Ferdinand Berger Preis (Dankesrede)
Sehr verehrte Damen und Herren,
ich war siebzehn und sehr verliebt, da las ich den Roman Wem die Stunde schlägt von Ernest Hemingway und verliebte mich gleich noch einmal, in Maria nämlich, die Protagonistin des Romans, und das gelang mir, indem ich mich bis in die letzte Pore mit Robert Jordan identifizierte, dem männlichen Pendant. Der Roman spielt während des Spanischen Bürgerkriegs im Jahr 1937. Robert Jordan ist Amerikaner und kämpft in den Reihen der Internationalen Brigaden auf der Seite der Republikaner gegen die faschistischen Franquisten. Er lernt Maria kennen, die beiden verlieben sich ineinander. Sie schmiegen sich eng einer an den anderen, und als sie am Morgen am Rand eines Waldes erwachen, liegt Schnee auf dem Schlafsack und auf Marias Haar. Sie wurden geweckt vom Geschützdonner ihrer Feinde. Diese Szene las ich immer und immer wieder.
Auf unvergleichliche Art, eben auf hemingwaysche Art, verschmelzen miteinander Liebe, sexuelle Leidenschaft und leidenschaftliche Liebe zur Freiheit – wie könnte ein junges Herz sich dem verschließen! Die Diktatur, das war aus jeder Zeile des Romans herauszulesen, nimmt den Menschen alles: das Leben, die Freiheit und die Würde – die Würde, die in ihrer Essenz darin besteht, ein Mensch zu sein mit allen Rechten und Möglichkeiten. Nicht erst, wenn die Kanonen krachen, werden die Menschen entwürdigt. Wo Menschen mit Absicht, politischer Absicht, in Armut getrieben werden, auch dort werden sie entwürdigt. Wo Missgunst geschürt wird, um die Erniedrigung einer Menschengruppe zu rechtfertigen, dort wird bereits entwürdigt, absichtlich, aus politischem Kalkül heraus, was den Begriff der Niedertracht definiert. Niemand kann in unserem Land von einem Euro und fünfzig Cent pro Tag leben, und trotzdem gibt es solche, Klassenzweite, die vorpreschen, den Finger heben und ausrufen: He, ich kann’s noch besser, ich habe schon vor ein paar Jahren gefordert, man soll denen nur einenEuro geben. Es mag eine Kunst sein, den Menschen einzureden, wie werden erhöht, wenn andere erniedrigt werden; aber es ist eine niederträchtige Kunst, eine stinkende Kunst, es ist die Kunst des Bösmenschen … – Aber halt! Ich will nicht bitter sein, heute nicht.
In diesem wunderbaren Roman – den ich unbedingt bald wieder lesen möchte, es wird dann zum fünften oder sechsten Mal sein – wird viel über Politik und Widerstand, über Diktatur, Heldentum, Feigheit, Mitläufertum, Großzügigkeit, Weitherzigkeit und eben auch Niedertracht erzählt; vor allem aber wird – ja – von der Würde berichtet, und dass sie in eins fällt mit der Liebe; nicht mit der großen abstrakten Liebe zur ganzen Welt und zur ganzen Menschheit, die sich so leicht ideologisch instrumentalisieren lässt, nein, sondern der Liebe zwischen zwei Menschen. Ist dies nicht der schönste Gedanke, der in das Herz eines jungen Menschen gepflanzt werden kann – dass Würde und Liebe eins sind?
Ich fantasierte mich in eine gefährliche, politisch prekäre Situation, es erschien mir als ein Glück, unter einer Diktatur zu leben und gegen diese mit Leidenschaft und Freiheitsliebe zu kämpfen, gemeinsam mit einer jungen Frau, am besten der Schülerin aus der 7.b., in die ich verliebt war – wir beide wie Maria und Robert Jordan. Sie wusste nicht, dass ich in sie verliebt war; sie mochte mich gern. Wir spazierten in Feldkirch auf die Schattenburg oder an der Ill entlang bis zur Mündung in den Rhein und redeten, redeten, sprachen über Bücher, die für uns Fenster in die Welt hinaus und in die Vergangenheit zurück waren; wir sprachen über Autoren, die wir verehrten, sie über Jean Paul Sartre, ich über Albert Camus, und eben auch über Ernest Hemingway. Ich gab ihr Wem die Stunde schlägt zu lesen. Sie war begeistert. Ich denke, sie identifizierte sich mit Maria. Ob sie mich als Robert Jordan an ihrer Seite sah – wenn ja, dann haben meine und ihre Schüchternheit uns beiden eine Freude verdorben.
Im selben Jahr, in dem der Roman spielt, war auch Ferdinand Berger in Spanien und kämpfte dort auf der richtigen Seite, auf der Seite der Republik, der Freiheit, der Anständigkeit, der Menschlichkeit, der Würde; auf der Seite, auf der Maria und Robert Jordan kämpften. Ferdinand Berger war wie Robert Jordan einer der Freiwilligen in den internationalen Brigaden, die aus ganz Europa, aus der ganzen Welt, nach Spanien gezogen waren, um gegen die Diktatur zu kämpfen. Er war in Spanien, als Kampfflugzeuge aus Nazideutschland, die berüchtigte Legion Condor, die Stadt Guernica bombardierten – das Gemälde von Picasso legt von diesem Inferno Zeugnis ab. Ferdinand Berger war ein Mutiger, ein Guter; im Herzen der Freiheit darf über ihn als von einem Helden gesprochen werden.
Ja, es ist denkbar – und für den Schriftsteller ist dieser Gedanke alles andere als abwegig –, dass die drei, Ferdinand Berger, Maria und Robert Jordan, einander kennengelernt haben. Ich sag es lieber in der Gegenwartsform: dass sie einander kennenlernen. In Spanien. Und Robert Jordan fragt Ferdinand Berger: „Was wirst du tun, wenn du wieder nach Österreich zurückkehrst?“
Ferdinand Berger ist nach der Rückkehr in seine Heimat, die nun nicht mehr seine Heimat war, eingesperrt worden, er wurdein die Konzentrationslager Dachau und Flossenbürg verschleppt. Er hat die Erniedrigung und Entwürdigung unseres Landes am eigenen Körper erfahren. Er hatte die Gefahr frühzeitig erkannt, er hatte die kleinen Schritte zusammengezählt und hatte gesehen, wohin sie führen, von Spanien aus über einen großen Teil Europas, und er hat sich gegen diese Entwicklung gestemmt, von Anfang an. Bereits mit siebzehn Jahren, 1934, kämpfte er gegen die Ausschaltung des österreichischen Parlaments unter Kanzler Dollfuß und gegen den Austrofaschismus.
Nach dem Krieg und der Befreiung vom Nationalsozialismus ist Ferdinand Berger Polizist geworden. Ein guter Gedanke, ein beruhigender Gedanke, ein reifer Gedanke: dass ein Mann, der für die Demokratie, die Freiheit, für die Würde des Menschen gekämpft hat, dass dieser Mann für die Sicherheit und Ordnung in dem neuen Österreich sorgen will. Ferdinand Berger wollte, dass die Polizei, die sich in der Vergangenheit so oft als Instrument der Unterdrückung und der Unmenschlichkeit missbrauchen ließ, nun ein Hort der Demokratie werde. Wie sehr wünschen wir uns heute, dass solche Männer und Frauen den Geist unserer Exekutive bestimmen!
Sehr verehrte Damen und Herren, es ist eine Ehre für mich, den Ferdinand Berger Preis entgegenzunehmen. Ich hoffe, wir alle hoffen, dass nie wieder in unserem Land eine gefährliche, politisch prekäre Situation eintritt, in der ich mich dieser Ehre für würdig erweisen muss.
Vielen, herzlichen Dank!
Michael Köhlmeier
Laudatio von Paulus Hochgatterer: hier