründen erst 1994 verhandlungsfähig“ (Kleine Zeitung, 28.6.1997) – ein sehr österreichisches Schicksal.
1999 starb Höttl, der „mit allen Wassern gewaschene Überlebensstratege” (Kleine Zeitung) im Alter von 85 Jahren.