Bei Michael Häupl ist der Fall ganz einfach. Aus seiner Mitgliedschaft bei der pennalen Verbindung Rugia in Krems hat der Sozialdemokrat und Antifaschist nie ein Geheimnis gemacht. Die erste uns bekannte Meldung war im „Standard“ vom 19.2.1993 zu finden. In einem Interview mit den „Salzburger Nachrichten“ (10.7.09) sprach er von einem „Damaskuserlebnis“, das dazu geführt habe, dass er mit 19 „diese Truppe verlassen“ habe. Es blieb dem rechtsrechten „Wochenblick“ vorbehalten, viele Jahre später mit der „Enthüllung“ glänzen zu wollen, dass Häupl vor 50 Jahren „strammer Burschenschafter“ war.

Häupl hatte von einem „Damaskuserlebnis“ gesprochen, das zu seinem Austritt führte. Ein solches „Damaskuserlebnis“ hatte auch Viktor Adler, Mitglied der deutschvölkischen „braunen“ Arminia Wien (braun war damals nur das Unterscheidungsmerkmal bei den Mützen – zur Unterscheidung von der „blauen“ Arminia) und mit Engelbert Pernerstorfer und Georg (Ritter) von Schönerer an der Ausarbeitung des 1882 erstellten „Linzer Programms“, Grundsatzpapier der Deutschnationalen Österreichs, maßgeblich beteiligt. Der zunehmend rabiater werdende Antisemitismus von Schönerer und Co. bewirkte, dass in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts immer mehr Burschenschaften die Aufnahme von jüdischen Mitgliedern verweigerten und auch Alte Herren jüdischen Glaubens ausschlossen. Adler trat wegen des Antisemitismus bei den Arminen aus, sein Verbindungsbruder Engelbert Pernerstorfer, der sich bis zu seinem Lebensende zu Deutschnationalismus und Sozialdemokratie bekannte, aus dem gleichen Grund aus dem Deutschnationalen Verein.
Ein „Damaskuserlebnis“ durch den Antisemitismus der Burschenschaften hatte wohl auch der Schriftsteller Hermann Bahr (1863–1934), der 1883 wegen seiner wild antisemitischen und großdeutschen Rede beim Trauerkommers für Richard Wagner von der Universität Wien relegiert, von den Antisemiten um Schönerer aber gefeiert wurde. Bahr, ein Burschenschafter der heute noch aktiven Burschenschaft Albia Wien, stellte Jahre später, nachdem und weil er sich in Schriften klar vom Antisemitismus distanziert hatte (siehe Hermann Bahr, Der Antisemitismus), ein Austrittsgesuch an seine Burschenschaft und wurde von dieser „ehrenhaft“ entlassen.
Seinen Verbindungsbruder Theodor Herzl hatte die Albia nicht so generös behandelt. Als Herzl von den antisemitischen Exzessen beim Trauerkommers für Richard Wagner hörte, verließ er unter Protest seine Burschenschaft. Die verweigerte ihm deswegen einen „ehrenhaften“ Austritt.
Viele Jahre später aber wird die Mitgliedschaft Herzls in der Burschenschaft Albia sogar als Beleg dafür angeführt, dass es sich beim WKR- (jetzt FPÖ-Akademiker-)Ball nicht um eine antisemitische Veranstaltung handeln könne. Dominique Sopo, der Vorsitzende der französischen Organisation SOS Racisme, hatte der Vorsitzenden des Front National (jetzt Rassemblement National) die Teilnahme an einem „antisemitischen Ball“ von „Nostalgikern des Dritten Reichs“ vorgeworfen und war von ihr wegen Verleumdung geklagt worden. Le Pens Anwalt behauptete in der Berufungsverhandlung, dass die Mitgliedschaft Herzls in der (den WKR-Ball mitveranstaltenden) Burschenschaft Albia im Jahr 1881/82 doch Beleg dafür sei, dass es sich beim WKR-Ball nicht um eine antisemitische Veranstaltung handeln könne. Den Austritt Herzls 1883 erwähnte der Anwalt nicht – Sopo wurde vom Vorwurf der Verleumdung freigesprochen (Standard, 15.1.2016 und Stoppt die Rechten).
Heinz-Christian Strache hatte schon anlässlich seines Israel-Besuchs 2010, wo er mit dem Cerevis, dem Burschenschafterkäppi, in der Gedenkstätte Yad Vashem provozierte, vom „Burschenschafter und Patrioten“ Herzl (Presse, 7.12.2010) geschwärmt und die Behauptung aufgestellt, ohne Burschenschaften gäbe es keinen Zionismus (ORF-Pressestunde, 8.2.2009, Strache: „Es würde auch keinen Zionismus geben weil Theodor Herzl auch Mitglied war“). Purer Zynismus oder simple Dummheit?
2018 fühlte sich der Pressesprecher der steirischen Burschenschaften, Wolfgang Auf (Burschenschaft Stiria Graz) in einem Gastkommentar für den „Standard“ (18.4.2018) in Nachbearbeitung der Liederbuch-Affäre bei der pennalen Burschenschaft Germania Wiener Neustadt dazu berufen, namentlich Hermann Bahr, Victor Adler, Max Weber, Theodor Herzl und Heinrich Heine als Beleg für die aufrechte demokratische Gesinnung von Burschenschaftern zu präsentieren: „Es waren nicht die Schlechtesten, die sich mit Schläger, Mütze und farbigem Band identifizierten.“ Das ist schon ziemlich frech!
Heinrich Heine, der bei Auf auch als Kronzeuge für die Burschenschaften missbraucht wurde, ist übrigens schon 1820 aus seiner Burschenschaft (Allemannia Bonn) ausgeschlossen worden – und zwar wegen der antisemitischen Grundstimmung, die es schon damals bei bestimmten Burschenschaften gab.
Von Heine stammen auch die folgenden hellsichtigen Zeilen über die Gesinnung der Burschenschafter:

„Im Bierkeller zu Göttingen mußte ich einst bewundern, mit welcher Gründlichkeit meine altdeutschen Freunde die Proskriptionslisten anfertigten, für den Tag, wo sie zur Herrschaft gelangen würden. Wer nur im siebenten Glied von einem Franzosen, Juden oder Slawen abstammte, ward zum Exil verurteilt. Wer nur im mindesten etwas gegen Jahn oder überhaupt gegen altdeutsche Lächerlichkeiten geschrieben hatte, konnte sich auf den Tod gefaßt machen, und zwar auf den Tod durchs Beil, nicht durch die Guillotine, obgleich diese ursprünglich eine deutsche Erfindung und schon im Mittelalter bekannt war, unter dem Namen »die welsche Falle«.“
Im Unterschied zu den missbrauchten Kronzeugen führen einzelne Burschenschaften noch immer Listen mit „berühmten“ Burschenschaftern, die nie ausgeschlossen wurden, die auch nicht ausgetreten sind, deren Aktivitäten und Mitgliedschaften in nationalsozialistischen Einheiten aber (fast) immer verschwiegen werden. Mit ihnen werden wir uns auch noch beschäftigen!
Herzl Austrittsgesuch Albia (PDF)
