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Die braune Venus

Ein Bau­er hat­te sie 1917* auf einem Acker in Gunsk­ri­chen aus­ge­gra­ben: eine Venus­sta­tue, die aus der Römer­zeit stammt und die die Stadt Wels 1926 erwor­ben hat­te. Der Wel­ser Bür­ger­meis­ter Rabl hat nun eine Nach­bil­dung im Wel­ser Zen­trum auf­stel­len las­sen. Kein Pro­blem? Doch: Denn die Venus von Wels wur­de im Natio­nal­so­zia­lis­mus zum Kult­ob­jekt hoch­sti­li­siert. Nun gibt’s […]

27. Mai 2021
Die Venus von Wels (Wikipedia)
Die Venus von Wels (Wikipedia)

Die Anti­fa Ober­ös­ter­reich reagier­te mit einer Aus­sendung am 1. April 2021:

Die Lis­te der blau­en „Ein­zel­fäl­le“ ist wie­der um einen län­ger gewor­den. Denn der Wel­ser FPÖ-Bür­ger­meis­ter Andre­as Rabl hat die „Venus von Wels“ nach­bil­den und in der Fuß­gän­ger­zo­ne Schmidt­gas­se auf­stel­len las­sen. Ober­fläch­lich betrach­tet scheint das harm­los zu sein: Die hand­gro­ße anti­ke Ori­gi­nal­sta­tue der römi­schen Lie­bes­göt­tin war 1913 von einem Guns­kirch­ner Bau­ern aus­ge­gra­ben worden.

Doch nach dem „Anschluss“ mach­ten die Natio­nal­so­zia­lis­ten die Venus zum Kult­ob­jekt – wohl, weil sie ihrem „Ras­seide­al“ ent­sprach. Sie schu­fen nicht nur eine gro­ße Nach­bil­dung der Sta­tue, son­dern auch meh­re­re klei­ne Nach­bil­dun­gen. Mit der Über­ga­be von letz­te­ren ehr­te der Wel­ser NS-Bür­ger­meis­ter Josef Schul­ler „ver­dien­te Män­ner der Bewe­gung“. „Der ers­te Emp­fän­ger war Hit­lers Kampf­ge­fähr­te Her­mann Göring, damals Pate von Wels“, berich­tet Gün­ter Kal­li­au­er, frü­he­rer Lei­ter des Stadt­ar­chivs und einer der bes­ten Ken­ner der Stadtgeschichte.

Unge­ach­tet der brau­nen Sym­bo­lik stand die gro­ße Nach­bil­dung der Venus nach dem Krieg jahr­zehn­te­lang auf dem Mes­se­ge­län­de. Doch dann änder­te sich das öffent­li­che Bewusst­sein: Als 2010 der dama­li­ge FPÖ-Vize­bür­ger­meis­ter Bern­hard Wie­ser – er war u.a. durch eine Unter­stüt­zungs­un­ter­schrift für die neo­na­zis­ti­sche NVP auf­ge­fal­len – die NS-Sta­tue vor dem Kul­tur­zen­trum Her­mi­nen­hof wie­der­auf­stel­len woll­te, stieß das auf brei­ten Wider­stand. Nach Pro­tes­ten der Wel­ser Anti­fa durch­kreuz­ten SPÖ und ÖVP den Plan.

Jetzt, gut zehn Jah­re spä­ter, zollt Bür­ger­meis­ter Rabl dem Kult­ob­jekt sei­nes Vor­läu­fers Schul­ler Tri­but: Ohne Ein­bin­dung von SPÖ-Kul­tur­stadt­rat Johann Reindl-Schwaig­ho­fer ord­ne­te er eine neue Nach­bil­dung der Venus an und plat­zier­te sie nahe dem Stadtplatz.

„Dass Bür­ger­meis­ter Rabl mit­ten in Coro­na-Kri­se kei­ne ande­ren Sor­gen hat, als um Steu­er­geld einen neu­en brau­nen Fleck zu schaf­fen und dem Ruf von Wels zu scha­den, ist ein Skan­dal“, übt Anti­fa-Vor­sit­zen­der Wer­ner Retzl schar­fe Kri­tik. „Wir for­dern die sofor­ti­ge Ent­fer­nung die­ses über­flüs­si­gen FPÖ-Signals an alle Ewig­gest­ri­gen!“ (zit. nach dahamist.at)

Die Venus von Wels (Wikipedia)
Die Venus von Wels (Wiki­pe­dia)

Nach­dem 91 Per­so­nen, dar­un­ter renom­mier­te Historiker*innen und Politikwissenschafter*innen wie Mar­git Rei­ter, Micha­el John, Anton Pel­in­ka, der Rechts­extre­mis­mus­exper­te Andre­as Peham und eine Rei­he wei­te­rer bekann­ter Per­sön­lich­kei­ten in einem Brief ihren Pro­test aus­ge­drückt hat­ten, der Wel­ser Bür­ger­meis­ter aber stand­haft kei­nen NS-Bezug bei der Sta­tue fest­stel­len konn­te, ersuch­te das Maut­hau­sen Komi­tee Öster­reich (MKÖ) die His­to­ri­ke­rin Bir­git Kirch­mayr, ein Gut­ach­ten zu erstel­len. Und das scheint recht ein­deu­tig aus­ge­fal­len zu sein, wie das MKÖ in einer Aus­sendung bekannt gab:

Bir­git Kirch­mayr ist Pro­fes­so­rin für Zeit­ge­schich­te an der Johan­nes-Kep­ler-Uni­ver­si­tät Linz. Ihre Schwer­punk­te sind Natio­nal­so­zia­lis­mus, Kunst- und Kul­tur­ge­schich­te des 20. Jahr­hun­derts sowie Stadt- und Regio­nal­ge­schich­te. Sie gehört als wis­sen­schaft­li­che Koor­di­na­to­rin dem Kunst­rück­ga­be­bei­rat der Repu­blik Öster­reich an. Publi­ziert hat Bir­git Kirch­mayr unter ande­rem zum Umgang mit der NS-Ver­gan­gen­heit in öster­rei­chi­schen und deut­schen Städ­ten sowie zur „Aphro­di­te von Linz“. (…)

Bir­git Kirch­mayr (…) kommt in ihrem Gut­ach­ten zu einem ein­deu­ti­gen Urteil: „Ein Objekt kann nicht los­ge­löst von sei­ner Geschich­te betrach­tet wer­den. Im Fall der Wel­ser Venus besteht die­se Geschich­te nicht nur in ihrer alt­rö­mi­schen Her­kunft, son­dern eben auch in ihrer natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­ein­nah­mung. Eine heu­ti­ge Annä­he­rung an die Figur kann das nicht aus­blen­den. 80 Jah­re nach Ende der NS-Zeit ist gesell­schaft­lich, poli­tisch und wis­sen­schaft­lich in Öster­reich ein Level erreicht, in dem ein Ver­drän­gen oder gar Ver­harm­lo­sen von NS-Geschich­te nicht mehr akzep­tiert wird und natio­nal wie inter­na­tio­nal einer Kom­mu­ne nicht guttut.“

Die His­to­ri­ke­rin stellt eine „nicht weg­zu­dis­ku­tie­ren­de NS-Belas­tung“ auch der neu­en Venus-Nach­bil­dung fest. Die­se unkri­ti­sche Form einer Nach­bil­dung im öffent­li­chen Raum sei für die Aus­ein­an­der­set­zung unge­eig­net, so Kirch­mayr. Sie emp­fiehlt, die Figur im Muse­um auf­zu­stel­len und dort die gesam­te Geschich­te der Wel­ser Venus inklu­si­ve ihrer NS-Belas­tung zu erör­tern. Für den öffent­li­chen Raum wür­de es eine völ­lig neue Aus­ein­an­der­set­zung brau­chen, betont die His­to­ri­ke­rin. Dazu könn­ten bei­spiels­wei­se Bild­haue­rin­nen und Bild­hau­er ein­ge­la­den wer­den, eine zeit­ge­mä­ße Vari­an­te der Venus zu gestalten.

Wil­li Mer­nyi„Eine füh­ren­de Exper­tin hat die Argu­men­te geprüft und die Fra­ge geklärt. Unse­re Kri­tik an der brau­nen Venus ist also berech­tigt. Jetzt liegt es am Wel­ser Gemein­de­rat, die Stadt von die­ser Belas­tung zu befreien.“ 

Wer­ner Retzl, Vor­sit­zen­der der Wel­ser Initia­ti­ve gegen Faschis­mus, rech­net nicht mit der Ein­sicht des FPÖ-Bür­ger­meis­ters und sei­ner Stell­ver­tre­te­rin: „Höchst­wahr­schein­lich wird wei­ter geleug­net und gemau­ert. Des­halb müs­sen die ande­ren Par­tei­en das Pro­blem lösen. Frau Pro­fes­so­rin Kirch­mayr hat den Weg dazu gezeigt.“ 

Salzburger Volksblatt am 13. Januar 1941: Venus von Wels als Geburtstagsgeschenk für den Reichsmarschall Hermann Göring
Salz­bur­ger Volks­blatt am 13. Janu­ar 1941: Venus von Wels als Geburts­tags­ge­schenk für den Reichs­mar­schall Her­mann Göring

Nun hat Rabl ange­kün­digt, ein wei­te­res Gut­ach­ten in Auf­trag zu geben. Da böte sich doch Lothar Höbelt dafür an, damit Rabl das erhält, was er sich wünscht …

*Es wird in diver­sen Quel­len auch das Jahr 1913 kolportiert.

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