Götz Aly: Sie befreiten die Deutschen von sich selbst

Rede zum 74. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz vor dem Thüringer Land­tag (25.1.19, Erfurt)
Es war eine ruhige, eine wis­senschafts­basierte Rede, die der His­torik­er Götz Aly im Thüringer Land­tag anlässlich des inter­na­tionalen Holo­caust-Gedenk­tags hielt. Und den­noch berührte sie, weil Aly Frag­mente von Biogra­phien dar­legte, von Opfern und von Tätern, wie die Nor­mal­ität zum Grauen wurde und das Grauen zur Nor­mal­ität. Von der Geschichte holte Aly in die Gegen­wart aus und zeigte, wie frag­il die ver­meintlich sichere Seite ist, auf der wir heute ste­hen – anschaulich nachvol­lziehbar am Beispiel des Feld­webels Wern­er Viehweg.

Auszug der Rede:

Mir bleibt rät­sel­haft, wie der AfD-Vor­sitzende Alexan­der Gauland zu fol­gen­der Forderung fand: Auch „wir haben das Recht, stolz zu sein auf Leis­tun­gen deutsch­er Sol­dat­en in zwei Weltkriegen“. Ich ver­spüre kein solch­es Bedürf­nis. Warum das so ist, erk­läre ich Ihnen am Beispiel des Feld­webels Wern­er Viehweg. Er wurde 1912 geboren und wuchs in einem sozialdemokratis­chen Eltern­haus auf. Sein Vater ver­lor 1933 sofort seine Stel­lung als Bezirk­sober­schul­rat im säch­sis­chen Löbau; 1945 wurde er als Min­is­te­ri­al­rat in Dres­den reak­tiviert. Doch doku­men­tiert das Kriegstage­buch, das Wern­er Viehweg 1941/42 in Polen und Rus­s­land führte, wie regimekon­form er und auch seine bei­den Brüder waren – trotz sozial­is­tis­ch­er Erziehung. Auf dem Marsch Rich­tung Ukraine notierte Viehweg: „Auf­fal­l­end die vie­len Juden in Polen. Ich lernte sie in ihrem Dreck so richtig ken­nen, als ich unver­hofft ins Juden­vier­tel kam. Über­all saßen die ekel­haften Gestal­ten vor ihren vor Dreck star­ren­den Läden und mauschel­ten jid­disch.“ Aus der Ukraine berichtete er: „In der Nähe hat­te vor eini­gen Stun­den ein Über­fall ver­sprengter Russen auf einen Trupp Flak­sol­dat­en stattge­fun­den; sechs Mann waren dabei ermordet wor­den. Bei der Gege­nak­tion schnappte man an die 100 Russen, die größ­ten­teils erschossen wur­den. Nur einige hat­ten eine Gnaden­frist erhal­ten, um ver­hört zu werden.“

Am 13. August 1941 notierte er: „Dann bum­melte ich durch die trost­lose Stadt, als dauern­des Schießen ver­ri­et, dass eine Erschießung im Gange war. Ich kam ger­ade hin, als die let­zten bei­den Rat­en dran kamen. Jedes Mal wur­den sechs Mann an die Grube geführt. Ein Ukrain­er gab ihnen Anweisun­gen ‚Kopf hoch! Mehr links! Mehr rechts!‘ – dann kom­mandierte ein SS-Mann, und die Schüsse knall­ten. Laut­los sack­ten die Leute zusam­men und fie­len in die Grube. Wer sich noch regte, bekam einige Schüsse mit der MP. Die Leichen lagen wie Heringe in dem Loch. Ein ekel­hafter Blut­geruch drang von dort her­aus.“ Neben der beifäl­lig-pas­siv­en Teil­nahme an weit­eren Massen­mor­den notierte unser säch­sis­ch­er Infan­ter­ist, wie er das Abbren­nen hal­ber Dör­fer bew­erk­stel­ligte, wie „das Organ­i­sa­tion­skom­man­do“ Schweine und Hüh­n­er ein­f­ing, Honig, Getrei­de und Gemüse requiri­erte, oder wie man sich in ein­er kühlen Okto­ber­nacht in der Nähe von Kiew behalf: „Schnell wur­den die Schul­bänke zerk­loppt und in den Ofen gesteckt, so hat­ten wir es her­rlich warm.“ An ander­er Stelle redete er zu sich selb­st: „Nur gut, dass ich mir gestern ein paar wun­der­volle Stiefel von einem Gefan­genen besorgt hat­te.“ Möchte jemand in diesem Ple­narsaal auf diesen anson­sten durch­schnit­tlichen, gewiss gut und men­schen­fre­undlich erzo­ge­nen Wehrma­chtssol­dat­en stolz sein? Wern­er Viehweg fand am 8. Feb­ru­ar 1942 den soge­nan­nten Helden­tod. Wir soll­ten auch sein­er gedenken, allerd­ings mit Schaud­ern vor den men­schlichen Abgrün­den, mit dem selb­stkri­tis­chen und demüti­gen Wis­sen, wie schnell Men­schen ver­ro­hen und das nur schein­bar feste Korsett bürg­er­lich­er Kul­tiviertheit abschüt­teln können.

Auch Wern­er Viehweg war ein­er von uns. Kein Fremd­kör­p­er. Er gehört zu Deutsch­land, zur deutschen Geschichte. Vergessen wir ihn nicht, indem wir uns bequem mit den Opfern des nation­al­sozial­is­tis­chen Volksstaats iden­ti­fizieren und uns ein­bilden, wir Heuti­gen stün­den auf der moralisch sicheren Seite.“
(Berlin­er Zeitung, Manuskript der Rede vom 25. Jän­ner 2019)

zum Video der gesamten Rede (30 Minuten)

Rede Götz Aly Landtag Thüringen 25.1.2019

Rede Götz Aly Land­tag Thürin­gen 25.1.2019