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Die braune Internationale – ein Dossier in „Die Zeit“

„Um »das Sys­tem« ins Wan­ken zu brin­gen, müs­se die »Bewe­gung« alles tun, was Anar­chie und Cha­os beför­dert – von »zufäl­li­gen Schie­ße­rei­en« bis zu »geziel­ten, zeit­glei­chen Mord­an­schlä­gen im gan­zen Land«.“ Das pos­tu­liert der ame­ri­ka­ni­sche Neo­na­zi James Mason in sei­nem 1992 ver­öf­fent­lich­ten Buch „Sie­ge“. Es dient als Vor­bild für die heu­ti­ge „brau­ne Inter­na­tio­na­le“. Für das Dos­sier „Die […]

4. Mrz 2021
Atomwaffendivision (Foto: Recherche Nord)
Atomwaffendivision (Foto: Recherche Nord)

Für das Dos­sier „Die brau­ne Inter­na­tio­na­le“ (Pay­wall!) in „Die Zeit“ recher­chier­ten ver­schie­de­ne Journalist*innen über acht Monate:

Sie gin­gen den Spu­ren des Neo­na­zis Fabi­an D. in der süd­deut­schen Pro­vinz nach, besuch­ten den Vor­den­ker der Bewe­gung, James Mason, zu Hau­se in Den­ver und kon­tak­tier­ten den Chef der Neo­na­zi-Grup­pe The Base. Aus Russ­land und den Nie­der­lan­den arbei­te­ten freie Kol­le­gen dem Team zu; der kana­di­sche Repor­ter Ryan Thor­pe, der zeit­wei­se under­co­ver Zugang zum inter­nen Chat von The Base hat­te, teil­te eini­ge sei­ner Informationen.

Der US-Ame­ri­ka­ner James Mason ist für die brau­ne Inter­na­tio­na­le ein Anzie­hungs- und Anknüp­fungs­punkt: Der gewalt­a­ffi­ne, mehr­fach wegen Kin­der­por­no­gra­phie, Miss­hand­lung Min­der­jäh­ri­ger und ande­rer Gewalt­de­lik­te ver­ur­teil­te Rechts­extre­mist ver­öf­fent­lich­te 1992 das Buch „Sie­ge“ (auf Deutsch „Bela­ge­rung“), in dem Nazi-News­let­ter aus meh­re­ren Jah­ren gesam­melt publi­ziert wur­den. Masons Buch gilt als Bibel für rechts­ter­ro­ris­ti­sche Grup­pie­run­gen wie etwa die auch in Euro­pa akti­ve „Atom­waf­fen Divi­si­on“. Er pos­tu­liert dar­in einen Stra­te­gie­wech­sel inner­halb der Rechts­extre­men: hin von hier­ar­chisch auf­ge­bau­ten Orga­ni­sa­tio­nen zum Kon­zept von regio­na­len Grup­pen („Zel­len“) bis zu Ein­zel­kämp­fern. Sie alle eint das ras­sis­ti­sche Phan­tas­ma, die wei­ße Ras­se welt­weit ver­tei­di­gen zu müssen.

Die 2015 von Ame­ri­ka­nern gegrün­de­te Neo­na­zi-Grup­pe „Atom­waf­fen Divi­si­on“ (AWD) ist eine der här­tes­ten Neo­na­zi-Grup­pie­run­gen welt­weit, in den USA wer­den AWD-Anhän­gern fünf Mor­de ange­las­tet. Sie ist stark von der Idee des füh­rer­lo­sen Wider­stands geprägt, die James Mason pro­pa­giert hat. Die AWD unter­hält Able­ger quer über Euro­pa – auch in Öster­reich wur­den bereits Pro­pa­gan­da-Auf­kle­ber gefun­den. Sie wur­de zwar 2020 offi­zi­ell in den USA auf­ge­löst, tauch­te jedoch unter einem ande­ren Namen wie­der auf: Natio­nal Socia­list Order. „»Ein Name ver­schwin­det, und du suchst dir einen ande­ren. So, wie man sei­ne Unter­wä­sche wech­selt«, sagt Mason.“

Eine zen­tra­le Rol­le für neo­na­zis­ti­sche Netz­wer­ke spie­len ukrai­ni­sche Orga­ni­sa­tio­nen wie das 2014 gegrün­de­te para­mi­li­tä­ri­sche Asow-Batail­lon, das inter­na­tio­na­le Söld­ner ver­sam­melt, die in den Ukrai­ne-Krieg zogen oder es zumin­dest geplant hatten.

Der Krieg in der Ukrai­ne (…) sei für Rechts­extre­me heu­te das, was Afgha­ni­stan in den 1980ern und 1990ern für Dschi­ha­dis­ten war. Damals gin­gen Got­tes­krie­ger aus vie­len Län­dern an den Hin­du- kusch und kämpf­ten gegen die von der Sowjet­uni­on unter­stütz­ten säku­la­ren Macht­ha­ber. Einer von ihnen war Osa­ma bin Laden. Aus einem har­ten Kern von Fana­ti­kern form­te er Al-Kai­da. Der Krieg am Hin­dukusch war so etwas wie der Urknall für den isla­mis­ti­schen Ter­ror des 21. Jahrhunderts.

Tat­säch­lich las­sen sich eini­ge Par­al­le­len zwi­schen rechts­extre­men Orga­ni­sa­tio­nen und Al Kai­da fin­den. „Die Zeit“ nennt die in den USA gegrün­de­te und mit inter­na­tio­na­len Able­gern agie­ren­de Neon­na­zi-Grup­pe „The Base“ – nach Eigen­de­fi­ni­ti­on eine Platt­form für Selbst­ver­tei­di­gung, aber angelehnt

an Al-Kai­da, deren Name eben­falls »die Basis« bedeu­tet. Klei­ne, auto­no­me Zel­len. Mög­lichst vie­le Stand­or­te. Obli­ga­to­ri­sches para­mi­li­tä­ri­sches Trai­ning. »Afgha­ni­stan ist ein gutes Bei­spiel dafür, wie eine ver­ei­ni­gen­de Ideo­lo­gie mili­tä­risch nutz­bar gemacht wur­de«, hieß es zeit­wei­se auf einem Base-Account auf Twit­ter. The Base sei bes­ser als Al-Kai­da und der »Isla­mi­sche Staat«, prahl­te ein Mitglied.

„Die Zeit“ erwähnt auch Ole­na Seme­n­ya­ka, die als inter­na­tio­na­len Sekre­tä­rin eine füh­ren­de Rol­le inner­halb von Asow und des­sen inter­na­tio­na­le Ver­net­zung spielt – das ist jene Frau, die für das ers­te Halb­jahr 2021 am Wie­ner Insti­tut die Wis­sen­schaf­ten vom Men­schen (IWM) ein Sti­pen­di­um erhal­ten hät­te sol­len. Erst als das über Twit­ter publik und hef­tig kri­ti­siert wur­de, hat man am Insti­tut die Reiß­lei­ne gezo­gen und Seme­n­ya­ka, die sich bereits in Wien auf­ge­hal­ten hat­te, wie­der aus­ge­la­den.

Die Fron­ten haben sich im Ver­gleich zum natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Freund-Feind-Sche­ma ver­scho­ben: Heu­te sind es öst­li­che Staa­ten, die in der NS-Zeit noch als sla­wi­sche Unter­men­schen figu­rier­ten, in die Rechts­extre­mis­ten pil­gern – Russ­land sei dabei, so „Die Zeit“, zum „Sehn­suchts­ort“ gewor­den, ein Boll­werk gegen den Wes­ten, gegen Ver­weich­li­chung und Migra­ti­on“. Der Rus­se Denis Gariew unter­hält in St. Peters­burg ein Aus­bil­dungs­zen­trum, in dem „patrio­ti­sche Gesinn­te“ Kriegs­spie­le trai­nie­ren – auch aus dem Wes­ten. In St. Peters­burg redet Gariew offen über sei­ne Rol­le. Er sagt: »Wir sind die ein­zi­ge Orga­ni­sa­ti­on mit star­ken, pro­fes­sio­nel­len Ver­bin­dun­gen zu Rech­ten auf der gan­zen Welt.«“

Wor­in besteht nun die neue Gefahr, die die Autor*innen orten? Dass sich Neo­na­zis welt­weit in einer braun gepräg­ten Ideo­lo­gie ver­bün­den, die sich noch vor nicht all­zu lan­ger Zeit auf­grund natio­na­ler Res­sen­ti­ments feind­lich gegen­über gestan­den wären. Ein Resul­tat: „Das Coun­ter-Ter­ro­rism Com­mit­tee des UN-Sicher­heits­rats stellt fest, dass es von 2015 bis 2020 bei der Zahl der rechts­ter­ro­ris­ti­schen Angrif­fe welt­weit einen stei­len Anstieg gege­ben habe: plus 320 Prozent.“

Braunes Netzwerk: aus Deutschland Identitäre, der "III. Weg" und "Die Rechte" zur Asow-Bewegung (Die Zeit)
Brau­nes Netz­werk: aus Deutsch­land Iden­ti­tä­re, der „III. Weg” und „Die Rech­te” zur Asow-Bewe­gung (Die Zeit)

Alle Zita­te aus „Die Zeit“, No 7, 11. Febru­ar 2021
➡️ Pod­cast zum Dossier

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