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Rechtsextreme Schwedenregierung?

Mit dem Ergeb­nis der Wahl zum schwe­di­schen Reichs­tag am 11. Sep­tem­ber steigt die Wahr­schein­lich­keit, dass die Schwe­den­de­mo­kra­ten (SD), eine Par­tei mit neo­na­zis­ti­schen Wur­zeln, in den nächs­ten Jah­ren die Poli­tik Schwe­dens maß­geb­lich mit­be­stim­men könn­ten. Aber was sind die Schwe­den­de­mo­kra­ten eigent­lich: rechts­kon­ser­va­tiv oder rechts­extrem? Und war­um waren sie so erfolg­reich? 20,54 Pro­zent der Stim­men erziel­ten die Schwedendemokraten […]

20. Sep 2022

20,54 Pro­zent der Stim­men erziel­ten die Schwe­den­de­mo­kra­ten bei den Wah­len zum Schwe­di­schen Reichs­tag am 11. Sep­tem­ber 2022, ein Plus von 3,01 Pro­zent­punk­ten. Die der­zeit allein­re­gie­ren­den Sozi­al­de­mo­kra­ten (S) kamen auf Stim­men­ge­win­ne von 2,07 Pro­zent­punk­ten und blie­ben weit­aus stimm­stärks­te Par­tei mit 30,33 Pro­zent, wäh­rend die Rechts­li­be­ra­len von der „Mode­ra­ten Samm­lungs­par­tei“ (M) mit 19,1 Pro­zent Stim­men ver­lo­ren (0,74 %-Punk­te) und damit nur mehr dritt­stärks­te Par­tei sind. Der den­noch mit der Regie­rungs­bil­dung beauf­trag­te Wahl­ver­lie­rer Ulf Krist­ers­son von der M wird ver­su­chen, die zweit­stärks­te Par­tei mit­ein­zu­bin­den. Das erin­nert an die Regie­rung Schüs­sel I im Jahr 2000, wo eben­falls die dritt­stärks­te Par­tei, die ÖVP, ent­ge­gen ihrer Ver­spre­chen die Regie­rung gemein­sam mit der zweit­stärks­ten Par­tei, der FPÖ bil­de­te und damit die stimm­stärks­te Par­tei, die SPÖ, aus­brems­te. Ein Unter­schied fällt auf: Die SPÖ hat­te 1999 im Unter­schied zu den schwe­di­schen S heu­er annä­hernd fünf Pro­zent ihrer Stim­men ver­lo­ren, wäh­rend die FPÖ eben sovie­le Pro­zen­te hin­zu­ge­wann (die ÖVP ver­lor 1,38 %).

Was an der öster­rei­chi­schen Bericht­erstat­tung über die schwe­di­schen Wah­len auf­fällt, sind die gro­ßen Unsi­cher­hei­ten bzw. Unschär­fen in der Beschrei­bung, die manch­mal sogar ins Ten­den­zi­el­le abglei­ten. Etwa, wenn von einem „Links­block“ die Rede ist, der die Wahl ver­lo­ren haben soll. Rich­tig ist: Es gab eine sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Min­der­heits­re­gie­rung, die von Grü­nen und Kom­mu­nis­ten eben­so gedul­det wur­de wie von der bür­ger­li­chen Zentrumspartei.

Die bis­he­ri­gen rech­ten Oppo­si­ti­ons­par­tei­en wur­den – immer unter Hin­zu­rech­nung der SD – als „bür­ger­lich-kon­ser­va­tiv“, „Mit­te-Rechts-Lager“, sel­ten dage­gen als „Rechts­bünd­nis“ oder „kon­ser­va­tiv-rech­ter Block“ titu­liert. Weil aber bis vor kur­zem alle Par­tei­en der gemä­ßig­ten Rech­ten (neben den M die Kon­ser­va­ti­ven, Christ­de­mo­kra­ten, Libe­ra­len) eine Zusam­men­ar­beit mit den Schwe­den­de­mo­kra­ten wegen deren rechts­extre­mer und ras­sis­ti­scher Posi­tio­nen strikt abge­lehnt haben, ver­bie­ten sich eigent­lich sol­che For­mu­lie­run­gen. Das „Lager“ der gemä­ßig­ten rech­ten Oppo­si­ti­ons­par­tei­en (die alle­samt leicht ver­lo­ren haben) kam auf schlap­pe 29,05 Pro­zent – schwä­cher als die Sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Partei.

Gra­vie­ren­der sind des­halb die Zuschrei­bun­gen für die SD, die zwar häu­fig als rechts­po­pu­lis­tisch, dane­ben aber auch (ver­harm­lo­send) als „rechts­kon­ser­va­tiv“, „rechts­na­tio­nal“ oder sim­pel als „natio­na­lis­tisch“ bezeich­net wer­den. Sel­ten kommt „rechts­extrem“ als Beschrei­bung. Mit den ver­harm­lo­sen­den Attri­bu­ten kön­nen die SD pro­blem­los ein­ge­mein­det wer­den in ein „Mit­te-Rechts-Lager“ oder einen „kon­ser­va­tiv-rech­ten Block“.

Rechts­kon­ser­va­tiv, rechts­po­pu­lis­tisch oder doch rechtsextrem?

Die Schwe­den­de­mo­kra­ten hat­ten ihre Wur­zeln bei ihrer Grün­dung 1988 ganz ein­deu­tig im Neo­na­zi-Milieu. Das ist nicht bloß eine Behaup­tung von Stieg Lars­son („Expo“) oder von „Stoppt die Rech­ten“, son­dern ließ sich heu­er die Par­tei SD selbst in einem Weiß­buch bestä­ti­gen. Das läuft dann unter „Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung“, die damit abge­schlos­sen sei, was des­halb Applaus bei der gemä­ßig­ten Rech­ten findet.

Die­ser Bericht hat his­to­ri­schen, aber nicht den gerings­ten poli­ti­schen Wert“, bestä­tig­ten sich die Schwe­den­de­mo­kra­ten selbst. Stimmt lei­der nicht. Wie das von Stieg Lars­son gegrün­de­te Maga­zin „Expo“ in zahl­rei­chen Recher­chen nach­wies, schei­nen auch bei die­ser Wahl über 200 Kandidat:innen auf den Wahl­zet­teln der Par­tei auf, „die Alt­na­zis fei­ern, Anti­se­mi­tis­mus ver­brei­ten, Mus­li­me „aus­rot­ten“, „Schwar­ze an den Baum knüp­fen“ und „Soma­li­er über den Hau­fen fah­ren“ wol­len“ (taz.de, 12.9.22).

Beim Som­mer­volks­fest in Vis­by im Juli auf Got­land hetz­te Par­tei­füh­rer Jim­mie Åkes­son gegen die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Regie­rungs­chefin: „Sie hat die letz­ten Jah­re bewusst dar­an gear­bei­tet, ein Land zu zer­stö­ren.“ (fr.de, 18.9.22) Es war ein Zufall, aber sehr bezeich­nend, dass am sel­ben Tag bei dem­sel­ben Fest ein Neo­na­zi die „64 Jah­re alte Ing-Marie Wie­sel­gren, eine Vor­kämp­fe­rin für mehr und bes­se­re Psych­ia­trie“ (fr.de) ersto­chen hat. Wie sich her­aus­stell­te, war der Täter nicht nur in der neo­na­zis­ti­schen „Nor­di­schen Wider­stands­be­we­gung“ aktiv, son­dern auch als Sym­pa­thi­sant der SD aufgetreten.

Seit 2010 leh­nen die SD ganz offi­zi­ell Ras­sis­mus ab (Åkes­son: „Null­to­le­ranz gegen Ras­sis­mus“). Klingt gut, beißt sich aber extrem mit Äuße­run­gen des Par­tei­chefs, in denen er auf die Fra­ge, war­um es Migrant:innen auf dem schwe­di­schen Arbeits­markt so schwer haben, ant­wor­te­te: „Weil sie kei­ne Schwe­den sind. Sie pas­sen nicht nach Schwe­den.

Nicht nur in ihrem alten Par­tei­pro­gramm von 1989, son­dern auch ganz aktu­ell pro­pa­gie­ren die SD ihre Vor­stel­lun­gen von einer eth­nisch und kul­tu­rell homo­ge­nen „wei­ßen“ Nati­on. Das ist Ras­sis­mus pur. Für ihren frü­he­ren Frak­ti­ons­chef, Mat­ti­as Karls­son, ist es ein „Kampf auf Leben und Tod“, den die Schwe­den­de­mo­kra­ten da füh­ren: Migrant:innen raus, dann gibt es kei­ne Kri­mi­na­li­tät und die schwe­di­sche Vari­an­te der Volks­ge­mein­schaft, „Folk­hem­met“ in ihrer ursprüng­lich rech­ten Bedeu­tung funk­tio­niert wie­der: „Wenn wir nur die­ses Sta­di­um errei­chen, droht das Para­dies, frei von Kon­flik­ten und tren­nen­den soge­nann­ten Son­der­in­ter­es­sen wie dem Indi­vi­dua­lis­mus des Libe­ra­lis­mus und den Soli­da­ri­täts- und Gleich­heits­ideen der Sozi­al­de­mo­kra­tie“, beschreibt „Expo“ die gru­se­li­ge, aber ein­gän­gi­ge Visi­on der SD.

Der ideo­lo­gi­sche Kern ist im Wesent­li­chen unver­än­dert, in ihren Erschei­nungs- oder poli­ti­schen Dar­rei­chungs­for­men sind die SD über die Jahr­zehn­te aber sehr fle­xi­bel: von neo­li­be­ral über Zen­trum bis sozi­al­kon­ser­va­tiv (sie­he „Expo“-Beitrag!) war alles schon da; das ken­nen wir ja auch von der FPÖ. Bei den Schwe­den­de­mo­kra­ten han­delt es sich um eine rechts­extre­me Par­tei. Bes­ten­falls kann man ihr rechts­po­pu­lis­ti­sche Ele­men­te attes­tie­ren, wenn die­ses Attri­but über­haupt noch etwas taugt.

Den ande­ren Par­tei­en fehlt weit­ge­hend eine Vor­stel­lung, wie und wohin sich das Land, die Gesell­schaft ent­wi­ckeln soll, ist der Befund von „Expo“, und das trifft ähn­lich auch für Öster­reich zu. Im Wahl­kampf gab es eine ein­zi­ge Erzäh­lung zum The­ma Kri­mi­na­li­tät, das war die der Schwe­den­de­mo­kra­ten, der die ande­ren Par­tei­en nach­ei­fer­ten: „außer popu­lis­ti­schen Slo­gans à la ‚Next Stop Kabul‘“ (Schwe­den­de­mo­kra­ten), „Wir wol­len kein Soma­li­town“ (Sozi­al­de­mo­kra­ten) und ‚Ver­pflich­ten­de ADHS-Tests in Ein­wan­de­rer­ge­bie­ten‘ (Kon­ser­va­ti­ve) fan­den sich im Wahl­kampf kaum nach­hal­ti­ge Lösungs­vor­schlä­ge“, resü­miert Bian­ca Blei in einem Kom­men­tar für den „Stan­dard“.

Die Mode­ra­ten mit ihrem Chef Ulf Krist­ers­son wol­len an die Macht. Wie’s aus­sieht, fast um jeden Preis, auch um den einer Koali­ti­on mit den SD. 2018 hat ihr Vor­sit­zen­der der rumä­nisch-schwe­di­schen Holo­caust-Über­le­ben­den und Ausch­witz-Insas­sin Hédi Fried noch ver­spro­chen, „nie und nim­mer“ mit den Schwe­den­de­mo­kra­ten zu koope­rie­ren. Das Ver­spre­chen habe nur für die Wahl 2018 gegol­ten, inter­pre­tiert er jetzt sein „nie und nim­mer“ neu, nach­dem Tau­sen­de sei­ne jüngs­ten Instrgram und Face­book-Pos­tings mit dem Hash­tag „Hédi Fried“ geflu­tet haben.

Tausende "Hédi Fried"-Kommentare bei Ulf Kristersson (hier Ausschnitt Facebook)
Tau­sen­de „Hédi Fried”-Kommentare bei Ulf Krist­ers­son (hier Aus­schnitt Facebook)

Ob und in wel­cher Form es zu einer Koope­ra­ti­on oder gar Koali­ti­on der geschwäch­ten gemä­ßig­ten Rech­ten mit den Rechts­extre­men kom­men wird, hängt mög­li­cher­wei­se von den völ­lig aus­ge­dünn­ten Libe­ra­len ab, die mit 4.6 Pro­zent ihr his­to­risch schlech­tes­tes Wahl­er­geb­nis erzielt haben.

Ulf Kristersson mit Hédi Fried und Kristersson mit Jimmie Åkesson (Twitter)
Ulf Krist­ers­son mit Hédi Fried und Krist­ers­son mit Jim­mie Åkes­son (Twit­ter)

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