Sein Manifest hat er kurz vor seinen mörderischen Anschlägen per E‑Mail an ausgewählte Adressaten versandt. Am 23. Juli 2011 um 14h09, kurz vor seinen Attentaten, verschickt er sein Manifest an 1.003 Mail-Adressen unter dem leicht veränderten Namen Andrew Berwick und beschließt sein Begleitschreiben mit dem Hinweis „With the assistance from brothers and sisters in England, France, Germany, Sweden, Austria, Italy, Spain, Finland, Belgium, the Netherlands, Denmark, the US etc.“
Mittlerweile gibt es einige Informationen über die Adressaten. Rund ein Viertel der Mails ging nach Großbritannien, wie der „Guardian“ berichtet. Tanguy Veys, ein Parlamentarier des Vlaams Belang in Belgien, war einer der Adressaten, der sich nicht erklären konnte, warum Breivik ihm das Manifest zugesandt hat. Von Veys stammt die Schätzung über den hohen Anteil britischer Mail-Adressaten. Die britische Polizei hat inzwischen die Existenz von 250 britischen Adressaten bestätigt, die vermutlich zum Gutteil aus der rassistischen und rechtsextremen English Defence League (EDL) stammen. Drei Adressen gehören Funktionären der rechtsextremen British National Party (BNP), eine der neonazistischen Combat 18, berichtet der „Daily Telegraph“, der anscheinend über die komplette Liste verfügt.
Die „Neue Zürcher Zeitung“ berichtet in ihrer Sonntag-Ausgabe, dass auch mindestens sechs Schweizer unter den Empfängern sind. Vier davon distanzieren sich auf Nachfrage der „NZZ“ von dessen Tat, wollen ebenfalls keine Ahnung haben, warum Breivik ausgerechnet ihnen das Manifest zugesandt hat, es gar nicht beachtet oder gelöscht haben. Die NZZ findet unter ihnen einen Walliser mit rechtsextremen Verbindungen, einen Politiker der rechtsextremen Schweizer Demokraten, einen Berner Arzt, einen Unternehmer, einen Mentalcoach und einen Italiener mit Finanzgesellschaft in Zürich.
Auch aus Deutschland gibt es Erkenntnisse über den Empfängerkreis. Der „Tagesspiegel“ weiß aus Sicherheitskreisen, dass Breivik sein Manifest an die NPD-Zentrale in Berlin und an Adressen der Partei in Erfurt, Aschaffenburg und Unna geschickt habe. Aus den gleichen Quellen ist auch bekannt, dass Gruppierungen wie der Nationale Widerstand Dortmund, die Autonomen Nationalisten Ostfriesland und die rechtspopulistische Partei Bürger in Wut (Bremen) Adressaten waren. Die „taz“ wiederum weiß ebenfalls aus „Sicherheitskreisen“, dass die Bürgerbewegung Pro Köln ein Breivik-Mail erhalten hat. Während Pro Köln nach einer „ersten Überprüfung“ erklärt, in ihren Mailboxen finde sich keine Breivik-Mail, schiebt die „taz“ nach und nennt den Adressaten: einen Arbeitskreis von Pro Köln, die Christen pro Köln mit Regina Wilden, einer Funktionärin von Pro Köln.
In Portugal sind der Polizei die mehr als ein Dutzend Adressaten des Manifests bekannt, die Namen bzw. Organisationen wurden aber nicht veröffentlicht. In Finnland erklärte der Chef der rechtsextremen Wahren Finnen, das Manifest nicht direkt, sondern „über Umwege“ erhalten zu haben. In Schweden hat ein Ex-Mitglied der Schwedendemokraten eingeräumt, das Manifest im Voraus erhalten zu haben. In Ungarn, das Breivik mehrfach besucht haben will, erklärte der Ehrenpräsident der rechtsextremen Jugendbewegung 64 Burgkomitate, ebenfalls die Manifest-Mail zugesandt bekommen zu haben. Die meisten identifizierten Empfänger wollen von der Post nichts wissen und beschwichtigen. Nach Angaben des „Daily Telegraph“ sind viele von den 1000 Adressen nicht über eine personalisierte Empfängerkennung zu identifizieren. Eindeutig ist jedenfalls das rechtsextreme bzw. rassistische Umfeld der Adressaten.
Bleibt die spannende Frage offen, wer von Breivik in Österreich mit einer persönlichen Einladung, sein Manifest zu lesen und weiter zu verbreiten, bedacht wurde. Dass sich keine österreichischen Adressaten unter den 1000 finden, ist unwahrscheinlich. Immerhin verfügt die heimische rechtsextreme Szene über einige Namen, die – siehe die Schlusszeile von Breiviks Begleitschreiben! – zu seinen Brüdern und Schwestern zählen dürften.