In seinem Roman „Der Friedhof in Prag“ setzt sich Eco mit der widerlichsten Verschwörungserzählung der Neuzeit, den antisemitischen „Protokollen der Weisen von Zion“ auseinander. 2021 erschien bei Hanser übrigens ein Büchlein von Eco mit dem Titel „Verschwörungen. Eine Suche nach Mustern“, in dem einige wichtige Gedanken von Eco zu dem Thema zusammengetragen wurden. Eco ist 2016 verstorben. Er selbst kann sich also nicht dagegen wehren, wenn etwa Schwurbler im Jahr 2022 mit folgendem ihm zugeschriebenen Zitat hausieren gehen:
Der Faschismus von heute hat äußerlich nichts mit dem aus der Vergangenheit zu tun. Keine Uniformen, kein Stechschritt und erhobener Grußarm. Nein, er ist modern, raffiniert verpackt und wird mit PR verkauft.…aber der Geist, der dahinter steckt, die totale Kontrolle und Ausbeutung, die Zensur, die Mediengleichschaltung, die Lügen, die Untersrückung und die Angriffskriege.…die Resultate sind dieselben. Die meisten Menschen sehen das nicht und sind durch die Propaganda völlig geblendet. (Fehler im Original)

Ö.R. hat das am 22. Februar 2022 gepostet, mit einem Foto von Eco versehen, und dafür nicht nur ein paar Likes, sondern auch 14 Teilungen erhalten. Das ist nicht üppig, aber wer auf Facebook nach dem Fake-Zitat sucht, kommt gleich auf wesentlich mehr Uploads: Es wird fleißig geteilt – vermutlich auch auf anderen Kanälen.
Die in dem Zitat angebotenen Merkmale des Faschismus sind so oberflächlich und unbestimmt, dass sie für viele Staaten bzw. politischen Systeme angenommen werden können. Für einen Corona-Schwurbler wie Ö.R. also bestens geeignet. Den Angriffskrieg, der im Zitat auch vorkommt, bezieht Ö.R. schon rein zeitlich nicht auf Russland (Posting stammt vom 22.2.), den lässt er Tage später durch einen astrologischen Käse vom Feinsten („astrale Indikatoren“ deuten auf Frieden) zerreden.
Zurück zum Zitat: Ecos Gedanken zum Faschismus finden sich in dem lesenswerten Essay „Der ewige Faschismus“, der in dem gleichnamigen Buch bei Hanser 2020 erschienen ist. Das Zitat ist darin nicht enthalten, dafür eine durchaus interessante und auch brauchbare Aufzählung von 14 Merkmalen des Faschismus (eine kurze Zusammenfassung hier).

2. Dazu gehört die Ablehnung der Moderne, wobei der eigentliche Fokus die Ablehnung von Aufklärung und Vernunft ist.
3. Kultur ist verpönt, insofern sie kritische Haltung einnimmt.
4. Kritik und Dissens ist im Sinne des Ur-Faschismus Verrat.
5. Ur-Faschismus beruht auch auf der Angst vor dem Andersartigen.
6. Gesellschaftliche beziehungsweise individuelle Frustration ist idealer Nährboden für Faschismus und darauf gründet sich auch der Ur-Faschismus.
7. Der Verlust der gesellschaftlichen Identität verführt zu einer Obsession von Verschwörung, indem man sich auf den Nationalismus einschwört.
8. In der Polarisierung der Feinde von gleichzeitig zu stark und zu schwach wird die Annahme impliziert, dass ein Sieg möglich ist.
9. Der Ur-Faschismus ist kein Kampf ums Überleben, sondern vielmehr ein Leben für den Kampf.
10. Elitedenken ist ein wichtiges Element einer reaktionären Ideologie.
11. Dazu gehört auch die Perspektive auf ein Heldentum.
12. Auch Sexualität ist von Macht geprägt, was eben auch bedeutet, dass alle diejenigen abgelehnt beziehungsweise verurteilt werden, die nicht zum Standard der postulierten Sexualgewohnheiten zählen.
13. Kennzeichen eines Ur-Faschismus ist auch ein selektiver oder qualitativer Populismus, wo die Identifikation über eine Führerfigur erfolgt, an die die Bürger ihre Rechte abgetreten haben.
14. Dazu gehört auch eine Sprache, die ein verarmtes, spezifisches Vokabular benutzt und eine versimpelte Syntax anwendet, „um das Instrumentarium für komplexes und kritisches Denken zu begrenzen. (Der ewige Faschismus, S. 38)
Wir suchen also weiter. Auf dem stark rechtsgestrickten Verschwörungsportal „Rubikon“ werden wir fürs Erste fündig. Dort ist 2021 eine ziemlich windige „Richtigstellung“ erschienen: Das Zitat, das in einem zehn Jahre alten Beitrag erschienen ist, stamme nicht von Umberto Eco, schreibt der Herr Chefredakteur: „Ich kann dies heute nicht mehr abschließend prüfen, gehe jedoch nach meiner soeben erfolgten Recherche davon aus, dass das Zitat nicht von Umberto Eco stammt und möchte mich für diesen Fehler entschuldigen — und ihn zugleich transparent und öffentlich machen.“

Soweit, so gut. Dann aber kommt die halbe Rücknahme der Entschuldigung. Zitat ist zwar nicht von Eco, aber trotzdem korrekt wiedergegeben und könnte daher auch von ihm so gedacht worden sein: „Soweit es mir heute möglich ist, den Vorgang nachträglich zu beurteilen, scheint das Zitat zwar korrekt wiedergeben zu sein (und ist inhaltlich ohnehin zutreffend), jedoch nicht von Umberto Eco, sondern von einem anonymen Autor zu stammen, der diese Sätze Umberto Eco betreffend formulierte.” Eine geschwurbelte Richtigstellung also. Aber ist ihr überhaupt zu trauen? Wo hat der Herr Chefredakteur recherchiert, was er nicht mehr „abschließend prüfen“ konnte? Auf seinem WC?
Auf der (rechten) Querfront-Seite „scharf links“ vom 12.1.13 finden wir das angebliche Eco-Zitat wieder, erweitert um folgende Sätze über Berlusconi:
Der Zustand der Demokratie in Italien ist seit der Wahl im April der faschistischen Regierung Berlusconis stark gefährdet. Wir können hinschauen, wo wir wollen, in allen westlichen Ländern, ob in Amerika oder Europa, gewinnen die Faschisten immer mehr Macht (und die Linken helfen ihnen dabei) und verwandeln die Länder in Überwachungs- und Polizeistaaten.
Damit ist klar: Das kann kein Eco sein. Umberto Eco war zwar ein scharfer und klarer Gegner von Berlusconis Politik, aber er hätte nie dessen Regierung als faschistisch beschrieben. 2010 erklärt er dazu in einem Gespräch mit der „Frankfurter Rundschau“:
Er hat die Gesinnung eines Herrschers, nicht die eines Demokraten. Obwohl ich jetzt auch nicht zu jenen Gegnern gehöre, die ständig zetern, er habe den Faschismus in Italien wiedereingeführt. Das hat er nicht: Es ist ja nicht so, dass er die Opposition ins Gefängnis gesteckt hätte. Er hat vielmehr eine neue Form des medialen Populismus’ eingeführt. Und der könnte eine neue Form von nicht-repräsentativer Demokratie sein.
Aber über das erweiterte Zitat kommen wir der Sache durch Suche näher. Auf der Verschwörerseite „Alles Schall und Rauch“ vom 3. Juli 2008 finden wir die Quelle. Nicht sehr eindeutig, aber doch erkennbar getrennt, findet sich unter dem Text eines unbekannten Redakteurs dann der kursiv gesetzte und kluge Text von Eco „Die Minderheit hat die Pflicht zu protestieren“, der am 2. Juli 2008 in der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“ als Leserbrief von Eco erschienen ist. Die Abschreiber und Zitatfälscher haben den kurzen Text von Eco mit dem redaktionellen Geschreibsel von „Alles Schall und Rauch“ zusammengemischt und das Ganze als Text von Eco ausgegeben. Eine ziemlich brutale, bösartige und auch dumme Fälschung!
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