Auszug der Rede:
Mir bleibt rätselhaft, wie der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland zu folgender Forderung fand: Auch „wir haben das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“. Ich verspüre kein solches Bedürfnis. Warum das so ist, erkläre ich Ihnen am Beispiel des Feldwebels Werner Viehweg. Er wurde 1912 geboren und wuchs in einem sozialdemokratischen Elternhaus auf. Sein Vater verlor 1933 sofort seine Stellung als Bezirksoberschulrat im sächsischen Löbau; 1945 wurde er als Ministerialrat in Dresden reaktiviert. Doch dokumentiert das Kriegstagebuch, das Werner Viehweg 1941/42 in Polen und Russland führte, wie regimekonform er und auch seine beiden Brüder waren – trotz sozialistischer Erziehung. Auf dem Marsch Richtung Ukraine notierte Viehweg: „Auffallend die vielen Juden in Polen. Ich lernte sie in ihrem Dreck so richtig kennen, als ich unverhofft ins Judenviertel kam. Überall saßen die ekelhaften Gestalten vor ihren vor Dreck starrenden Läden und mauschelten jiddisch.“ Aus der Ukraine berichtete er: „In der Nähe hatte vor einigen Stunden ein Überfall versprengter Russen auf einen Trupp Flaksoldaten stattgefunden; sechs Mann waren dabei ermordet worden. Bei der Gegenaktion schnappte man an die 100 Russen, die größtenteils erschossen wurden. Nur einige hatten eine Gnadenfrist erhalten, um verhört zu werden.“
Am 13. August 1941 notierte er: „Dann bummelte ich durch die trostlose Stadt, als dauerndes Schießen verriet, dass eine Erschießung im Gange war. Ich kam gerade hin, als die letzten beiden Raten dran kamen. Jedes Mal wurden sechs Mann an die Grube geführt. Ein Ukrainer gab ihnen Anweisungen ‚Kopf hoch! Mehr links! Mehr rechts!‘ – dann kommandierte ein SS-Mann, und die Schüsse knallten. Lautlos sackten die Leute zusammen und fielen in die Grube. Wer sich noch regte, bekam einige Schüsse mit der MP. Die Leichen lagen wie Heringe in dem Loch. Ein ekelhafter Blutgeruch drang von dort heraus.“ Neben der beifällig-passiven Teilnahme an weiteren Massenmorden notierte unser sächsischer Infanterist, wie er das Abbrennen halber Dörfer bewerkstelligte, wie „das Organisationskommando“ Schweine und Hühner einfing, Honig, Getreide und Gemüse requirierte, oder wie man sich in einer kühlen Oktobernacht in der Nähe von Kiew behalf: „Schnell wurden die Schulbänke zerkloppt und in den Ofen gesteckt, so hatten wir es herrlich warm.“ An anderer Stelle redete er zu sich selbst: „Nur gut, dass ich mir gestern ein paar wundervolle Stiefel von einem Gefangenen besorgt hatte.“ Möchte jemand in diesem Plenarsaal auf diesen ansonsten durchschnittlichen, gewiss gut und menschenfreundlich erzogenen Wehrmachtssoldaten stolz sein? Werner Viehweg fand am 8. Februar 1942 den sogenannten Heldentod. Wir sollten auch seiner gedenken, allerdings mit Schaudern vor den menschlichen Abgründen, mit dem selbstkritischen und demütigen Wissen, wie schnell Menschen verrohen und das nur scheinbar feste Korsett bürgerlicher Kultiviertheit abschütteln können.
Auch Werner Viehweg war einer von uns. Kein Fremdkörper. Er gehört zu Deutschland, zur deutschen Geschichte. Vergessen wir ihn nicht, indem wir uns bequem mit den Opfern des nationalsozialistischen Volksstaats identifizieren und uns einbilden, wir Heutigen stünden auf der moralisch sicheren Seite.“
(Berliner Zeitung, Manuskript der Rede vom 25. Jänner 2019)
zum Video der gesamten Rede (30 Minuten)