Junge Welt: „Gebremste Ermittlungen”

Ein inter­es­san­ter Artikel aus der Jun­gen Welt:

Gebremste Ermittlungen

Jus­tiz in Öster­re­ich hat seit Monat­en ein Neon­azinet­zw­erk im Visi­er. Eine Spur führt nach Deutsch­land. Doch hier ist die zuständi­ge Staat­san­waltschaft nicht informiert

Von Frank Brunner


Got­tfried Küs­sel – hier auf ein­er Demo von FPÖ und Burschen­schaften am 9. Novem­ber 2008
Foto: www.insight.noblogs.org
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Von den Unter­suchun­gen gegen Dutzende Neon­azis, die seit Wochen in Öster­re­ich geführt wer­den, soll nichts nach draußen drin­gen. »Die Ermit­tlun­gen sind geheime Ver­schlußsache«, erk­lärte Thomas Vec­sey von der Staat­san­waltschaft Wien ver­gan­gene Woche auf Anfrage von junge Welt. Derzeit wür­den etliche Com­put­er unter­sucht, die bei ein­er Razz­ia Ende Okto­ber sichergestellt wur­den, mehr könne er nicht sagen, so Vec­sey. Die Vor­sicht ist dur­chaus nachvol­lziehbar. Denn die Geschichte, die sich derzeit in der Alpen­re­pub­lik abspielt, hat das Poten­tial zu einem hand­festen Skan­dal, der möglicher­weise bis nach Deutsch­land reicht. Dabei geht es um die rechte Inter­net­seite »alpen-donau.info«, die seit März 2009 online ist. Dort wer­den Migranten, Linke und alle anderen, die nicht ins schwarz-weiß-rote Welt­bild passen, bedro­ht, indem man ihre Fotos, Adressen und Tele­fon­num­mern veröf­fentlicht. Bis heute ist die Seite im Netz verfügbar.

Dubiose Beziehun­gen

Dabei hat­ten die Grü­nen bere­its im Som­mer 2009 eine entsprechende par­la­men­tarische Anfrage gestellt, worauf die Namen einiger Mitar­beit­er der Seite pub­lik wur­den. Darunter auch Got­tfried Küs­sel. Der heute 62jährige grün­dete 1986 die mil­i­tante Neon­az­itruppe »Volk­streue Außer­par­la­men­tarische Oppo­si­tion« (VAPO) und wurde 1993 wegen »NS-Wieder­betä­ti­gung« zu ein­er zehn­jähri­gen Haft­strafe verurteilt. Doch erst vor weni­gen Monat­en begann das Bun­de­samt für Ver­fas­sungss­chutz und Ter­ror­is­mus­bekämp­fung (BVT), gegen Küs­sel und weit­ere Verdächtige zu ermit­teln. Ende Okto­ber durch­sucht­en Beamte in Wien, Niederöster­re­ich, der Steier­mark, Kärn­ten und Tirol ins­ge­samt 18 Woh­nun­gen von mut­maßlichen Mit­gliedern des recht­en Net­zw­erkes. Sie beschlagnahmten Lap­tops, Handys und auch einige Waf­fen. Die Spuren führen unter anderem in die Mil­itärakademie und das Mil­itär­gym­na­si­um in Wien sowie in recht­sna­tionale Burschenschaften.

Doch trotz der großan­gelegten Aktion reißt die Kri­tik am Vorge­hen der Behör­den nicht ab. So hat­ten die Fah­n­der zunächst nur eine Durch­suchung in Wien durchge­führt, alle übri­gen Woh­nun­gen wur­den erst einen Tag später kon­trol­liert. Kaum vorstell­bar, daß die Recht­en nicht über die Razz­ia informiert waren. Mit »mehreren unab­hängi­gen Ermit­tlun­gen, bei denen es lei­der zu Über­schnei­dun­gen« gekom­men sei, recht­fer­tigte BVT-Chef Peter Griedling«, die Panne Anfang Novem­ber. Doch es gibt weit­ere Ungereimtheit­en. Der Stan­dard berichtete, daß auch der Sohn eines beim Inlands­ge­heim­di­enst beschäftigten Beamten Kon­tak­te zu Betreibern von »alpen-donau.info« haben soll. Die Behörde bestre­it­et, daß Infor­ma­tio­nen ins rechte Milieu gelangt sind. Mitte August sei der BVT-Mitar­beit­er ver­set­zt wor­den. Da liefen die Unter­suchun­gen allerd­ings schon einige Monate. Sich­er ist dage­gen, daß der Name des jun­gen Mannes – im Gegen­satz zu denen der anderen Verdächti­gen – vom Innen­min­is­teri­um anonymisiert wurde. Eben­falls ungewöhn­lich: Obwohl der Sohn des Beamten angezeigt wurde, ein­er der Ver­ant­wortlichen für die Inter­net­seite zu sein, ermit­telt die Staat­san­waltschaft bis­lang nicht gegen ihn, meldete Der Standard.

Schwere Vor­würfe gegen den Ver­fas­sungss­chutz kom­men zudem von mehreren Per­so­n­en, die auf der Inter­net­plat­tform bedro­ht wur­den. Sie seien nicht kon­tak­tiert wor­den, teil­weise habe sich die Polizei geweigert, entsprechende Anzeigen aufzunehmen, heißt es. Der frühere Polizist und Experte für Inter­netkrim­i­nal­ität, Uwe Sail­er, monierte darüber hin­aus, daß die Seite noch immer nicht ges­per­rt ist. Gründe für die schlep­pen­den Ermit­tlun­gen seien die »schützende Hand der Poli­tik und die Ver­strick­un­gen der FPÖ in die ein­schlägige Szene« sagte Sail­er der Zeitung Die Presse. Tat­säch­lich soll unter den Verdächti­gen auch ein ehe­ma­liger Mitar­beit­er des früheren drit­ten Nation­al­rat­spräsi­den­ten und Mit­gliedes der Frei­heitlichen Partei (FPÖ) Mar­tin Graf sein. Auch die Betreiber von »alpen-donau.info« ver­weisen auf ihre Kon­tak­te zur der recht­spop­ulis­tis­chen Truppe. Sail­er ver­mutet, daß die Betreu­ung der Seite längst ins Aus­land ver­legt wurde.

Verbindung nach Chemnitz

Damit dürfte er nicht ganz falsch liegen. Nach Infor­ma­tio­nen von junge Welthandelt es sich bei dem zuständi­gen Admin­is­tra­tor um ein Mit­glied der Chem­nitzer NPD. Der gel­ernte Kom­mu­nika­tion­se­lek­tron­iker hat eine eigene Web­fir­ma, die auch den Inter­ne­tauftritt der NPD betreut, früher war er zudem zuständig für die Seit­en des »Nationalen Bünd­niss­es Dres­den«. Für eine Stel­lung­nahme war der Mann bis­lang nicht zu erre­ichen. Die Chem­nitzer Staat­san­waltschaft wurde von den öster­re­ichis­chen Kol­le­gen über eine mögliche Verbindung nach Sach­sen bis­lang nicht informiert. »Die Unter­suchun­gen der Wiener Behör­den sind mir nicht bekan­nt, es gibt bei uns keine entsprechen­den Ermit­tlun­gen«, erk­lärte Ober­staat­san­walt Bernd Vogel gegenüber jW.

Doch auch der Chem­nitzer Bun­destagsab­ge­ord­nete Michael Leutert (Die Linke) erk­lärt, daß es in Zusam­men­hang mit »alpen-donau.info« Hin­weise auf die Beteili­gung säch­sis­ch­er Recht­sex­trem­is­ten gibt. »Den Eifer, mit dem in Sach­sen gegen ange­bliche link­sex­treme Gesin­nun­gen vorge­gan­gen wird, soll­ten die Behör­den bess­er da zeigen, wo er notwendig ist: im Kampf gegen rechts«, sagte Leutert am Dien­stag gegenüber junge Welt. Der Hin­ter­grund: Sach­sen will bei der Ver­gabe von För­der­mit­teln und Preis­geldern an Vere­ine und Pro­jek­te kün­ftig ver­lan­gen, daß sich die Organ­i­sa­tio­nen von »link­sex­tremen« Grup­pen distanzieren.