Das Parlament ist der Ort, wo die „Freie Rede“ verfassungsrechtlich durch die Immunität geschützt ist. Das ist kein Freibrief für persönliche Beleidigungen und Verleumdungen. Gegen solche steht den vorsitzführenden PräsidentInnen das Mittel des Ordnungsrufes (im Wiederholungsfall der Wortentzug) zu. Die Liste der „verbotenen” Wörter ist lang und teilweise skurril. Seit kurzem darf man zu Martin Graf auch nicht mehr sagen, dass er ein Rechtsextremer ist bzw. rechtsextreme Positionen vertritt.
Und das kam so: In der Debatte um das Budget des Innenministeriums am 16.11.2011 sprach Peter Pilz (Grüne) davon, dass in Sachen Rechtsextremismus
einige Spuren in die Freiheitliche Jugend, andere Spuren mitten in die Freiheitliche Partei führen (Hö!-Rufe bei der FPÖ). Und da gibt es einen Auftrag im Innenministerium, alles, was in Richtung Freiheitlicher Partei und alles, was in Richtung Verbindung von Freiheitlicher Partei mit rechtsextremen terrorverdächtigen Gruppen führt, nicht zu untersuchen. (…) Ich fordere Sie auf, Frau Bundesministerin: Hören Sie auf, diese Gefahr zu verharmlosen, und geben Sie endlich Ihren Beamten den Auftrag, hier ernsthaft zu ermitteln und einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorzubeugen.
Martin Graf, der zu dieser Zeit den Vorsitz führte, erteilte Peter Pilz für dessen angebliche Äußerung, „dass sie einen Amtsmissbrauch begangen hat, indem Abgeordneter Pilz behauptet hat, dass die Frau Bundesminister für Inneres eine Weisung erteilt hätte, rechtsextreme Verbindungen nicht zu untersuchen“, einen Ordnungsruf. Hat Pilz einen Amtsmissbrauch oder eine Weisung der Innenministerin behauptet? Er hat von einem Auftrag gesprochen, den es im Innenministerium gibt und damit die Absprache zwischen ÖVP und FPÖ zu deren Regierungszeit gemeint. Pilz revanchierte sich für diesen Ordnungsruf von Graf mit dem Zwischenruf: „Von einem Rechtsextremisten einen Ordnungsruf!”
Etwas später, Präsidentin Prammer führte den Vorsitz, meldete sich Pilz zur Geschäftsordnung zu Wort und kritisierte die Vorsitzführung von Graf auch an einem anderen Beispiel. Stefan Petzner (BZÖ) hatte nämlich die Volksanwältin Theresia Stoisits tatsächlich und wörtlich des erwiesenen Amtsmissbrauchs beschuldigt, ohne dass der vorsitzführende Präsident Graf dazu Stellung genommen hätte. Pilz folgert daher:
Wenn Präsident Graf in der Frage, die ich gerade releviert habe, im Interesse seiner Partei den Vorsitz missbraucht, dann werde ich auch in Zukunft darauf hinweisen, dass ein rechtsextremer Politiker wie Herr Dr.Graf seinen Vorsitz nicht missbrauchen darf. Ja, er ist ein rechtsextremer Politiker (Abg.Grosz: Schon wieder! Sitzungsunterbrechung!- Abg. Strache: Schämen Sie sich! Sie sind eine Schande für das Haus! –Zwischenruf des Abg. Ing. Westenthaler).
Präsidentin Prammer: “Herr Abgeordneter Dr. Pilz, ich erteile Ihnen auf das Schärfste einen Ordnungsruf.“
Harald Walser (Grüne) will den Vorwurf an Graf inhaltlich begründen und führt aus:
Ich stelle fest, dass die Beziehungen der Freiheitlichen Partei zum organisierten Rechtsextremismus (Abg. Mayerhofer: Was ist da los? ) in Europa insgesamt in der letzten Zeit ziemlich auffallend sind…. (…) Weiters ist es natürlich eine Tatsache, dass viele hier sitzende Abgeordnete selber als Rechtsextremisten zu bezeichnen sind, und ich möchte ausdrücklich nochmals darauf hinweisen, was Kollege Pilz zu Recht gesagt hat. Präsident Graf hat mehrfach dieses Parlament hier zum Tummelplatz für den organisierten Rechtsextremismus gemacht, meine Damen und Herren. (Abg. Strache: Das ist eine Sauerei! Das ist eine absolute Sauerei! Das ist letztklassig! ) Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
Gerade letzte Woche wieder bei der Verleihung der Dinghofer-Medaille: Schauen Sie sich einmal an, wer da ausgezeichnet worden ist! (Rufe bei der FPÖ: Wer denn?) Martin Graf hat mehrfach in diesem Haus Veranstaltungen durchgeführt, die das mehr als belegen. (Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)
Da war zum Beispiel unter anderem eine Person, die zurücktreten musste – ein gewisser Herr Pendl –, der als Universitätsrat zurücktreten musste. Ist Ihnen der kein Begriff? (Abg. Strache: Was werfen Sie dem Herrn Pendl vor? Eine rechtschaffene Person, ein Professor! Das sagen Sie unter dem Schutzmantel der Immunität!) Der ist in der schwarz-blauen Ära inthroniert worden und musste dann zurücktreten – und der Oberste Gerichtshof hat das bestätigt – wegen mangelnder Abgrenzung zum Nationalsozialismus. Ich verstehe schon, dass Sie sich aufregen, nur, es nützt nichts, an den Fakten kommt man nicht vorbei. (Beifall bei den Grünen.)“
Und wir sind der Meinung, dass ein Rechtsextremist in der Funktion des Dritten Nationalratspräsidenten nichts zu suchen hat, und wir werden weiter diese Meinung offensiv vertreten, ob es Ihnen passt oder nicht.
Auch in diesem Fall erteilt die Präsidentin Prammer einen Ordnungsruf:
Herr Abgeordneter Dr. Walser, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf und ich halte Folgendes fest: Wann immer ich hier Vorsitz führe, werde ich jeder Person, die einer anderen Person hier im Haus Rechtsextremismus oder Linksextremismus vorwirft, einen Ordnungsruf erteilen. (Abg. Dr. Rosenkranz: Das ist ungeheuerlich, was der sagt! ) Das, glaube ich, hat hier in diesem Raum keinen Platz.
Den nächsten Ordnungsruf wegen des Vorwurfs des Rechtsextremismus an Martin Graf erhält Karl Öllinger (Grüne), der den Vorwurf ebenfalls inhaltlich zu begründen versucht:
Jetzt komme ich zum Punkt Rechtsextremismus im Allgemeinen. Wenn hier im Haus ein Abgeordneter eine Partei, andere Abgeordnete, einen Präsidenten des Nationalrates kritisiert, weil er ihn einer rechtsextremen Position bezichtigt, dann würde ich meinen, das muss erlaubt sein. Wenn wir das hier nicht machen können – und ich sage Ihnen das Beispiel dafür –, zu kritisieren, dass ein Präsident Graf einen Herrn Pendl einlädt, der vom Verfassungsgerichtshof bescheinigt bekommen hat, dass er als Universitätsrat zu Recht abberufen wurde und dass es zum Grundverständnis dieser Zweiten Republik gehört – das stand in der Begründung des Verfassungsgerichtshofes –, dass die kompromisslose Ablehnung des Nationalsozialismus ein grundlegen-des Merkmal der 1945 wiedererstandenen Republik ist, dann sage ich Ihnen, diese Bemerkung des Verfassungsgerichtshofes ist nicht zufällig drinnen gestanden.
Wenn dieser Herr Pendl, der vom Herrn Graf eine Medaille oder einen Privatorden erhält, bei einer Burschenschafter-Tagung in einem internen Burschenschafterstreit sagt, es wird der Einsatz der Wiener akademischen Burschenschaft Teutonia für die Einigung der Burschenschaften der Bundesrepublik Deutschland und der Ostmark hervorgehoben, und er sagt das im Jahr 2008, dann sage ich, da ist Feuer am Dach, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Freiheitlichen Partei. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)
Wenn der Herr Graf glaubt, diesen Herrn Pendl und einen Maler ehren zu müssen mit einer Medaille, einen Maler, der offensichtlich in der Tradition des Arno Breker arbeitet, dann hat auch der Herr Graf ein Problem. (Abg. Dipl.-Ing. Deimek: Kritisieren Sie das nicht hier, sondern gehen Sie zu Gericht! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ. ) Und dann muss es legitim sein, auch zu sagen, dass hier nicht nur ein Rechtsextremer geehrt wurde, sondern dass er auch von einem Rechtsextremen geehrt wurde. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Dr. Rosenkranz: Das verlangt einen Ordnungsruf! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)
Den von Walter Rosenkranz verlangten Ordnungsruf gibt es auch bei dieser Wortmeldung – diesmal wieder vom angegriffenen Martin Graf:
Sehr geehrter Herr Abgeordneter Öllinger, ich weiß, dass Sie in diesem Punkt durchaus provozieren wollen, aber: Es ist hier ständige Übung, dass wir uns mit derartigen Bemerkungen gegenüber anderen Abgeordneten, in dem Fall auch gegenüber dem Präsidenten, nicht wechselseitig extremistische Gesinnung vorwerfen – und das noch dazu grund- und haltlos.
Aus dem Grund erteile ich Ihnen für den mehrmaligen Vorwurf des Rechtsextremismus, auch gegenüber meiner Person, einen Ordnungsruf. (Beifall bei der FPÖ.)
Am nächsten Tag – der FPÖ-Abgeordnete Herbert Kickl hat kurz zuvor seine zynische Rede über die Davongelaufenen und Verhätschelten, derentwegen die PensionistInnen zu geringe Pensionen erhalten beendet – meldet sich der vorsitzführende Präsident Martin Graf zu Wort. Mittlerweile hat er in den stenografischen Protokollen das nachlesen können, was er angeblich am Vortag nicht gehört hat. Stefan Petzner hat mehrmals der Volksanwältin Theresia Stoisits wörtlich „Amtsmissbrauch“ vorgeworfen und erhält dafür einen Ordnungsruf. Für Martin Graf ist damit die Arbeit erledigt. Sein Amt zahlt sich aus. Er hat sich mit hilfloser Unterstützung durch Präsidentin Prammer selbst bestätigen können, dass er im Parlament nicht als Rechtsextremer bezeichnet werden darf. Ein sehr kleiner, aber wichtiger Punkt für den Dritten Präsidenten. Gilt zwar nur im Parlament bei der „freien Rede“, aber immerhin!