Der sachliche Kern der Vorwürfe an Colette Schmidt ist schnell beschrieben: Die Journalistin hat in ihrer Berichterstattung über die Demonstration der Identitären und die Auseinandersetzung zwischen GegendemonstrantInnen und Exekutive über eine schwangere junge Frau geschrieben, die dabei zu Schaden gekommen sei bzw. ihr Kind verloren habe. Im ersten Bericht von Colette Schmidt wird dazu ein Sprecher der Wiener Rettung zitiert, der bestätigt, dass eine schwangere junge Frau vorsorglich ins Spital gebracht worden sei.
Auch die Stellungnahme der Polizei, die die Schwangerschaft offen lässt, wird wiedergegeben: „Wir wissen nur, dass eine Frau bei der Verwüstung eines Geschäftslokals von der Polizei festgehalten wurde. Sie hat uns dann gesagt, sie ist schwanger und es geht ihr nicht gut, deswegen haben Kollegen die Rettung gerufen.” Tags darauf im nächsten Bericht des „Standard“ (Print-Ausgabe) ist dann von fünf verletzten Frauen , darunter einer Schwangeren, die nach dem Polizeieinsatz ihr Baby verloren habe, zu lesen. Am gleichen Tag erfolgt dann das Dementi der Polizei: Im Auftrag der Staatsanwaltschaft wurde der ärztliche Befund des Krankenhauses beschlagnahmt, aus dem klar hervorging, dass die Frau nicht schwanger war. In der APA-Meldung war aber auch zu lesen, dass die „kurzfristig Festgenommene“ gegenüber den Polizeibeamten angegeben habe, schwanger zu sein. Auch die Polizei konnte bis zum ärztlichen Befund nicht ausschließen, dass die Frau tatsächlich schwanger war.
Faksimile ZurZeit-Website
Die Lüge von der Schwangerschaft war also erst durch den Befund widerlegt, und sie war keine der Journalistin, sondern der angeblich schwangeren jungen Frau. Für „Zur Zeit“ ein willkommener Anlass, um die Journalistin mit unfassbaren Untergriffen niederzukübeln: „Schmidt pflege beste Kontakte ins ‚gewaltbereite linksextreme Milieu’ ” und zeige „klare Präferenzen zur steirischen KPÖ“. Beleg für „Zur Zeit“: Sie habe Regie bei einem „kommunistischen Propagandafilm“ geführt. Der „Propaganda“-Film („Genosse Waditschki“) ist ein Porträt des steirischen Widerstandskämpfers Willi Gaisch, in dem auch so „gewaltbereite linksextreme Propagandisten” wie der ehemalige Chefredakteur des „Standard“, Gerfried Sperl, interviewt werden.
Extrem unappetitlich sind aber die persönlichen Untergriffe, die mit den eigentlichen Vorwürfen („falsche“ bzw.“linke“ Schauermärchen) nichts zu tun haben: Schmidt scheine „relativ häufig in Graz ihre Wohnungen zu wechseln“. Sie sei eine „Patchwork-Mutter“, wozu „Zur Zeit“ dreckig fragt: „Sollte dies eine euphemistische Umschreibung für ‚beziehungsunfähig’ sein?“
Die Qualität des „Zur Zeit“-Beitrags offeriert sich nicht nur über diese Auszüge, sondern auch über die von anderen eingeforderte fehlende Recherche-Qualität, bei der aus Colette Schmidt im Titel eine Nicole wird. Macht das Kraut auch nicht mehr fett, denn wie heißt es im „Zur Zeit“-Beitrag: „Seriöse Journalisten wollen den Leser informieren, unseriöse Journalisten wollen Stimmung machen und gehen dabei sinnbildlich ‚über Leichen’.“ Da hat das blaue Blatt ausnahmsweise Recht!